Wenn jeder zum Terroristen wird: Enthüllung zu israelischen Kill-Zonen in Gaza

Seite 2: Zivilisten im Fadenkreuz

Ein israelischer Kommandeur beschrieb gegenüber Haaretz "Vorfälle, bei denen Zivilisten versuchten, Gebiete zu erreichen, von denen sie dachten, die Armee hätte sie verlassen, möglicherweise in der Hoffnung, dort zurückgelassene Lebensmittel zu finden".

"Wenn sie sich an solche Orte begaben, wurde auf sie geschossen, da sie als Menschen angesehen wurden, die unseren Streitkräften schaden könnten", sagte der Befehlshaber.

In dem Bericht wird auf ein kürzlich von Al Jazeera dokumentiertes Beispiel verwiesen, bei dem die israelischen Streitkräfte erklärten, sie hätten "einen Terroristen" angegriffen, der angeblich hinter einem Raketenangriff auf Südisrael steckte.

Israels Liste mit toten Hamas-Kämpfern

"Anscheinend war es eine weitere Nummer in der Liste von toten Hamas-Kämpfern", berichtete Haaretz.

Vor über einer Woche tauchte jedoch eine andere Dokumentation des Vorfalls auf Al Jazeera auf. Sie zeigt vier Männer, nicht einen, die gemeinsam auf einem breiten Weg in Zivilkleidung gehen. Es ist niemand in der Nähe, nur die Ruinen der Häuser, in denen einst Menschen lebten. Diese apokalyptische Stille in der Gegend von Khan Younis wurde durch eine laute Explosion durchbrochen. Zwei der Männer waren auf der Stelle tot. Zwei andere wurden verwundet und versuchten, weiterzugehen. Vielleicht dachten sie, sie seien gerettet, aber Sekunden später wurde eine Bombe auf einen von ihnen geworfen. Man kann dann sehen, wie der andere auf die Knie fällt, und dann, ein Knall, Feuer und Rauch.

Ein ranghoher IDF-Offizier sagte der israelischen Zeitung, dass die Personen, die unwissentlich die Tötungszone betraten, "unbewaffnet" gewesen sind und "unsere Streitkräfte in dem Gebiet, in dem sie umhergingen, nicht gefährdet haben". Es sei auch nicht klar, ob sie an dem Raketenangriff beteiligt waren.

Jeder in der Praxis ein Terrorist, der von IDF getötet wurde

Es ist durchaus möglich, dass Palästinenser, die niemals in ihrem Leben eine Waffe in der Hand gehalten haben, posthum in den Rang eines "Terroristen" erhoben werden, zumindest von der IDF,

… so Haaretz. Ein Offizier, der in Gaza diente, sagte der Zeitung: "In der Praxis ist ein Terrorist jeder, den die IDF in den Gebieten, in denen ihre Streitkräfte operieren, getötet haben."

Letzte Woche veröffentlichte Al Jazeera Videoaufnahmen, die zeigen, wie israelische Streitkräfte zwei unbewaffnete Palästinenser im nördlichen Gazastreifen niederschießen, von denen einer mit einem Stück weißen Stoff winkte. Es wird angenommen, dass sie eine israelische "Tötungszone" betreten haben.

"Das ist illegal"

Nach Angaben der Gesundheitsbehörden im Gazastreifen haben die israelischen Streitkräfte seit dem 7. Oktober mehr als 32.600 Menschen getötet. Ein Menschenrechtsbeobachter schätzte kürzlich, dass 90 Prozent der Getöteten Zivilisten waren, was der Schätzung des israelischen Militärs über das Verhältnis von Zivilisten und Kämpfern widerspricht.

"Ein Grund, warum die israelische Regierung, die Medien, die Biden-Regierung und andere versuchen, die Glaubwürdigkeit der Opferzahlen im Gazastreifen zu untergraben, ist die Tatsache, dass die Zahlen der IDF mit ziemlicher Sicherheit Quatsch sind", schrieb der außenpolitische Analyst Derek Davison in Reaktion auf den Bericht in Haaretz.

Brianna Rosen, leitendes Mitglied von Just Security, macht klar, dass die "Art und Weise, wahllos zu töten", wie sie in der Haaretz-Berichterstattung beschrieben wird, "illegal ist und weit hinter jedem Standard zurückbleibt, der den Schutz von Zivilisten garantiert".

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Online-Magazin Common Dreams. Dort findet er sich im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.