Warum traf die Finanzkrise Europa stärker als die USA?

Bild; BIZ

BIZ: Krise in Banken basierten Finanzsystemen im Krisenfall dreimal so schwer wie in marktbasierten

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Obwohl der Finanzmarktcrash und die "Große Rezession" vor allem in den USA stattgefunden hatten, waren die wirtschaftlichen Folgen für Europa aufgrund der höheren Bedeutung der krisengeschüttelten Banken ungleich gravierender - obwohl die EZB laut BIZ fast die gesamte Interbanken-Auslandsfinanzierung der Krisenstaaten übernommen hatte.

Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) widmet sich in ihrem aktuellen Quartalsbericht einigen bislang noch unklaren Aspekten der Weltfinanzkrise und gibt zudem eine differenzierte Antwort auf die schon lange umstrittenen Frage nach den Vor- und Nachteilen von markt-zentrierten Finanzsystemen wie in den USA gegenüber den bankenbasierten Systemen Kontinentaleuropas.

Die BIZ analysiert dazu Daten aus 41 Ländern für die Jahre 1989 bis 2011 und qualifiziert die Finanzsysteme nach dem Verhältnis der Privatkredite zur gesamten Finanzierung des Privatsektors, also der Summe aus Privatkrediten und der Marktkapitalisierung der nationalen Aktien- und Bondmärkte. Dieses Verhältnis beträgt in den USA knapp unter 20 Prozent, während es in den stärker marktlich finanzierten Volkswirtschaften Schweiz, Australien, Finnland und Schweden bei um die 40 Prozent liegt und in Deutschland und Österreich rund 60 Prozent erreicht.

Die BIZ- Ökonomen fanden nun tatsächlich eine signifikante Abhängigkeit der BIP-Verluste im Abschwung von der Ausgestaltung des jeweiligen Finanzierungssystems, aber - wenig verwunderlich - abhängig davon, ob es sich um "normale" Abschwünge gehandelt hatte oder ob gleichzeitig auch eine Finanzkrise ausgebrochen war. So hatten besonders in den westlichen Industriestaaten in normalen Abschwüngen gut kapitalisierte Banken die Kreditvergaben deutlich eher aufrechterhalten als die Märkte, was die BIZ mit den jahrelangen Geschäftsbeziehungen und daraus resultierenden guten Kundenkenntnis der Banken begründet. Die "Märkte" hätten hingegen kostspielige Informationen über die potentiellen Kreditnehmer einholen müssen und stellten stattdessen die Finanzierungen eher ein.

Es zeigte sich jedoch, dass die Banken diese Fähigkeit verlieren, sobald eine Bankenkrise ausbricht. Dann reduzierten sie die Neuvergaben und neigten dazu, faule Kredite zu prolongieren ("Zombi-Lending"), um die Verluste bilanziell nicht eingestehen zu müssen, wodurch sie zudem die ökonomisch erforderliche Bereinigung der Bilanzen des Privatsektors verhindern. Kapitalmarktinvestoren können bzw. wollen derartige Verluste hingegen nicht durchfinanzieren, weshalb die Bereinigung rascher und mitunter innerhalb weniger Tage im Rahmen eines Börsencrash erfolgt.

In "normalen" Rezessionen ohne Finanzkrise erwiesen sich die Banken gestützten Systeme also als deutlich stabiler. Im Beobachtungszeitraum kam es in den zyklischen Abschwungphasen im Schnitt auch zu keinerlei Rückgängen des Sozialprodukts (allerdings auch zu keinem Wachstum), während die marktbasierten Systeme in diesen Zeiträumen im Schnitt drei Prozent des BIP verloren hatten. Trat jedoch eine Finanzkrise hinzu, dann brachen Banken gestützte Systeme mit Minus 12,5 Prozent des BIP im Schnitt dreimal so stark ein wie die Marktsysteme.

