Wer regiert uns eigentlich?

Mitgliederschwund bei den Parteien, die noch schneller vergreisen als die Bevölkerung

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Von ehemals 2.3 Millionen Parteimitgliedern insgesamt haben 560.000 ihren Parteien seit der Wiedervereinigung den Rücken gekehrt. Dennoch glauben die Parteien ihrem Demokratieverständnis nach unverdrossen, für die politische Willensbildung ein wesentlicher Faktor zu sein. Die nun vorliegenden Zahlen zeichnen allerdings ein gänzlich anderes Bild. Außerdem ist fraglich, ob die von den Parteien gemachten Angaben nicht trotzdem noch geschönt wurden und etliche Mitglieder nur unter der Rubrik Karteileichen rangieren.

Seit 1990 haben die Parteien fast jedes vierte Mitglied verloren. Betroffen von diesem Mitgliederschwund sind fast alle politische Parteien außer den Grünen. Diese erschreckenden Angaben hat die Zeitschrift für Parlamentsfragen bei den Parteigeschäftsstellen ermittelt.

Besonders stark ist der Mitgliederrückgang bei den so genannten Volksparteien. Bei der SPD sank die Zahl der Mitglieder von 937.697 auf nur noch 734.667. Das allein ist ein Schwund von 21.7 Prozent. Noch dramatischer ist die Entwicklung bei der PDS zu beobachten, denn hier nahm die Mitgliederzahl um 68.5 Prozent ab. Von ehemals 280.882 Mitgliedern nach der Wende sind nunmehr zehn Jahre danach nur noch ganze 88.594 Genossen übrig geblieben. Ähnlich dramatische Schwundzahlen hat die FDP hinzunehmen, hier sind 64.9 Prozent verlustig gegangen. Das entspricht einer Zahl von 115.904 Mitgliedern, die der liberalen Partei den Rücken gekehrt haben. Der neue Parteivorsitzende Westerwelle kann damit lediglich auf 62.721 Mitglieder verweisen (Stand Ende 2000).

Die Mitgliederzahlen bei der CDU sind hingegen erwartungsgemäß beständiger. Konservative sind halt eher treue Seelen. In den letzten zehn Jahren musste sie nur einen Verlust von 6,3 Prozent ihrer Mitglieder hinnehmen. Hinter Frau Merkel stehen also immer noch 616.722 eingetragene Anhänger. Vergleichbar damit sind die Zahlen der Schwesterpartei CSU, die nur von 186.198 auf 178.347 Mitglieder schrumpfte. Damit sind der bayrischen Partei lediglich 4,2 Prozent abhanden gekommen.

Diesem Trend zum Trotz konnten lediglich die Grünen eine Steigerung melden: Um rund 20 Prozent ist in dieser 10-Jahres-Periode die Zahl der Mitglieder von 41.316 auf jetzt 49.488 angewachsen.

Starke Verluste hat die SPD in Hamburg und Bremen erlitten, während die CDU hauptsächlich das Vertrauen in den Neuen Bundesländern verloren hat. Neben den Mitgliederverlusten wurde deutlich, dass die Parteiarbeit von den über 40-jährigen Mitgliedern bestimmt wird, denn lediglich 5,2 Prozent der Mitglieder sind unter 30 Jahre alt. Vor zehn Jahren war dieser Anteil noch doppelt so hoch.

Diese Zahlen offenbaren, dass den Parteizentralen die Jugend weggebrochen ist und die Mitglieder zunehmend vergreisen. So sind inzwischen in der SPD mehr als 35 Prozent der Mitglieder über 60 Jahre alt. Angesichts dieser Zahlen muss man sich fragen, ob das Wahlsystem in Deutschland überhaupt noch der politischen Willensbildung der Bürger entspricht. Bislang bestimmen ausschließlich die Parteien, wer wählbar ist. Ein Direktmandat per Volksentscheid oder absolut freier und von Parteien unabhängiger Wahlen wäre unter diesen Umständen möglicherweise anzustreben.

Die Zahlen verdeutlichen ebenso die zunehmend spürbare Parteienunzufriedenheit der bundesdeutschen Bevölkerung, was insbesondere den bislang unverdrossenen - älteren - Parteigängern deutlich machen sollte, dass sie längst nicht mehr als demokratische Willensvertretung eines 80-Millionen-Volkes anzusehen sind. Dennoch sind die Parteien gefordert, mehr für die Mitgliederpflege im Osten zu tun, denn angesichts des Mitgliederschwundes und dem verstärkten Auftreten von rechtsradikalen Organisationen ist die Demokratie in höchsten Nöten.