"Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen"

Brennende Fernseher, ein Helmut-Schmidt-Zitat und andere Impressionen von der Streaming Media Berlin 2001

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Die Streaming-Szene ist mit ca. 100 Ausstellern - darunter vielen internationalen Unternehmen wie Real Networks, Digital Island, Sun Mirosystems sowie den Berliner Unternehmen Altus, Energis, Level of Detail und webfree.com repräsentativ auf der Streaming Media Berlin vertreten, wie Wirtschafts- und Technologie-Senator Wolfgang Branoner zu verstehen gibt. Ein dreitägiger, hochkarätig besetzter Kongress (15.-17.Mai) schmückt das Ausstellerprogramm. Teuer waren die Eintrittskarten, deshalb sitzt man im eher intimen Ambiente beisammen. Täglich steht außer Gesprächsrunden zu Themen wie interaktives Fernsehen, Streaming-Media-Technologie, Streaming Audio, B2B-Geschäftsstrategien und Geschäftsmodelle im B2C, rechtliche Aspekte von Filmen und Musik sowie Syndication auch ein gemeinsames Mittagessen auf dem Programm.

Am Eröffnungstag ist Berlin wolkenverhangen. Wetterschau.de verspricht auch für die folgenden Tage alles andere als kalifornische Aussichten. Die Stimmung ist gedämpft als auf dem Weg zum Berliner Messegelände Plakate ins Auge fallen, die die Messe bewerben - in den U-Bahnhöfen, auf Straßen und Häuserwänden. "Sie verdienen Freiheit!" heisst es da. Und ein sonnenbebrilltes, in halbwegs mysteriöse Dunkelheit getauchtes Gesicht lässt die Botschaft noch vieldeutiger erscheinen. Lange hinter schwedischen Gardinen gesessen und nun endlich Freiheit verdient? Verdient in diesem Sinne auszulegen, könnte nach jahrelanger Schufterei in der Dot.Com-Industrie auch folgendes bedeuten: "Börsencrash, gleich Freiheit. Plink-Slip-Parties, ich komme!" Aus Arbeit macht frei, wird Arbeitslosigkeit macht frei. Wie die Werbeagentur es gemeint hat, kann man auch noch diskutieren. Denn zum Spekulieren bleibt ausnahmsweise Zeit. Schließlich muss man sich schon fragen dürfen, was die Messe zum Internet-Hype in Zeiten der Krise ausrichten kann. Und da schalten wir lieber einen Gang runter.

Auch auf dem Panel zum Thema "Content" verzichtet man auf die übliche Rede von der E-Speed-Oekonomie. Die Blase des rasanten Wachstums ist verpufft. Mittlerweile klagt man über Langsamkeit, wie Katrin Brunner von Kirch New Media, der die Entwicklungen der UMTS-Technologie einfach nicht schnell genug gehen. Dennoch wird nicht auf Floskeln aus dem Pionierjargon verzichtet. Noch immer sei alles möglich, wie der Medienunternehmer Thomas Aigner zu verstehen gibt. Etwas diffus und vage bleiben jedoch die Aussichten in Bezug auf die Streaming-Sparte. Etwas zu allgemein geben die Experten, wie die ReferentInnen vom Moderator fortwährend genannt werden, ihre Meinung zum Stand der Dinge zum Besten. Als Subtext zum oft vernommenen Schnack über visionäre Medienkonzepte, ist dann doch immer wieder von Geld die Rede. Offensichtlich gebricht es an Business-Modellen. Wer noch als Dot.com im Rennen ist, wird die kommenden Jahre wohl kaum überleben. Kaum User in Sicht, die heute was für Streaming-Content bezahlen wollten. Auch nicht in naher Zukunft.

Auf dem Podium sitzt deshalb ein sichtlich ernüchterter Thierry Baujard, Geschäftsführer der CanalWeb Deutschland GmbH. Nach dem fulminanten Start in Frankreich ist seit der letztjährigen Expansion nach Deutschland und Spanien keine Erfolgsmeldung mehr zu Ohren gekommen. Schnell einigt man sich, dass Streaming nur als Ergänzung zu den vorherrschenden Formaten, aber nicht als ernstzunehmende Konkurrenz zu verstehen ist. Als es um Next Generation Entertainment geht, lässt Christoph von Schenck seine ZuhörerInnen wissen, dass die jüngeren Rückschläge am Neuen Markt alle Macher immerhin mit ungeheuren Erfahrungswerten zurücklassen. Und um seinen klaren Kopf unter Beweiss zu stellen zitiert er zum Abschluss Helmut Schmidt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen."

Am Rande des Kongresses hat sich derweil ganz unauffällig eine kleine Firma in Szene gesetzt. Kurz vor der Messe ging das nach dem Börsencrash gegründete Unternehmen Streamminister auf Einkaufstour. Auf diversen Mailinglisten wurden unter dem Motto "Streamminister kauft Fernsehen!" ganze 10 DM für Vintage-Fernseher angeboten: "Schwarz/Weiss oder Bunt, ohne Flackern oder mit - egal! Hauptsache das Ding läuft!" Eine leicht an Nam Jun Paik erinnernde Trash-Installation ist entstanden: Burn TV, Burn! Im Hintergrund läuft nicht ganz ironiefrei ein mit Softporn-Ästhetik aufgeladener Werbeclip, der das Logo der Firma vor einem aufbrausenden Flammenmeer rotieren lässt. Von IT-Managern, neuster Hardware und aufgemotzter Reklame umgeben, kommt an diesem "Strand" (auch dieser Versprecher zählt zur korporativen Selbstironie) etwas vom Bastlertum der Streaming-Mediapioniere zum Ausdruck. Aber auch der Verzicht auf unternehmerische Ideologie-Akrobatik. Immerhin handelt es sich bei Streamminister nicht um ein Dot.com, sondern lediglich um einen kleinen Dienstleister, der z.B. im Rahmen dieser Messe für meinberlin täglich um 16 Uhr Interviews mit Medien-Experten streamt. Das Helmut Schmidt-Zitat bleibt indes wie Schwaden eines erloschenen Feuers in den Hallen des Messegeländes stehen. Nichtsdestotrotz meldet sich der Streamingmedia-Kongress mit coolen Transparenten schon für das nächste Jahr an. Sprechstunden soll es auch 2002 geben.