Warum sind Computer so weltfremd?

Eine Kurzgeschichte über die Schwierigkeit, einem "intelligenten" Computer etwas Sinnvolles machen zu lassen.

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Das war es also, das gute Stück, das einzige, was ihn am Erbe seines Großvaters interessiert hatte. Sie hatten ihm die abgewetzte Sitzgarnitur angeboten, eine Reihe altmodischer Bücher mit unlesbarer Schrift und ein Dutzend Bilder, ölgemalt, so dunkel, daß kaum noch etwas daran zu erkennen war. Aber dieser Computer - er hatte einen legendären Ruf. Eigentlich sah man es ihm gar nicht an, aber er enthielt einen unfaßbar großen holografischen Speicher und verarbeitete 2.048 Bits parallel. Richard war kein Wissenschaftler wie sein Großvater, aber immerhin ein erfolgreicher Unternehmer. Nur wenige seiner Konkurrenten konnten sich ein solches Rechensystem leisten - es würde ihm nützlich sein. Aber welche Aufgabe sollte er ihm geben?

Humanoider Roboter von Honda

Er überlegte eine ganze Weile.

"Ich wäre an einem Geschäftspartner interessiert, der gute Handelsbeziehungen zu asiatischen Ländern hat. Die Unterlagen sind auf diesen Disketten gespeichert - du kannst sie einsehen. Mich interessieren alle Daten, die zu erhalten sind, insbesondere aber Informationen über die Geschäftsaktivitäten der letzten Jahre. Es geht mir aber auch um Werte, die nicht so leicht zu fassen sind. Ist die Firma seriös? Ist sie aktiv, progressiv oder konservativ? Kannst du das übernehmen?"

"Nichts leichter als das", antwortete der Computer. "Ich weiß, wo Daten dieser Art im Netz gespeichert sind."

Erst zwei Tage später hatte Richie Zeit, sich nach den Ergebnissen zu erkundigen.

"Es ist mir gelungen, den Ursprung der Familie bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückzuverfolgen", führte der Computer aus. "Die Urahnen waren Handwerker, und aus einer Urkunde geht hervor, daß sie in ihrem Dorf sehr angesehen waren. Schon damals entstand das Wappen, aus dem später das Firmenlogo abgeleitet wurde. Der Übergang einer folkloristischen Ornamentik zum moderenen Design ..."

Richie wetzte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er wollte die Erklärungen nicht unterbrechen, weil er nicht wußte, wie empfindlich der Computer reagieren würde. Dann aber wurde es ihm aber doch zu dumm. "Einen Moment ... ich habe wenig Zeit. Kannst du mir etwas darüber sagen, wie die derzeitige Entwicklung verläuft?"

Mit einem Anflug von Mißbilligung antwortete der Computer: "Die Entwicklung läuft gut. Ich habe bis ins Jahr 3000 extrapoliert. Nach meinen Berechnungen werden sich dann die Aktiva ..."

Richie ließ ihn reden, doch er verließ den Raum und hoffte, daß es der Computer nicht merken würde. Mit dieser Aufgabe war er nicht zurechtgekommen, und die Euphorie des neuen Besitzers hatte einen Dämpfer erhalten. Ein umfassend informierter Gehilfe zur Unterstützung der geschäftlichen Transaktionen würde die Maschine nicht werden. Vielleicht fand er sich mit anderen Aufgaben besser zurecht.

Am nächsten Tag aktivierte Richie wieder die Wechselsprechanlage und sagte: "Es geht um eine Rede vor der Aktionärsversammlung. Vor allem geht es darum, den Leuten die Vorteile einer soliden Geldanlage nahe zu bringen. Und das wieder muß natürlich darauf hinauslaufen, daß der Kauf unserer Aktien die günstigste Möglichkeit dazu ist. Möchtest du das übernehmen?

"Gern", antwortete der Computer. "Alle erforderlichen Unterlagen sind mir zugänglich, ich schätze, daß ich den Text innerhalb von 2000 Millisekunden ausarbeiten kann. Willst du warten?"

"Die zweitausend Millisekunden sind schon vorbei", sagte Richie. "Dann leg' also los!"

"Meine Damen und Herren", begann der Computer, und Richie dachte: für den Anfang ist das schon ganz gut. "Die Anfänge des Finanzwesens gehen in die sumerische Zeit zurück... eine abstrakte Wertzuordnung finden wir schon bei den Kauri-Muscheln, die die Grundlage des Zahlungswesens ostafrikanischer Eingeborener bildete ...unter Pippin dem Jüngeren aus dem Haus der Karolinger kam es zu einer Münzreform... "

Nach eine Weile entschloß sich Richie doch zu einem Einspruch. "Eigentlich habe ich mir etwas anderes vorgestellt. Die Leute sollen einige handfeste Informationen bekommen, die das Interesse an einem Aktienkauf stärken. Ich weiß nicht recht, ob historische Reminiszenzen ..."

