Weniger sexueller Missbrauch von Kindern in der Familie

Neue Pfeiffer-Studie spricht von deutlichem Rückgang; Gefährdung der Kinder durch Täter außerhalb der Familie bleibt gleich; nur ein bekannt gewordener Missbrauch durch einen Priester

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In den 1980er Jahren wurde nur jeder zwölfte sexuelle Übergriff auf Kinder vor ein Gericht gebracht, heute muss jeder dritte Täter mit einem Verfahren rechnen - die erhöhte Anzeigebereitschaft wird von der aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) als eine Erklärung dafür angegeben, dass der interfamiliäre sexuelle Missbrauch von Kindern deutlich zurückgegangen ist.

Das hat die Auswertung einer Repräsentativstichprobe von 11.428 Personen der Altersgruppe 16 bis 40 ergeben. Sie wurde im aktuellen Jahr durchgeführt. Zum Vergleich wurde eine Studie aus dem Jahre 1992 herangezogen, ebenfalls durchgeführt vom KFN, mit 3.300 Personen. Abgeschlossen ist die sogenannte Dunkelfeldstudie erst 2013. Doch hat der KFN-Chef Pfeiffer schon heute einen Zwischenbericht ( Langfassung, zentrale Befunde) vorgestellt.

Im Zentrum des Berichts stehen die Anworten von 683 Personen, „die vor ihrem 16. Lebensjahr mindestens eine sexuelle Missbrauchserfahrung gemacht haben“. 473 haben nach eigenen Angaben sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt erlebt.

1992 hatten 8,6 Prozent der Frauen und 2,8 Prozent der Männer über die Erfahrung eines körperlichen sexuellen Missbrauchs bis zu ihrem 16. Lebensjahr berichtet. Dem stehen nun niedrigere Zahlen gegenüber, bei weiblichen Befragten 6,4% und bei männlichen 1,3%. Die Abnahme der Missbrauchshäufigkeit würde sich auch in den verschiedenen Altersgruppen, die 2011 befragt wurden, wiederfinden.

Neben der größeren Bereitschaft zur Anzeige der Täter wird die höhere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für die Opfer und die Abnahme der häuslichen Gewalt gegen Kinder als Erklärung angeführt. Insbesondere die Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts wird angeführt; körperliche Misshandlung von Kindern ist zusammen mit Vernachlässigung ein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch, so die Studie. Prügelnde Väter seien nicht selten auch Missbrauchstäter.

Männliche Familienangehörige, Väter, Stiefväter und Onkel, gehören zur häufigsten Tätergruppe - (bei männlichen Betroffenen 44,4%, bei weiblichen 39,6%) -, gleich danach werden die Bekannten, Erwachsene aus dem Umfeld der Eltern, Nachbarn, Freunde, erwähnt (bei männlichen Betroffenen 25,3%, bei weiblichen 44,0%).

Nur in knapp jedem vierten Fall (23,3%) handelt es sich bei den Tätern um männliche unbekannte Personen. 1,8% der weiblichen Betroffenen und 16,9% der männlichen berichten von weiblichen Tätern, d.h. Jungen sind von sexuellem Missbrauch mit Körperkontakt durch weibliche Täter weitaus häufiger betroffen als Mädchen.

Der Rückgang des sexuellen Missbrauchs, so die Studie, betrifft vor allem innerfamiliäre Taten:

Das Risiko, von unbekannten Tätern missbraucht zu werden ist dagegen über die letzten drei Jahrzehnte weitgehend konstant geblieben.

Wie so oft liefern die Studien unter der Leitung von Christian Pfeiffer immer auch besondere Ergebnisse. In diesem Fall dürften sie die katholische Kirche freuen: Denn „nur eine einzige Person hat einen katholischen Priester als Täter des Missbrauchs benannt“.

Die Erklärung, die Pfeiffers Studie dafür erwähnt, dürfte den konservativen Kirchenfürsten allerdings nicht so recht schmecken. Die Studie argumentiert nämlich mit der Wirkung des Zölibats. Dabei beruft sie sich auf Ergebnisse einer Studie des John-Jay-College in New York zum sexuellen Missbrauch durch Priester.

Auch dort wird von einem starken Rückgang der Missbrauchsfälle durch Priester berichtet und dies damit erklärt, dass „der Anteil solcher Täter drastisch abgenommen hat, die ihre eigentliche Zielgruppe von erwachsenen Personen nicht erreichen konnten und sich deshalb ersatzweise an Kindern vergriffen hatten. Die Zahl der pädophilen Täter war dagegen über Jahrzehnte hinweg fast konstant geblieben. Möglicherweise hat hier die sexuelle Liberalisierung eine gewichtige Rolle gespielt, die es solchen Priestern, die sich nicht an den Zölibat halten wollten, zunehmend erleichtert hat, ihre eigentliche Zielgruppe von erwachsenen Personen als Sexualpartner zu gewinnen.“

Also eine ganz andere Argumentation, als sie etwa Kirchenvertreter während des Höhepunkts der Missbrauchsskandale angeführt haben, als sie die sexuelle Liberalisierung in der Folge von 1968 als missbrauchsförderndes gesellschaftliches Umfeld interpretierten. Die KFN will den Gründen noch genauer auf die Spur kommen.