Wege aus der Kommunikationsfalle

Petra Ahrweiler, Sozialwissenschaftlerin am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg, über computergestützte Konfliktlösungsstrategien

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Petra Ahrweiler betreut in der Arbeitsstelle Medien und Politik des Instituts für Politische Wissenschaft den Forschungsschwerpunkt Netzwerkforschung. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit Techniken der Künstlichen Intelligenz und hält auch deren Einsatz in der Friedensforschung für vielversprechend (Mit künstlicher Intelligenz aus der Geschichte lernen). In Deutschland zählt sie damit zu einer Minderheit. In den USA ist der Einsatz von Simulationstechniken dagegen schon erheblich verbreiteter.

Frau Ahrweiler, Sie haben auf einer Tagung im vergangenen Jahr eine Studie zum Thema "Modellierung von Konfliktlösungen in sozialen Systemen" vorgestellt. Wenn man mithilfe von Computersimulationen Konflikte friedlich regeln kann, wieso werden solche Systeme dann nicht in der Politik eingesetzt?

Petra Ahrweiler: Es ist fraglich, ob sie in solchen Fällen wirklich eine Hilfestellung bieten würden. Wenn Menschen sich streiten, geht es ja zumeist nicht nur darum, sich zwischen zwei klaren Alternativen A und B zu entscheiden. Da spielen die Hintergründe der streitenden Akteure eine Rolle, die mit bestimmen, ob sie sich überhaupt auf eine gemeinsame Problemstellung einigen können. Häufig treffen völlig unterschiedliche Weltansichten aufeinander wie jetzt auch im Irak-Konflikt. Da geht es nicht einfach nur um abweichende Präferenzen, die ausgezählt werden könnten, sondern darum, inwieweit die Bedeutungsräume, die da aufeinander prallen, miteinander kompatibel sind.

Was leistet Ihr System?

Petra Ahrweiler: Bei meinem Modell habe ich versucht, die verschiedenen Weltbeschreibungen der streitenden Akteure in den Computer einzuspeisen. Ausgangspunkt waren meine Erfahrungen an einer interdisziplinär zusammengesetzten Forschungsstätte, die sich mit der Frage nach der Funktionsweise von Wissenschaft beschäftigt. Gemeinsame, interdisziplinäre Projekte kamen schwer zustande, weil sich die Leute ständig in den Haaren lagen und sich über nichts einigen konnten. Die Diskussionen arteten immer wieder in Grundlagenstreits über das Wesen von Wissenschaft aus. Mich interessierte daher, ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, die verschiedenen beteiligten Theorien soweit zu integrieren, dass zumindest ein gemeinsames Arbeiten möglich ist. Um das zu prüfen, habe ich einige der konkurrierenden Theorien formalisiert, sodass sie als Computerprogramm laufen können.

Gerade in den Sozialwissenschaften gibt es aber doch Theorien, die sich vehement gegen Formalisierungen wehren. Wie machen Sie zum Beispiel Adorno und die Frankfurter Schule computerkompatibel?

Petra Ahrweiler: Solche Theorien müssten sich dann aber konsequenterweise auch dagegen wehren, aufgeschrieben zu werden. Der Anspruch der computerisierten Theorie entspricht letztlich dem eines Buches. Es ist eine Darstellungsform von Gedanken, die wie Sprache funktioniert und auch in Computersprachen abgefasst werden kann, die der Alltagssprache sehr nahe sind. Wenn Sie so ein Programm lesen, erkennen Sie die Theorie wieder. Sie müssen sich da nicht durch abstrakte Zahlenkolonnen quälen. Modell und Theorie entsprechen sich insofern recht gut.

Worin besteht der Vorteil eines solchen Computermodells?

Petra Ahrweiler: Es ist die Abbildung einer von der Theorie vorgegebenen sprachlichen Struktur, die nun direkt auf die Strukturen anderer Theorien bezogen werden kann. Die werden im Computer mit Daten konfrontiert, die eine bestimmte Welt repräsentieren, und müssen ihre Konzepte und Schlussfolgerungsregeln darauf anwenden.

Das heißt, es sind Softwareagenten, die im Sinne einer bestimmten Theorien handeln?

Petra Ahrweiler: Diese Agenten können sich auch gegenseitig in ihrem Tun beobachten und daraus Rückschlüsse ziehen. Ist der andere ähnlich oder sehr verschieden? Befindet er sich im direkten Widerspruch zu mir? Eine entgegengesetzte Verwendung von Konzepten führt in die so genannten Kommunikationsfallen.

Was, bitte, sind Kommunikationsfallen?

Petra Ahrweiler: Eine anschauliche Illustration sind die so genannten Kipp-Zeichnungen, in denen man zwischen dem Gesicht einer alten und einer jungen Frau oder zwischen einem Pokal und zwei Köpfen hin und her wechseln, niemals aber beides zugleich wahrnehmen kann. Es geht um solche Strukturen, an die zwei völlig unterschiedliche Perspektiven angelegt werden können, die nicht ineinander überführbar sind. Solche Kommunikationsfallen gibt es auch im sprachlichen Bereich.

Zum Beispiel ein Glas, das man als halb leer oder halb voll begreifen kann?

Petra Ahrweiler: Genau. Das sind die potenziellen Konfliktherde, wenn es darum geht, verschiedene Weltsichten miteinander zu verbinden.

Konnten Sie mit Ihrem System die Gräben zwischen den verschiedenen Forschungsdisziplinen am Institut überbrücken?

Petra Ahrweiler: Man muss damit sehr vorsichtig umgehen. Es kann ja nicht darum gehen, Konsens um jeden Preis herzustellen. Damit würde man die Chancen der gegenseitigen Befruchtung zunichte machen. Es geht vielmehr darum, Bereiche zu finden, in denen man kooperieren, sich ergänzen und differenzieren kann, weil man sich dort ähnlich ist. Und es geht darum, Bereiche zu isolieren, in denen dieser vollkommene Gegensatz der Perspektiven herrscht. Da kann man diese "kommunikativen Drehscheiben" dann von außen benutzen, um sich klarzumachen, was für Weltsichten da im einzelnen angeschlossen sind. Das ist ja auch schon eine wichtige Information. Im Fall der getesteten Theorien hat das System einige Punkte möglicher Kooperation und gegenseitiger Differenzierung ausgemacht, die bei Vertretern der Theorien für Verblüffung gesorgt haben.

Wieviel hat Ihre Arbeit eigentlich mit Filmen wie "Welt am Draht" oder "Matrix" zu tun?

Petra Ahrweiler: Sehr viel. Das ist eine Perspektive, die sich direkt an mein sozialwissenschaftliches Studium anschließt, in dem ich mich gerade für die konstruktivistischen Ansätze der Wissenschaftstheorie interessiert habe. Die grundlegende Textualität von Sein, die man durch verschiedene Medien hindurch treiben kann, fasziniert mich sehr. Dabei ist meine Haltung zu solchen Filmen durch meine eigene wissenschaftliche Arbeit deutlich positiver geworden.