Wer andere zu Barbaren erklärt ...

Adrienne Goehler lud in Berlin zur Diskussion über den Terror

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"Kommen jetzt die Barabaren?" So hätte die Frage des Abends schlagzeilenmäßig formuliert lauten müssen. In Wirklichkeit aber trug die Podiumsdiskussion am Donnerstag Abend das zivilisierte Motto: "Terror – Gefahren für das Zusammenleben der Kulturen."

Scharfe Kritik insbesondere an Gerhard Schröders Reaktion auf die Angriffe auf die USA brachte dort die Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler vor, die zu der Veranstaltung eingeladen hatte. Der Bundeskanzler müsse dafür kritisiert werden, wenn er sagt, dies sei "ein Angriff auf die gesamte zivilisierte Welt". Schließlich, so könnte man diese Äußerung interpretieren, die immerhin im Haus der Kulturen der Welt fiel, mag es ja auch Nationen oder Ethnien geben, die, obgleich zivilisiert, dennoch den USA nicht so eng verbunden wären, als dass sie sich von den Anschlägen mit betroffen fühlten.

Fast einmütig distanzierte sich das Podium von der Ergriffenheit der ersten Stunde und insbesondere von der pauschalen Verdächtigung islamistischer Religionsgemeinschaften. "Wer andere zu Barbaren erklärt, kann selbst so zivilisiert nicht sein" – dieses Sprichwort war am Abend gleich mehrere Male zu hören.

György Konrad, Präsident der Akademie der Künste, befand sogar, dass die in diesen Tagen wieder in den Blickpunkt geratene These Samuel Huntingtons, nach der die jüngsten Ereignisse als Ausbruch eines "Clash of Civilizations" zu deuten sei, nicht einmal der Mühe einer ernsthaften Auseinandersetzung wert sei (Szenario einer angeblich postideologischen multipolaren Welt). Als eine "urblöde Stereotype, die zu kritisieren keine große intellektuelle Herausforderung ist", bezeichnete er die Heraufbeschwörung der Existenz einer fundamentalistischen, dem Westen gegenüber feindseligen zweiten Kultur.

Und der Historiker Wolfgang Benz gestand freimütig ein, ihm mache heute die Martialität der Selbstgerechten am meisten Angst. Die Situation erinnere ihn an den Herero-Aufstand 1904: damals wurden dreißig- bis einhunderttausend Mitglieder des Bantustammes nach einem Aufstand in die Wüste getrieben; Zehntausende kamen dabei um. "Müssen wir", so sein Schluss, "nicht die Toleranz gegen unsere Politiker verteidigen, die so reden wie die Nibelungentreue?"

Selten hat man dieser Tage von halbwegs offizieller Seite so deutliche Kritik an den Solidaritätserklärungen mit den Amerikanern vernehmen können. Die Sorgen sind berechtigt: Denn, wie es einer der Diskutanten sehr schön sagte: "Die Stunde des Nebels ist die der Performativität." In der anfänglichen Verwirrung und Ergriffenheit werden Fakten geschaffen, die durch nachträgliche Reflexion schwer nur wieder aus der Welt zu schaffen sind.

Schließlich waren es vor allem amerikafeindliche Zwischenrufe und Einwürfe aus den Reihen des Publikum, die die Redner auf dem Podium dazu bewogen, sich dennoch zurückzunehmen. Es mag schon sein, räumte der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simon, ein, "dass die Amerikaner mit ihrer Politik Bedingungen geschaffen haben, die eine Voraussetzung dafür sind, dass da einige Leute jetzt tanzen. Dass es dieses Phänomen gibt, hat nicht nur Gründe, die in der Kultur liegen, sondern auch in nackter Not - das ist doch eigentlich schlechterdings nicht zu bestreiten. Aber das wir das hier auf dem Podium nicht artikuliert haben, hängt auch mit der Situation zusammen. Es ist doch ein bisschen geschmacklos, angesichts der Schwere der Ereignisse den Schuldigen dort zu suchen, wo das Opfer ist. Das ist in diesem Augenblick nicht besonders fein. Das sollten wir uns vornehmen für später."