Warum wir die Grünen nicht wählen sollten

Alle Bilder: Concorde

Oliver Parkers Neuverfilmung von Oscar Wildes "Bildnis des Dorian Gray"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der einzige Roman von Oscar Wilde erzählt eine Geschichte über ewige Jugend und Befreiung von ethischen Regeln und entfaltet offenbar einen zeitlosen Reiz auch im Kino: Schon oft wurde er verfilmt, erstmals bereits 1915. Am berühmtesten ist Massimo Dellamos Verfilmung von 1970, in der Helmut Berger die Titelrolle spielte. Oliver Parker mischt in seiner Kinofassung des Buches Gesellschaftssatire mit der Oberfläche des Grusel-Schockers. Darunter erahnen lässt sich allerdings das Beunruhigungs- und Protestpotential des Wildeschen Ästhetizismus - eine überfällige Erinnerung, die die Gegenwart aber kaum mehr als ratlos machen dürfte.

Hätten wir nicht die Künste gutgeheißen und diese Art von Kultus des Unwahren erfunden: so wäre die Einsicht in die allgemeine Unwahrheit und Verlogenheit … gar nicht auszuhalten. Nun aber hat unsere Redlichkeit eine Gegenmacht, die uns … ausweichen hilft: die Kunst.

Friedrich Nietzsche: "Die Fröhliche Wissenschaft; § 107"

Der "gute Wille zum Schein", von dem Friedrich Nietzsche in diesem Aphorismus spricht, der Wille zum Unredlichen, ist das, worum es hier geht. Es geht um Wahrheit. Wahrheit hat mit Moral aber nichts zu tun. Man tendiert dazu, beides zu verwechseln. Das ist der Punkt, um den es, unter anderem Oscar Wilde zu tun war. Dabei wäre Wilde, den sein Zeitgenosse Nietzsche nicht kannte - und vice versa - ein Denker und Künstler ganz nach Nietzsche Geschmack gewesen. Ein Artist, wie er es formuliert hätte, übermütig, schwebend, tanzend, spottend, kindisch und spielend, ein Künstler, ganz und gar erfüllt von jener Freiheit über den Dingen, die man an außergewöhnlichen Menschen bewundert.

Wilde war ein außergewöhnlicher Mensch, Künstler und Denker und bis heute sind wir ihm - ähnlich wie Nietzsche übrigens - nicht wirklich gewachsen. Ein Unzeitgemäßer. Wie unzeitgemäß, das belegen jetzt wieder erste Reaktionen und die allgemeine Verständnislosigkeit, auf die Oliver Parkers Neuverfilmung seines Hauptwerkes, des Romans "Das Bildnis des Dorian Gray" stößt. Dabei hätte Wilde der Gegenwart viel zu sagen, und Parkers Verfilmung hindert uns zumindest nicht daran, etwas genauer zuzuhören.

Die Vorrangstellung des Ästhetischen und das Problem der „Grünen“

…daß nur als ästhetisches Phänomen das Dasein der Welt gerechtfertigt ist. … diese ganze Artisten-Methaphysik mag man willkürlich, müßig, phantastisch nennen –, das Wesentliche daran ist, daß sie bereits einen Geist verrät, der sich einmal auf jede Gefahr hin gegen die moralische Ausdeutung und Bedeutsamkeit des Daseins zur Wehre setzen wird.

Friedrich Nietzsche: "Ecce Homo"

Oscar Wilde ist, ganz ohne Frage, der aktuellste und wichtigste Denker des Zeitalters. Er ist der eigentliche Theoretiker der Popkultur, seine Sentenzen bezaubern ungebrochen - "Ein wirklich unvoreingenommenes Urteil kann man nur über Dinge abgeben, die einen nicht interessieren, und das ist zweifellos der Grund, dass unvoreingenommene Urteile immer wertlos sind." -, seine Analysen trotzen dem Zeitalter und treffen es damit ins Herz.

Die eigentliche Leistung Wildes für unsere Gegenwart liegt in seiner provozierenden Verweigerung, vor ihr den Kotau zu machen. An seinem auf Kunst und Ideen wie Vollkommenheit: Stattdessen verkündete er die Vorrangstellung des Ästhetischen und die außermoralische Rolle der Kunst. "Durch Kunst und nur durch Kunst erreichen wir Vollkommenheit; durch Kunst und nur durch Kunst entgehen wir den grauenhaften Gefahren des Alltags." Die Wahrheit einer solchen Äußerung liegt zuallererst darin, wogegen sie sich richtet. Denn nicht nur das viktorianische Zeitalter hatte seine puritanischen Moralprediger, und was vor 120 Jahren Utilitarismus hieß, nennt man heute Effizienz.