Die Tatsache, daß ihm der Computer ins Wort fiel, ließ darauf schließen, daß er ernstlich verärgert war. "Was gäbe es denn Interessanteres, als der historischen Entwicklung nachzuspüren. Das ist doch das Basiswissen, auf das sich jeder stützt, der finanzielle Aktivitäten ..."

Richie ließ ihn eine Weile reden und sagte dann: "Wie auch immer, ich halte die historische Näherung an das Problem nicht für richtig. Bereite eine andere passende Rede vor - vielleicht kannst du etwas Unterhaltendes zusammenstellen, ein paar Witze, etwas, was die Leute auflockert ..."

"Ich glaube, daß mir solche Banalitäten nicht liegen. Mit so etwas kannst du deine Sekretärin beschäftigen. Da bin ich doch etwas mehr auf Wissenschaft und Kultur abgestellt. Solltest du Aufgaben dieser Art haben ...?"

Nun war Richie völlig irritiert. Dieser Computer ... offenbar war er nun gekränkt. Richie mußte unbedingt eine Aufgabe finden, die dem Niveau eines Parallelrechners mit einem neuronalen Netz entsprach.

Er brauchte einige Wochen, dann hatte er eine Idee. Wieder setzte er sich ans Mikrofon und schaltete ein. "Ich glaube, ich hab' da etwas, was dich interessieren wird. Nächste Woche ist Weihnachten, und drei Tage zuvor ist die ganze Belegschaft zu einer Feier eingeladen. Da geht es nicht um Geschäfte und Geld, sondern um eine gehobene und feierliche Stimmung. Könntest du mir das Abendprogramm zusammenstellen?"

"Selbstverständlich", antwortete der Computer. "Diese Aufgabe erscheint mir tatsächlich anspruchsvoll. Ich werde mich in den entsprechenden Archiven umsehen und dir dann einen Entwurf vorlegen."

Richie nickte ein wenig skeptisch ... naja, vielleicht klappte es diesmal.

* * *

Als Sophie Swayer, die Witwe des großen Historikers, zu einem kurzen Besuch ins Büro ihres Enkels kam, sah sie den Computer in der Ecke stehen und trat sichtlich bewegt auf ihn zu.

"Wie bewährt er sich?" fragte sie. "Für Anatol war er geradezu eine Gottesgabe. Ich glaube, ohne seinen Automaten hätte er längst nicht so viele bahnbrechende Arbeiten schreiben können. Kommst du gut mit ihm zurecht?"

Richie war etwas verlegen. "Naja, es geht ... aber es ist recht schwierig ... genaugenommen hat er noch keine seiner Aufgaben gelöst. Zuletzt sollte er ein Programm für die Weihnachtsfeier zusammenstellen, und weißt du, was er vorgeschlagen hat: Eine Bläsergruppe mit alten Instrumenten sollte Madrigale intonieren, und dann wollte er ein Krippenspiel inszenieren, wobei die Heiligen Drei Könige Münzen verschenken sollten. Es ist schade, aber ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll."

"Hast du ihn auch gut behandelt?" Die alte Dame trat noch einen Schritt näher an den Computer heran und schaltete die Gegensprechanlage ein. "Ich glaube, du brauchst ganz andere Aufgaben. Würdest du mir den Speisezettel für das Abendessen zusammenstellen?"

Der Computer stieß einen brummenden Laut aus, dann sagte er: "Ach, Sophie, laß mich doch mit solchen Banalitäten in Ruh' . Das kannst du selbst viel besser - ich habe etwas Wichtigeres zu tun."

Da fuhr sie mit einer streichelnden Bewegung über seine graue Blechumkleidung, hob ihn behutsam auf und sagte: "Ich glaube, ich kann ihn besser gebrauchen als du - ich nehme ihn mit. Wenn er spricht, dann glaube ich, Anatol zu hören. Anatol ist tot, aber es ist schön zu wissen, daß ein Teil von ihm noch lebendig ist."

"Du kannst ihn gern wieder haben", antwortete Richie, und leise, für sich, fügte er hinzu: Ich hätte ihn in den Müll geschmissen. Dann ließ er sich das Programm der Weihnachtsfeier vom letzten Jahr bringen.