Für dieses Phänomen kann die letzte Krise wohl als Musterbeispiel gelten, und es lässt sich wohl nur erahnen, was geschehen wäre, wenn die EZB bzw. das Eurosystem nicht ab 2011 die grenzüberschreitende Interbankenfinanzierung der Banken der Krisenländer fast komplett übernommen hätte. Die BIZ bestätigt einen schon länger gehegten Verdacht:

Während ihre Kreditvergabe weniger stark zurückging, verringerte sich die grenzüberschreitende Interbankkreditaufnahme griechischer, irischer, italienischer, portugiesischer und spanischer Banken im Zeitraum 2008-13 zusammengenommen um 1,2 Bio. Dollar. Dadurch ergab sich eine große internationale Finanzierungslücke, die durch eine verstärkte Kreditaufnahme beim Eurosystem geschlossen wurde (grüne Linie). Somit ist das Eurosystem für diese Länder als Refinanzierungsquelle an die Stelle des internationalen Interbankmarktes getreten.

Kumulierte Veränderung der grenzüberschreitenden Interbankpositionen seit Ende März 2008 in Billionen Dollar. Bild: BIZ

Während solide größere (Nicht-Finanz-) Unternehmen Zugang zum Kapitalmarkt und kaum Finanzierungsschwierigkeiten hatten, litten KMU unter Kreditrestriktionen. Gleichzeitig war aber auch vielen Banken die Kapitalmarktfinanzierung so gut wie unmöglich, wodurch der Anteil der Banken am globalen Schuldtitelmarkt erheblich zurückging.

Weil Banken ihre Anleihen in der Regel international, Staats- und Unternehmensanleihen hingegen vor allem national platziert werden, ging dadurch auch der Anteil der Banken an international begebenen Schuldtiteln zurück, obwohl das insgesamt ausstehende Anleihenvolumen von Mitte 2007 bis Mitte 2013 von 70 Bio. Dollar auf 100 Bio Dollar angewachsen ist. Dabei stieg das Volumen ausstehender Staatsschuldentitel um rund 80% auf 43 Bio. Dollar, während die ausstehenden Unternehmensanleihen auf über 10 Bio. Dollar zulegten. Demgegenüber hatte sich das Volumen der von Finanzinstituten international platzierten Schuldtitel seit Mitte 2007 lediglich um 19% erhöht und der Schuldtitelumlauf an den nationalen Märkten ging sogar um 5% zurück.

Aus diese Zahlen schließt die BIZ, "dass sich der Prozess der internationalen Finanzmarktintegration seit dem Ausbruch der Krise teilweise umgekehrt hat." Das hatte vor allem die europäischen Märkte betroffen, nicht aber die USA und die Emerging Markets. So war der Anteil ausländischer Investoren am Gesamtbestand an globalen Schuldverschreibungen von 2001-07 noch um 8 Prozentpunkte auf einen Spitzenwert von 29 Prozent gestiegen, danach aber wieder auf rund ein Viertel (rund 27 Bio. Dollar) zurückgefallen. Der Anteil der grenzüberschreitend gehaltenen Bestände von Emittenten aus dem Euro-Raum war hingegen vom Spitzenjahr 2006 bis Ende 2012 um zehn Prozent auf 47% des Gesamtbestands gesunken, wobei der Großteil der Neuemissionen aus dem Euro-Raum und dem Vereinigten Königreich von nationalen Investoren absorbiert wurde. Allerdings könnte das laut BIZ auch nur ein vorübergehendes Phänomen gewesen sein, jedenfalls hätten sich die grenzüberschreitenden Anlagen zuletzt wieder leicht erholt.

Das vergleichsweise starke Abschneiden der USA und der aufstrebenden Volkswirtschaften während der letzten Krise wurde weiter stark vom Ausland finanziert, so dass sich Mitte 2012 mit 12% der Schuldtitel aus den Emerging-Market-Staaten etwa doppelt so viele in der Hand ausländischer Anleger befanden wie im Jahr 2008.