Weihnachtsbaum - mit oder ohne Gift?

Foto: Susanne Aigner

Das ganze Jahr über verbringen wir unseren Alltag zwischen Betonwänden und Blechlawinen. Zu Weihnachten kommt die Natur ins Wohnzimmer. Warum eigentlich? Und wie gut sind die teuren Bio-Bäume wirklich? Eine Spurensuche

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Neben dem Auto ist der Weihnachtsbaum das liebste Kind der Deutschen. Das zeigt eine Befragung aus dem Jahr 2009: Für rund 80 Prozent der Bevölkerung ist er bereits in der Adventszeit fester Bestandteil des Wohnzimmers. Dieses Jahr werden zu Weihnachten vorausichtlich etwas mehr als 24 Millionen Bäume in den deutschen Wohnzimmern stehen. 2013 waren es noch rund 30 Millionen.

Laut Proplanta hat sich die Nachfrage inzwischen dem demografischen Wandel angepasst. Zwei Millionen Bäume wurden importiert, vor allem aus Dänemark. In den Export gingen hingegen 800.000 Exemplare. Größter Beliebtheit erfreut sich die Nordmanntanne, gefolgt von Blaufichte, Edeltanne, Fichte, Douglasie und Kiefer.

Immergrüne Pflanzen: ein Symbol von Fruchtbarkeit und Lebenskraft

In den strengen Wintern war das Blattgrün ein Zeichen der Hoffnung. Während man im antiken Rom die Häuser mit Lorbeerkränzen schmückte, wurden weiter nördlich im Winter Tannenzweige ins Haus gehängt, um böse Geister zu verjagen. Auch in Deutschland war es Brauch, Haus und Hof zu Weihnachten mit Tannenzweigen, Misteln oder Wacholder zu schmücken, um Gefahren abzuwenden. Der Kirche missfiel dies, weil es mit einem Aberglauben verbunden war. An vielen Orten versuchte sie daher, seine Ausübung durch Verbote zu verhindern.

Im Jahre 1419 stellten Freiburger Bäcker an Weihnachten einen mit Süßigkeiten geschmückten Baum auf, den die Kinder am Neujahrstag plündern durften. Auch Handwerker in Bremen schmückten um 1600 in ihren Zunfthäusern kleine Tannenbäumchen mit Datteln, Nüssen und Äpfeln. Ebenso ist von Handwerksburschen in Basel überliefert, dass sie an Weihnachten mit kleinen Bäumen, die mit Äpfeln und Käse behängt waren, durch die Straßen zogen.

Anschließend verspeisten sie den Weihnachtsschmuck in geselliger Runde. Auch mit Papierbasteleien und Oblaten waren die Bäume damals geschmückt. Im Laufe des 17. Jahrhunderts hielt der Weihnachtsbaum seinen Einzug in die Häuser wohlhabender Familien. Doch Tannenbäume waren selten und teuer, nur reiche Leute konnten sie sich leisten.

Von Europa aus eroberte der Weihnachtsbaum die Welt

Mit brennenden Kerzen soll der Weihnachtsbaum erstmals im Jahr 1611 von der Herzogin Dorothea Sibylle von Schlesien bestückt worden sein. Die ersten Weihnachtsbaumkugeln aus Glas wurden um 1830 gefertigt. Etwa 50 Jahre später begann man, die Bäume mit Lametta zu behängen.

Parallel dazu entwickelte sich ein mehr oder weniger festes Heilig-Abend-Programm: Baum schmücken, Warten auf das Christkind, Auspacken der Geschenke. Von Europa aus eroberte der Weihnachtsbaum die Welt: 1781 kam er nach Kanada. 1848 brachte ihn ein deutscher Einwanderer in die USA. So war es auch in New York, wo man 1882 zum ersten Mal einen elektrisch beleuchteten Weihnachtsbaum aufstellte.

Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert kam der Weihnachtsbaum in den Wohnstuben der "normalen" Leute an. Zu Beginn der 1920er Jahre hatte jede Familie einen Baum an Weihnachten zu Hause stehen. Inzwischen hat sich der Weihnachtsbaum nahezu weltweit etabliert.

Vom Waldbewuchs zur Monokultur

Mit der Kultivierung von Weihnachtsbäumen erschloss sich eine neue Marktnische für Forst- und Landwirtschaftsbetriebe. So pflanzte man gegen Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund wachsender Nachfrage die ersten Tannen- und Fichtenwäldchen. Heute werden die meisten Weihnachtsbäume auf Plantagen kultiviert. Ihrem Anbau wird in Deutschland eine Fläche von 50.000 bis 75.000 Hektar zur Verfügung gestellt. Rund 90 Prozent befinden sich in Schleswig-Holstein, NRW und Niedersachsen. Südwestfalen, einschließlich dem Sauerland.

