Weißes Haus: Missglückte Transparenz über Drohnenkrieg

Mit zwei GBU-12 226kg Laser-gelenkten Bomben und vier Hellfire Luft-Boden-Raketen bewaffnete MQ-9 "Reaper" in Afghanistan. Bild: U.S. Air Force

Ein Bericht listet die Zahl der getöteten Zivilisten auf. Die Zahlen gelten als unglaubwürdig, die Drohnenangriffe in Afghanistan, Syrien und im Irak wurden nicht berücksichtigt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am vergangenen Freitag veröffentlichte das Weiße Haus zum ersten Mal Zahlen zu zivilen Opfern, die im Laufe des Drohnen-Krieges während der Präsidentschaft Barack Obamas getötet wurden. Laut dem dreiseitigen Papier fanden im Zeitraum 2009 bis 2015 473 Drohnen-Angriffe in Pakistan, Libyen, Somalia und dem Jemen statt. Dabei wurden angeblich zwischen 2.372 und 2.581 "terroristische Kämpfer" sowie 64 bis 116 Zivilisten getötet.

Die veröffentlichen Zahlen werden von Beobachtern und Kritikern stark hinterfragt. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass selbst die konservativsten Schätzungen zu zivilen Drohnen-Opfern die Angaben des Weißen Hauses übertreffen. Laut dem The Bureau of Investigative Journalism (TBIJ), einer in London ansässigen Journalisten-Gruppierung, wurden im genannten Zeitraum in den besagten Staaten über 800 Zivilisten durch Drohnen-Angriffe der USA getötet. Würde man die Bush-Administration einbeziehen, würde die Zahl ziviler Todesopfer bei über 1.000 liegen.

Des Weiteren kam das TBIJ zum Schluss, dass lediglich vier Prozent der identifizierten Drohnen-Opfer aus Pakistan Mitglieder von Al-Qaida gewesen sind. Das Narrativ der präzisen Drohne, die lediglich Terroristen tötet, ist demnach weiterhin ein Mythos, der in den Köpfen westlicher Politiker existiert und mit dem nun veröffentlichten Papier ein weiteres Mal veranschaulicht wird.

"Die Veröffentlichung dieser Daten ist ein willkommener Schritt in Richtung mehr Transparenz. Allerdings haben wir weiterhin keine Informationen zu einzelnen Angriffen, speziell zu jenen, die laut unserer Beobachtung eine hohe Anzahl von Zivilisten getötet haben. Das macht es für uns unmöglich, unsere Zahlen mit jenen des Weißen Hauses zu vergleichen", meint etwa Jack Serle vom TBIJ.

"Das Weiße Haus hat seine Angaben nicht einmal nach Jahr oder Land geordnet. Dadurch können wir weiterhin nicht einschätzen, inwiefern der Drohnen-Krieg seit Obamas erstem Angriff am 23. Januar 2009, bei dem mindestens neun Zivilisten getötet wurden, fortgeführt wird", fügt Serle hinzu.

"Sie wissen selbst nicht, wen sie umbringen"

Offen steht auch weiterhin die Frage, was einen Zivilisten oder einen "terroristischen Kämpfer" ausmacht. Schon vor einigen Jahren wurde bekannt, dass laut der US-Administration jede männliche Person im wehrfähigen Alter im Umfeld des Angriffsgebiets einen "feindlichen Kämpfer" darstellt. Diese Praxis degradiert etwa jeden Afghanen, Somali, Jemeniten oder jeden anderen Mann, der von einem Drohnen-Angriff getroffen wird, zum Terroristen.

"Die veröffentlichten Zahlen sind zu niedrig. Sie ändern nichts und sind auch nichts Neues. Die CIA hat schon zuvor ungenaue Zahlen veröffentlicht. Und warum wird hier überhaupt von 64 bis 116 Opfern gesprochen? Meiner Meinung nach macht das nur deutlich, dass sie selbst nicht wissen, wen sie umbringen", meint Mirza Shahzad Akbar, ein pakistanischer Anwalt. Akbar ist bekannt dadurch geworden, Drohnen-Opfer juristisch zu vertreten.

Weißes Haus: Missglückte Transparenz über Drohnenkrieg (7 Bilder)

MQ-1A "Predator" mit Hellfire Luft-Boden-Raketen. Bild: U.S. Air Force

"Die genannten Zahlen betreffen vier Staaten. Allerdings wurden allein im Jahr 2006 mindestens achtzig Schulkinder durch einen einzigen Drohnen-Angriff in Pakistan getötet", betont Akbar, der unter anderem mit der britischen Menschenrechtsorganisation Reprieve zusammenarbeitet. Akbar wurde bereits drei Mal die Einreise in die USA verwehrt. Genaue Gründe wurden nie genannt. Allerdings ist es offensichtlich, dass das Handeln der US-Behörden mit Akbars Arbeit zu tun hat.

Im nun veröffentlichen Bericht befinden sich keine Angaben zum Irak, Syrien oder Afghanistan. In allen drei Staaten gehören Drohnen-Angriffe zum Alltag. Afghanistan ist weiterhin das am meiste von Drohnen bombardierte Land der Welt. Die US-Administration weist in diesem Kontext darauf hin, dass diese Länder als sogenannte "konventionelle Kriegszonen" gelten.

USA haben Präzedenzfall geschaffen

Vor wenigen Tagen wurde der US-amerikanische Journalist Bilal Abdul Kareem zum Ziel eines Drohnen-Angriffs nahe Aleppo. Abdul Kareem, der zu den letzten westlichen Reportern vor Ort gehört, überlebte den Anschlag, weiß jedoch weiterhin nicht, wer dafür verantwortlich gewesen ist.

Bewaffnete Drohnen werden in Syrien sowohl von den USA als auch von Russland, dem Iran sowie Großbritannien benutzt. Für den versuchten Mordanschlag macht Abdul Kareem jedoch hauptsächlich die USA verantwortlich. Diese, so Abdul Kareem, haben immerhin den Präzedenzfall für derartige Attentatsangriffe geschaffen.