Weltweit Spaßversteher

Nach dem Anschlag von Paris: Warum der kleinste gemeinsame Nenner zu klein ist

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Viel Solidarität ist jetzt auf Papier zu finden, in diesen Tagen nach dem 7. Januar. Viel zu viele punkten derzeit ohne vorherige Leistung, ohne einen nachprüfbaren Beitrag zur Zivilgesellschaft, reiten auf der momentanen Welle der Empörung. Ganz Eifrige suchen emsig gar nach Anhaltspunkten von Humor im Islam, um sich und jedermann zu beweisen, dass es dort beileibe nicht nur finstere Gottergebenheit gibt, sondern auch drollige Sachen, ganz nach unserem Geschmack.

Der Islamprofessor Georges Tamer von der Universität Erlangen-Nürnberg wird im Kölner Stadt-Anzeiger gerade zitiert. Er betont, dass Muhammad ein Mann war, der "mit seinen Anhängern gern scherzte". Um den mehrheitsverdächtigen Spaßfaktor zu untermauern, liefert das Kölner Blatt dazu ein Foto des Comedy-Ensembles "Allah made me funny" und titelt: "Lustige Muslime". Gemeint sind die drei Protagonisten der von Amerika aus agierenden Fun-Truppe. Die werden auf die Weise ungefragt zu Vorzeige-Moslems hochstilisiert, Hauptsache "funny".

Wir sind alle irgendwie funny, möchte man meinen, "what the world needs more than ever is a good laugh" so Allah made me funny. Aber Moment, ist das die Lehre aus Paris?

Seit dem 7. Januar plappern alle zwar den Satz nach, der mit "Je suis …" anfängt. Ich bin Charlie, du bist Charlie, alle sind Charlie, Kind und Greis, Politiker und Papst. Wer was auf sich hält, bekennt sich zu und als Charlie und als liberaler Spaßversteher. Das Blutbad von Paris hat alle zusammenrücken lassen, international, es brachte einen gemeinsamen Nenner hervor. Modern: Dank einer Gratis-Kondolenz-App kann jedermann sich weltweit in Sekundenschnelle gebührenfrei solidarisch zeigen.

Nun aber noch die Frage: Wo waren alle die entflammten Journalisten, Politiker, Blogger und der Rest der erwachten Menschheit vor dem 7. Januar? Was waren die alle, wenn nicht Charlie? Waren es vielleicht Dummbeutel, Unentschlossene, Leisetreter, Duckmäuser, Schleicher, Gelegenheitsdemokraten? Sind wir jetzt plötzlich alle miteinander mündig? Durch islamistische MG-Salven aus dem okzidentalen Tiefschlaf gerissen? Zu unbedingter freiheitlich-demokratischer Entschlossenheit empört und gereift?

Eben das ist es, was Zweifel hinterlässt. Zweifel an der Echtheit der Solidarität, die jetzt oberflächlich triumphiert. Die Oberfläche sagt schließlich wenig aus über das Innenleben der Demokratie, zeigt nicht die Innenseite der Spaßgesellschaft, nicht den Reifegrad der Freiheit. Was die hehren Ideale hinter der Konsenskulisse wirklich und vor allem nachhaltig taugen mögen - das ist der springende Punkt! Das beweist sich allerdings nicht in flottem (und leider oft unverbindlichem) Aktionismus, sondern in der Mühle des Alltags, im beschwerlichen politischen und gesellschaftlichen Prozess. Und den gibt es auch weiterhin in West und Ost, unter Christen und Muslimen, vor und nach Paris.

Das weiß im besten Fall auch Charlie.