Die Bäume werden meist im Alter von 8 bis 12 Jahren geerntet. Zehn Jahre braucht ein Baum, bis er zwei Meter hoch ist. Auf den konventionellen Plantagen werden die Bäume mehrmals im Jahr mit Insektiziden und Herbiziden gegen Läuse und Milben gespritzt. Mineralische Düngung soll dafür sorgen, dass sie gleichmäßig wachsen und sich ihre Nadeln intensiv grün und blau färben. Die Ansprüche des Kunden werden immer größer, so die Erfahrung eines Händlers, der in Hamburg Weihnachtsbäume verkauft. Gefragt sind Tannen, die aussehen wie aus dem Bilderbuch.

Foto: Susanne Aigner

Formschöne Weihnachtsbäume werden zum Beispiel auf dem Gut Dobersdorf in Ostholstein produziert Hier wachsen auf einer Gesamtfläche von über 300 Hektar 260.000 Holsteintannen. Ihre Abnehmer kommen aus ganz Europa. Während in städtischen Ballungsgebieten volle Bäume bevorzugt würden, seien in Südtirol schlanke, offene Bäume erwünscht, weil große Dinge wie Äpfel drangehängt würden, berichtet der Gutsherr.

Seine Bäume erhalten einmal im Jahr einen Korrektur- und Formschnitt. Vier Mal im Jahr werden sie gedüngt, außerdem chemisch behandelt. Auf dem Gutshof Kühren, der 150 Hektar Anbaufläche umfasst, spritzt man zusätzlich Herbizide. Rund 8400 Nordmanntannen passen auf einen Hektar.

Tannenbäume - ökologisch

Es geht auch anders. Zwar fristet der ökologische Weihnachtsbaum noch ein Schattendasein im wachsenden Ökomarkt - doch er findet immer mehr Abnehmer. Die Bäume werden von Hand gepflegt und frisch geschlagen, ohne vorherige wochenlange Lagerung. Anstatt Pestizide zu nutzen, werden die Flächen vom Aufwuchs mechanisch freigehalten. Auf diese Weise überleben nützliche Insekten, die die Schädlinge in Schach halten.

Auch die Beweidung von Weihnachtsbaumkulturen mit Nutztieren hat sich bewährt. Die englischen Shropshireschafe zum Beispiel fressen rund um die Bäume Gras und Kräuter ab, ohne die Tannenzweige anzurühren. Bis zu zehn Tiere können einen Hektar beweiden. Sie verringern den Befallsdruck mit Schädlingen, gleichzeitig düngen die Tiere die Bäume mit ihren Ausscheidungen. In der Schweiz nutzt man außerdem robuste Ungarische Wollschweine als Rasenmäher in Weihnachtsbaumkulturen.

Selbst geschlagen und aus der eigenen Region

Fünf Prozent der im letzten Jahr verkauften Bäume - meist Fichten, Weißtannen und Kiefern - kamen direkt aus dem Wald. Die naturnahe Waldbewirtschaftung verzichtet auf Chemikalien. Das schützt Boden und Grundwasser vor Verschmutzung. Manche Betriebe werben mit besonders nachhaltigem Anbau von Weihnachtsbäumen. Wer einen Bio-Baum sucht, sollte die Produktionsweise hinterfragen, denn nachhaltig bedeutet nicht unbedingt Bio.

Manche Gütesiegel könnten Verbraucher zu irrigen Annahmen verleiten. So wirbt Fair forest mit der Einhaltung ökologischer Standards von Bäumen aus dem Sauerland. Kritiker bemängeln, dass nur auf bestimmte Gifte wie Tallowamine verzichtet werde, ansonsten würden die Bäume ganz normal bewirtschaftet.

Foto: Susanne Aigner

In jedem Fall aber wirken sich kurze Transportwege positiv auf die Ökobilanz der Bäume aus. So geht der Trend hin zu Weihnachtsbäumen aus regionalem Anbau. Auf dieser Karte sind alle Betriebe in Deutschland und darüber hinaus eingezeichnet, die Weihnachtsbäume zum selber schlagen anbieten.

Zertifizierte Bäume aus ökologischem Anbau erkennt man am FSC- bzw. am Naturland- oder Bioland-Siegel. Eine aktuelle Liste von Robin Wood informiert über ökologische Weihnachtsbaum-Produzenten. Bioland hat eine eigene Liste mit Erzeugern von Bio-Tannen veröffentlicht.

Übrigens: Für Menschen mit schmalem Geldbeutel geht Weihnachten auch ohne Tannenbaum. Ein paar Reisigzweige in einer Vase, geschmückt mit Stroh- und Papiersternen - das bringt weihnachtliche Stimmung ohne großen Aufwand. Das Immergrün der Tannenzweige als Symbol des Lebens wäre übrigens auch ein Anlass, sich daran zu erinnern, dass unsere technische Konsumwelt mit Leben nicht immer respektvoll umgeht - und das nicht nur bei der Produktion von Weihnachtsbäumen.