Wer hat geschossen?

Und wer genau ist der Feind in Afghanistan? Frankreich: Nach dem Verlust von zehn Elitesoldaten bei einem Gefecht im staubigen Nirgendwo

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Sind französische Soldaten am vergangenen Montag durch amerikanisches friendly fire ums Leben gekommen?

Eine entsprechende Äußerung, die Verwundete nach einem schweren, verlustreichen Gefecht in Afghanistan gegenüber der Zeitung Le Monde gemacht hatten (siehe Hilflos ausgeliefert, hat in Frankreich für größere Unruhe gesorgt. Nach neuesten Medienberichten , die sich auf Aussagen von anderen Soldaten berufen, die ebenfalls an dem Gefecht teilnahmen, soll der verwirrende Kugelhagel allein auf gegnerische Kräfte zurückzuführen sein.

Indes scheint sich aber zu bestätigen, was der Le Monde-Artikel vom Montag zudem als möglich behauptete: Dass es sich bei den Angreifern nicht um Taliban, sondern wahrscheinlich um Getreue des Veteranen-Warlords Gulbudin Hekmatyar gehandelt hat, die um den Ort des Gefechts, Sorobi ( ca. 70km östlich von Kabul), herum ihre Hochburg haben sollen.

36 Prozent der Franzosen sind laut einer aktuellen Umfrage (PDF) dafür, dass die Mission in Afghanistan weitergeführt wird, weil man dort am Kampf gegen den internationalen Terrorismus teilnehme. Die große Mehrheit, 55 Prozent der Befragten (Telefoninterview am 20.August, Grundgesamtheit 1003 Teilnehmer), spricht sich gegen die Beteiligung am Militäreinsatz aus: Der Schock über die am Montag erlittenen schweren Verluste der französischen Armee zeigt Wirkung.

Kugelhagel im sinnlosen staubigen Nirgendwo

Da die Verwundeten vom Montag gegenüber der Tageszeitung Le Monde zudem Aussagen machten, die der offiziellen Darstellung zuwider liefen und nicht nur gravierende Fehler in Vorbereitung und der Unterstützung beklagten, sondern darüber hinaus andeuteten, dass die Unterstützung aus der Luft mit ihren Schüssen "ihre Ziele verfehlten und französische Soldaten trafen", fügte dem strategisch wenig bedeutsamen Gefecht im staubigen Nirgendwo eine weitere sinnlose Gemeinheit hinzu.

Doch meldeten sich jetzt Mitglieder des Eliteverbands, der in Calvi (Korsika) stationiert ist, ebenfalls zu Wort und berichtigten als Kampfbeteiligte gegenüber der Zeitung La Nouvelle Republique die Darstellung ihrer verwundeter Kameraden, insofern sie von keinen Kugeln von der amerikanischen Luftunterstützung berichten, sondern von einem Kugelhagel erzählen, der von allen Seiten zu kommen schien, sobald die Aufklärungsvorhut die gepanzerten Fahrzeige des Konvois verlassen und den Anstieg des Passhügels begonnen hatte:

Wir waren beinahe am Pass, gegen 14 Uhr, als es losging: Kugeln von allen Seiten; wir ahben uns verstreut, aber Deckung war nicht zu finden.

Der Angriff, so führt die Zeitung die Zeugenaussagen aus, habe gleichzeitig der Vorhut am Anstieg wie dem Verband mit den Fahrzeugen weiter unten gegolten; ein doppelter Hinterhalt also, wie dies auch der Titel des Zeitungsartikels behauptet.

Verrat durch Afghanen?

Auch Florence Aubenas, die auch hierzulande durch ihre Entführung im Irak bekannte französische Journalistin (siehe Grauzone 007 im Irak), die derzeit als Afghanistan-Korrespondentin für den Nouvel-Observateur arbeitet, glaubt nach ihren Recherchen nicht an friendly Nato-Fire, das soll aber nicht heißen, fügt sie hinzu, dass diese Annahme auf jeden Fall falsch sei: "mais ça ne veut pas dire qu'elle est fausse".

Für die Luftwaffe sei es schwierig gewesen, hier einzugreifen, weil sich die Soldaten sehr nahe an den Guerillas befunden hätten. Da sich die Guerillas in diesem Kampf als bestens vorbereitet gezeigt haben, was im Gegensatz dazu bei dem Einsatz der Franzosen (die eingesetzte Einheit gilt obendrein als ruhmreiche Elitetruppe) angezweifelt wird, argwöhnt Aubenas einen Verrat durch Afghanen, die mit den französischen Soldaten zusammenarbeiteten. Hervorgehoben wird in vielen Berichten, dass die ersten Schüsse der Guerillas dem Führer des Aufklärungstrupps und dem Funker galten.

"Insurgencies" statt "Insurgents"

Während Aubenas von "insurgés" spricht, bezeichnen die meisten Presseberichte – einschließlich der interviewten Elitekämpfer der Parachutisteneinheit 8e RPIMa und der Statements von Mudschahedin - die Kämpfer aus dem Hinterhalt wie üblich als "Taliban". Nach Informationen des Guardian-Korrespondenten Jason Burke ist diese Identifizierung – nicht nur in diesem Fall – etwas leichtfertig. Da in der Gegend um Sorobi die Getreuen des altbekannten Hisb-i-Islami-Warlords Hekmatyar ihr Revier haben, sei es nur allzu wahrscheinlich, dass der Hinterhalt von Kämpfern dieser Gruppe gelegt worden sei.

Spezialisten der westlichen Allianz würden seit einiger Zeit schon darauf aufmerksam machen, dass es sich bei den Gegner der internationalen Truppen um einen komplexen Widerstand handele, der sich aus vielen unterschiedlichen – und unterschiedlich motivierten – Gruppierungen handelt, deren Zahl sicher in die Hunderte, vielleicht sogar in die Tausende gehen könnte. Mit teilweise nicht viel mehr als einer handvoll Mitglieder:

"It is probably better to talk about insurgencies than an insurgency," said one specialist with the United Nations in Kabul. "Some of these groups are just six guys and they hate the six guys from the next village."

Demnach können oft nur Ortskundige genau unterscheiden, wie die einzelnen Fäden des Widerstands-Netzwerks genauer beschaffen sind - welche Rolle dabei die Loyalität zu Warlords spielt, denen viele wie im Falle Hekmatyars seit Jahren treu sind, oder der Faktor der lokalen Interessen und Rivalitäten bzw. geschäftliche Interessen wie im Falle des lukrativen Drogenhandels. Zudem würden kriminelle Gangs von Talibanführern angeworben, um afghanische bzw. westliche Soldaten anzugreifen.

Laut Geheimdienstinformationen sollen auch die Taliban keine koheränte Einheit bilden. Selbst auf Führungseben soll es zu Streitigkeiten und Machtkämpfen über zentrale strategische und ideologische Zielvirgaben kommen. Allerdings würde die hervorragend funktionierende Medienarbeit der Taliban nach außen eine Einheit suggerieren., die einen psychologischen Vorteil verschaffe.