Wendepunkt Mars

Nach dem Scheitern zweier Missionen zum roten Planeten überdenkt die NASA ihre Strategie

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Die NASA leckt ihre Wunden. Nach dem Scheitern zweier ambitionierter Missionen zum Mars innerhalb kurzer Zeit ist das gesamte Mars-Programm der NASA von verschiedenen Untersuchungskommissionen eingehend untersucht worden. Auf dem Prüfstand standen damit aber nicht nur die Erkundung des roten Nachbarplaneten, sondern die gesamte, von NASA-Chef Dan Goldin betriebene Politik, die unter dem Schlagwort "Faster, Better, Cheaper" (schneller, besser, billiger) bekannt geworden ist.

Als Goldin im Jahr 1992 den Vorsitz der amerikanischen Raumfahrtbehörde übernahm, litt die unter Kostenexplosionen und einer schwerfälligen Bürokratie. Dagegen verordnete er eine einfache, aber harte Therapie: Programme, die ihr Budget überschritten, mussten fortan damit rechnen, eingestellt zu werden - ohne Ausnahme. Goldin drohte sogar damit, die Saturn-Sonde Cassini aufzugeben oder notfalls auch das gesamte Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena, Kalifornien, zu schließen, das seit über 40 Jahren für die NASA interplanetare Raumfahrtmissionen durchführt.

Die Therapie wirkte: Statt wie früher nur an ein oder zwei größeren Missionen zur selben Zeit zu arbeiten, steigerte das JPL diese Zahl auf über 20. Doch es fehlte an erfahrenen Projektleitern, die diese große Zahl verschiedener Programme betreuen konnten. So konnte der Heilungsprozess kaum ohne Nebenwirkungen abgehen. Die erreichten mit dem Verlust des "Mars Climate Orbiter" im vergangenen September und des "Mars Polar Lander" knapp drei Monate später einen negativen Höhepunkt, der eine eingehende Prüfung der bisherigen Praxis erforderlich machte.

Das Ergebnis: Eine Unterfinanzierung von etwa 30 Prozent und mangelhafte Kommunikation zwischen dem JPL und dem NASA-Hauptquartier waren die Hauptursachen für das Scheitern der Mars-Missionen. Dan Goldin hat die Verantwortung dafür übernommen. "Ich habe zu viel Druck gemacht", gesteht er ein. "Es steckte keine Absicht oder Boshaftigkeit dahinter. Ich habe an die Vision geglaubt. Aber möglicherweise musste das unvermeidlich zum Scheitern führen."

Diese Einschätzung wird geteilt von Donna Shirley, die beim JPL von 1994 bis 1998 das Mars-Programm leitete und unter anderem für die erfolgreiche Pathfinder-Mission verantwortlich war. Ihrer Erfahrung nach habe es bei NASA-Managern an der Bereitwilligkeit gemangelt, schlechte Nachrichten zur Kenntnis zu nehmen und weiter zu geben. Der Einzige, auf dessen Aufmerksamkeit sie zählen konnte, sei Goldin selbst gewesen. Die meisten Mitarbeiter bei der NASA hätten sich aber nicht getraut, sich an ihn zu wenden. "Wenn man Dan die Fakten präsentierte, stimmte er im allgemeinen zu", sagt Shirley. "Aber er setzte einen so stark unter Druck, wie er nur konnte. Und wenn er seine Leute auf diese Weise bedrängte, hatten sie Angst, 'nein' zu sagen."

Nach und nach wurde so eine typische NASA-Tugend ausgehöhlt, die Shirley in ihrer 30jährigen Karriere bei der Weltraumbehörde kennen und schätzen gelernt hatte: die aktive Ermunterung der Mitarbeiter zum Widerspruch. Die Folge sind Kommunikationsprobleme und Erstarrungstendenzen, die nicht nur das Mars-Programm und andere interplanetare Missionen, sondern offenbar die gesamte NASA betreffen. So wird auch in einem Gutachten der National Academy of Sciences über zukünftige biotechnologische Forschungen auf der Internationalen Raumstation beklagt, dass die gegenwärtige NASA-Kultur die Kommunikation und Koordination zwischen verschiedenen Abteilungen eher hindere als fördere.

In einer offeneren Kommunikationskultur hätte der als "zurückhaltend" charakterisierte Techniker, dem Unstimmigkeiten bei der Flugbahn des Mars Climate Orbiter aufgefallen waren, sich möglicherweise mehr Gehör verschafft. Stattdessen erwähnte er das Problem lediglich in einer Email und verfolgte die Angelegenheit nicht weiter, als er keine Antwort erhielt. So wurde eine Chance vertan, den Softwarefehler, der schließlich zum Verlust der Sonde führte, noch rechtzeitig zu bemerken und zu beheben: Ein schlecht ausgebildeter, junger Mitarbeiter hatte bei der Kodierung der Navigations-Software nicht daran gedacht, Entfernungsangaben im Dezimalsystem zu erfassen.

Auch die Bruchlandung des Mars Polar Lander am 3. Dezember 1999 ist vermutlich auf einen Softwarefehler zurück zu führen, der das vorzeitige Abschalten des Triebwerks während des Landeanflugs bewirkte. Letzte Klarheit lässt sich darüber nicht gewinnen, da es keine Flugdaten gibt. Eine ursprünglich vorgesehene Telemetrie-Einheit, die diese Daten hätte liefern können, war aufgrund von Kosten- und Größenbeschränkungen gestrichen worden - eine Maßnahme, die in einem Gutachten als "großer Fehler" bewertet wurde.

Trotz der harten Kritik wird jedoch die Philosophie des "Faster, Better, Cheaper" an sich kaum in Frage gestellt. Zu den mehrere Milliarden Dollar teuren Sonden der siebziger und achtziger Jahre, mit Bauzeiten von über zehn Jahren führt kein Weg zurück. Anfangs standen zwar viele Wissenschaftler Goldins neuer Strategie skeptisch gegenüber. Doch inzwischen will niemand mehr die deutlich gestiegene Zahl von Forschungsmöglichkeiten und die höhere Flexibilität bei ihrer Durchführung missen.

Auch Klaus Berge, Projektleiter Raumfahrt beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), will von einem Ende des "Faster, Better, Cheaper" nichts wissen. Gleichwohl sei das Scheitern einzelner Missionen möglicherweise unvermeidlich gewesen, um die Grenzen dieser Sparpolitik zu erkennen. "Allerdings", räumt er ein, "kann man sich fragen, ob hierfür gleich zwei Missionen scheitern mussten." In Deutschland habe man mit dem Verlust des Röntgensatelliten "Abrixas" im vergangenen Jahr ähnliche Erfahrungen gemacht und entsprechende Konsequenzen daraus gezogen: "Wir haben daraufhin die Kontrolltätigkeit auf der Auftraggeberseite deutlich erhöht."

Ein bedenkenswertes Kriterium für die Bewertung von Dan Goldins Tätigkeit als NASA-Chef formulierte John M. Logsdon, Direktor des Space Policy Institute an der George Washington University in Washington, D.C., in einem Gastkommentar im Branchenblatt "Space News": "1990 hatte sich die NASA zur Zielscheibe des Spotts gemacht, nachdem sie das Hubble Space Telescope mit einem defekten Spiegel gestartet hatte. Nach den jüngsten Pannen ist die überwiegende Reaktion dagegen Bedauern statt Hohn gewesen." Das zumindest kann Goldin als Erfolg verbuchen.