Das Schönheitsverlangen von Wildes Position wirkt gerade in seiner Subjektivität subversiv. Wenn Gesellschaftskritik nicht mehr will, als die eine Ordnung durch eine andere zu ersetzen, ist sie keine. Sie verfehlt den Kern dessen, worum es in einer besseren Gesellschaft auch gehen müsste, die Freiheit nämlich, noch in ihren Utopien.

Das ist, um es einmal praktisch und konkret zu wenden, das Problem der "Grünen", und darum wählen auch vernünftige Menschen mitunter die FDP: Weil hier, zumindest in ihrem Programm, das Versprechen der Freiheit nicht gleich schon wieder im Gewand ihres vernunftgemäßen Gebrauchs und der spießbürgerlichen Floskel von ihrer Grenze in der Freiheit "der Anderen" sich verheddert. Nun ist umgekehrt, nur um da nichts offen zu lassen, Oscar Wilde natürlich alles andere als der Philosoph der FDP.

Geistesaristokratie und neuer Hedonismus

"Starker Rosenduft durchströmte das Atelier, und als ein leichter Sommerwind die Bäume im Garten hin und her wiegte, kam durch die offene Tür der schwere Geruch des Flieders oder der feinere Duft des Rotdorns." Mit diesen, nur scheinbar harmlosen Sätzen beginnt "Das Bildnis des Dorian Gray".

Das Buch, in Deutschland vergleichsweise wenig gelesen, ist nicht nur einer der ganz großen Romane der Weltliteratur, Oscar Wilde - hierzulande heute leider vor allem gut genug dazu, mit einem seiner gefälligeren Sprüche ("Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Immer nur das Beste") für Werbespots herzuhalten - ist neben Shakespeare derjenige britische Autor von Rang, der am meisten gedruckt und übersetzt wurde, und über den es die meisten Biographien gibt. Mut gutem Grund: Denn Wildes Literatur, das gilt nicht zuletzt für den "Dorian Gray" ist immer auch bedingungslos autobiographisch.

Im Zentrum steht ein Teufelspakt: Dorian Gray ist der Name eines so schönen wie unschuldigen Jünglings (Ben Barnes). Der charismatische Lord Henry Wotton (Colin Firth) ist anfangs sein väterlicher Mentor und - manchmal maliziöser - Ratgeber, zugleich aber auch Verführer zu immer neuer moralischen Exzessen. Ist er das Alter Ego Wildes? Zumindest plädiert er für Geistesaristokratie und neuen Hedonismus, insofern lässt sich gerade von dieser Figur für unsere Zeiten noch so manches wieder lernen.

Das Alter Ego Wildes könnte man aber auch im braven, versteckt schwulen Basil Hallward finden; ein Maler, dem Dorian anfangs des Buches Modell steht und dem ein Bild vollendeter Schönheit gelingt. Dorian, vom eigenen Anblick gerührt, entfährt die Äußerung, seine Seele würde er dafür geben, dass nicht er, sondern das Gemälde altert.

Genau das passiert! Unmerklich zunächst verändert sich das Gemälde, bis es schließlich zum Bildnis von Alter und Sünde wird - denn seine Jahre verbringt Dorian Gray als Star der Londoner Gesellschaft. Mehr und mehr wird er vom entzückenden Naiven zum schmierigen Schönling, und mit der Zeit immer stärker moralisch korrumpiert, seine Sünden immer verbotener, bis er schließlich grauenerregende Verbrechen begeht. Doch Dorians Äußeres - das ist der Schlüssel seiner Wirkung - wirkt unschuldig wie am ersten Tag. Nur das Bildnis vom Anfang enthüllt sein Geheimnis indem es zum Spiegel seiner Seele wird.

Großstadt-Glamour, Schönheitswahn und die Folgen eines Selbstverwirklichungstrips

Wie will man so ein Werk verfilmen? Einerseits ist dies ein Gothic-Schauerroman in der Tradition von Walpole, Shelly und Poe, mit Anklängen an "Faust", andererseits auch eine eminent moderne, unbedingt aktuelle Geschichte über Großstadt-Glamour, Schönheitswahn und die Folgen eines Selbstverwirklichungstrips.

