Wenn doch nur das Wetter nicht so schlecht wäre

Unter jungen und gutqualifizierten spanischen Arbeitskräften soll ein regelrechter Boom ausgelöst worden sein, nach Deutschland zu gehen. Die Zahlen zeigen jedoch ein ganz anderes Bild

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Spanische Gastarbeiter sollen sich wieder aufmachen nach Deutschland. Das kann man dieser Tage häufiger lesen (hier, hier oder hier). Offensichtlich haben wir - wieder einmal - alles richtig gemacht. Der deutsche Arbeitsmarkt wurde durch die Hartz-Reformen gründlich flexibilisiert und die Auftragsbücher der Unternehmen sind so voll wie lange nicht mehr.

Gute Gründe also, für hochqualifizierte Spanier nach Deutschland zu kommen, um hier endlich einen der lang ersehnten gutbezahlten Jobs zu ergattern. Wer die Tagespresse aufmerksam studiert, wird das Gefühl nicht los, es sei eine regelrechte Völkerwanderung in Gang gekommen. Wer sich jedoch die Migrationszahlen einmal genauer ansieht, stellt schnell fest: Von einem Boom kann derzeit nicht die Rede sein.

In Spanien sind derzeit fast fünf Millionen Menschen auf der Suche nach einem Job. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 24,1 Prozent. Damit ist das Land trauriger Rekordhalter in der Eurozone.

Bei den Jugendlichen unter 25 Jahren ist sogar jeder Zweite betroffen. Für die Kanzlerin lag es daher auf der Hand, in Spanien darauf hinzuweisen, dass die guten Jobs auch woanders zu finden seien. Kurzerhand lud sie bei einer Rede in Madrid die spanischen Arbeitslosen ein, ihr Glück doch einmal in Deutschland zu versuchen. Seither wirbt die Bundesagentur für Arbeit um qualifizierte Arbeitskräfte für die deutschen Unternehmen.

Der Klimawandel als Plus für die Attraktivtität

Für diese Werbung muss derzeit sogar der Klimawandel herhalten. So ist auf der Webseite der Zentrale für Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur zu lesen, dass in Deutschland das mitteleuropäische Klima die Wetterlage und die Stimmung der Menschen bestimme. Letztere, so folgert die ZAV, könne nach den Vorhersagen der Klimaforscher in den nächsten Jahrzehnten eigentlich so schlecht nicht werden.

Von der Nordsee bis zu den Alpen soll es nämlich wärmer werden. Schon in zehn Jahren, so die übereinstimmenden Prognosen, haben wir toskanische Verhältnisse mit trockeneren Sommern, wärmeren Wintern und ausgiebigen Regenstrecken dazwischen.

Dass für viele, insbesondere hochqualifizierte Arbeitskräfte, nicht nur das mitteleuropäische, sondern auch das soziale Klima eine bedeutende Rolle spielt, scheint sich bei der Bundesagentur und auch bei der deutschen Regierung allerdings noch nicht herumgesprochen zu haben. Die bis vergangenes Jahr noch in Berlin lebende und nun wieder nach Spanien übergesiedelte freiberufliche Übersetzerin Maria Fernandez sagte gegenüber der in Berlin erscheinenden Wochenzeitung "Jungle World": "Hier in Spanien bezahle ich als Freiberuflerin monatlich zwischen 220 und 250 Euro, dafür bin ich kranken- und rentenversichert." Sie bevorzuge das spanische Gesundheitssystem, denn es garantiere allen eine staatliche Grundversorgung.

Integrationshilfen?

Gerade für die von der Bundesregierung und der Bundesagentur für Arbeit besonders hofierten hochqualifizierten Arbeitskräfte ist nicht nur der Lohn ausschlaggebend. Auch und insbesondere die soziale Absicherung spielt eine bedeutende Rolle, bei der Entscheidung für oder gegen einen Umzug in ein anderes Land. Deutschland hinkt dabei der Entwicklung im internationalen Vergleich eher hinterher. Projekte, wie es sie beispielsweise in Großbritannien gibt, bei denen für nachziehende Familien entsprechende Sprachkurse bezahlt würden oder es andere Integrationshilfen gibt, werden in Deutschland vergebens gesucht.

Die derzeit offiziell zur Verfügung stehenden Zahlen zeigen daher auch keine besonders stark ansteigenden Migrationsbewegungen aus Spanien nach Deutschland an.

So seien laut dem neuesten Migrationsbericht der Bundesregierung 21.701 Zuzüge und 16.071 Wegzüge aus bzw. nach Spanien für das Jahr 2010 registriert worden. Dies stellt 2,7 Prozent aller Zuzüge dar, aufgeteilt auf die verschiedenen Herkunftsländer. Im Vergleich zu 2009 stiegen die Zahlen der Zuzüge aus Spanien damit um 7,9 Prozent. Für Rumänien beispielsweise wird im gleichen Zeitraum eine Steigerung von 32,2 Prozent festgestellt.

Offensichtlich werden in den Redaktionen die Entwicklung der Migrationsbewegung aus Spanien hin zum deutschen Arbeitsmarkt deutlich überschätzt. Derzeit boomen allein - bislang zumindest noch - nur die spanischen Sprachschulen. So berichtet die spanische Zeitung El Pais, dass sich in Madrid derzeit 10 Prozent mehr Schüler für einen Deutschunterricht angemeldet hätten. Und auch das Goethe-Institut stellt eine zunehmende Nachfrage nach Deutschunterricht fest. Allerdings veranschlagt das deutsche Sprachinstitut etwa 400 Stunden Unterricht bis zum Erreichen des Nötigen Niveaus B1 und verlangt für eine solche Ausbildung etwa 3.000 Euro.

Ausbleibender Migrationsboom

Womit der Bogen zum sozialen Klima in Deutschland wieder geschlossen w erden kann. Denn, wer qualifizierte ausländische Arbeitnehmer nach Deutschland locken möchte, wird es nicht bei einer freundlichen Einladung belassen können. Vielmehr brauchen die arbeitssuchenden Menschen zusätzliche Unterstützung bei der Integration in das Land.

Wer dies nicht bedenkt, darf sich nicht wundern, wenn der Migrationsboom dann doch nicht kommt oder einfach in ein anderes Land geht. Großbritannien ist auch dafür ein gutes Beispiel. Nachdem Polen der Europäischen Union beigetreten war, machte sich ein Teil der gut ausgebildeten jungen Polen nicht auf den Weg nach Deutschland, sondern vielmehr nach Großbritannien. Erst nachdem in Deutschland nachgerechnet wurde, wie viel Kaufkraft auf diese Weise zusätzlich auf der Insel entstanden war, fragte sich ein Teil der deutschen Politik, warum der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder den polnischen Arbeitskräften eigentlich den Zuzug nach Deutschland verweigert hatte?

Ob sich allerdings bei der amtierenden deutschen Regierung eine andere Position durchsetzen wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Wer jedoch nur darauf hofft, dass demnächst das mitteleuropäische Wetter besser wird, scheint über keine vielversprechenden Konzepte zu verfügen.