Dies sind die beiden Erzählstränge, die Oliver Parker miteinander verknüpft - auf Kosten des übrigen philosophischen Gehalts des Buches, insbesondere der komplexen Kunsttheorie über das Verhältnis von Abbild und Inhalt, Leben und Kunst. Das Problem einer solchen Verfilmung ist aber naturgemäß das aller Verfilmungen großer Literatur: Die Vorlage ist bereits so groß, so einzigartig, dass sie es nur in den allerseltensten Fällen schaffen, deren Rang zu erreichen.

Parker, der zuvor schon zwei andere Wilde-Werke verfilmte, gelingt hervorragend unterhaltendes Kino, das zugleich den Verstand anregt: Ein bisschen Psychothriller, aber auch eine charmante Gesellschaftskomödie, in der die Aphorismen Wildes einigen Raum zum Funkeln bekommen: "Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben." Oder: "Der einzige Unterschied zwischen einer Laune und der ewigen Liebe besteht darin, dass die Laune etwas länger dauert." Zudem ist Parkers Film glänzend besetzt: Rebecca Hall ("Vicky Cristina Barcelona") spielt die junge Emily, in die sich Dorian verliebt, Rachel Hurd-Wood, Ben Chaplin, Emilia Fox und Fiona Shaw sind in weiteren Rollen zu sehen. Alles in allem aber ist der Film unterkomplex, und zwar mehr als nötig.

Wie schön wäre es einmal dem Realismus, dem sich das Kino sowieso mehr denn nötig verschrieben hat, eine etwas stärkere Prise Ästhetizismus zuzumuten? Und überhaupt diesen offensiv zu verteidigen? Ein solcher Film, könnte in einem zweiten Schritt, ohne deswegen moralisch zu Kreuze zu kriechen, doch in sein Gegenteil umschlagen und deutlich machen, dass auch der Ästhetizismus seine Zeit und seinen Ort hat. Man kann ihn heute nicht, oder jedenfalls nur sehr vorsichtig, als Haltung einnehmen.

"Rocky Horror Picture Show" statt Dario Argento

Anstatt dem Publikum ein wenig Geistesarbeit und Irritation zuzumuten, wird es lieber ein wenig schockiert und in der Magengegend gekitzelt. Aber alles hübsch artig. Oscar Wilde hätte über so etwas nur müde gelächelt - künstliche Paradiese schön und gut, aber modern hätten sie schon sein müssen.

Zudem hat Parker einen Einfall, den man allenfalls höflich noch als Manierismus umschreiben kann: Er lässt das Bild nämlich nicht unmerklich sich verändern, sondern so richtig lebendig werden, mit Bewegungen und garstigen Würmern. Weil die aus dem Computer stammen, sind sie eher lustig als gruselig und so erfüllt das alles primär den Straftatbestand des Kitsches, für den es im Kino immerhin mildernde Umstände gibt. Verbuchen wir es als Überspanntheit eines Regisseurs, der wohl gern mal ein Horrorfilmer geworden wäre.

Warum es mit dieser Karriere nicht geklappt hat, belegt zunächst einmal, dass seine Gothic-Schockeffekte eher aussehen, wie in der "Rocky Horror Picture Show", als wie bei Dario Argento - und dann auch die Auswahl des Hauptdarstellers: Ob Ben Barnes eine richtige Besetzungsentscheidung war? Er ist glatt und langweilig, die Sensation, die in dieser Figur liegen muss, ist kaum nachzuempfinden, ja selbst als Behauptung inakzeptabel. Da war Helmut Berger seinerzeit doch ein anderes Kaliber. Hier scheint es weniger um Rätsel und Geheimnis zu gehen, als darum, den (Möchtegern-)Barbies im Publikum auf der Leinwand einen feschen Ken vorzusetzen. So landet der Ästhetizismus ganz da wo er herkommt: om bürgerlichen Salon.

Was man Parker also insgesamt vorwerfen muss, ist, dass sein Film selbst ein bisschen glatt ist und die Gefahren und die Brisanz des Stoffes unter braver, ja naiver Oberfläche verbirgt. Aber das Kunst gerade gefährlich ist, wo sie eben nicht die Wirklichkeit zeigt, ist ja die Pointe von Wildes Roman, dem der Film somit - unfreiwillig? - am Ende doch wieder gleicht.

Warum wir die Grünen nicht wählen sollten (9 Bilder)