Werden bald Flüchtlinge in unsere Wohnungen zwangseinquartiert?

Kundgebung Platz da! Mia san ned nur mia! in München, Juli 2015. Foto: Andrea Naica-Loebell

Deutschland braucht Wohnraum für Flüchtlinge - und für Einheimische

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Die Flüchtlingstrecks auf der Balkanroute reißen nicht ab. Tagtäglich transportieren die Medien viele Bilder von Geflüchteten-Kolonnen, die gesäumt von Polizei oder Soldaten zu Fuß durch Europa marschieren, das wenige Gepäck geschultert. Die erschöpften Menschen stapfen mit umgehängten Decken durch den Schlamm, durchwaten Flüsse und stehen frierend hinter Absperrungen.

Es ist Herbst in Europa, es wird kalt und kälter, das Sommermärchen ist vorbei, die europäischen Staaten versuchen sich erneut abzuschotten, sie veranstalten Gipfeltreffen und bauen Zäune oder Transitzonen. Humanitäre Fluchtkorridore werden von der Politik noch nicht einmal diskutiert.

An der deutschen Grenze warteten in den letzten Tagen immer wieder Hunderte durchgefrorene Menschen im Nieselregen stundenlang im Freien auf Brücken oder in nassen Wiesen stehend auf Einlass in die Bundesrepublik. Es herrschten chaotische Verhältnisse bei Temperaturen knapp über Null Grad. Die völlig überlasteten ehrenamtlichen Helfer und selbst Bürgermeister der grenznahen Gemeinde beschreiben die Situation als "humanitäre Katastrophe" und befürchten, dass bald das erste erfrorene Flüchtlingsbaby zu beklagen sein wird, wenn sich nicht rasch etwas ändert.

Der reguläre Zugverkehr Ungarn - Österreich - Deutschland über Salzburg ist immer noch bis mindestens 8. November eingestellt, und niemand übernimmt die Verantwortung für die Folgen.

Die EU schaut Elendstrecks durch Europa, zu, die nun über Serbien nach Kroatien und Slowenien ziehen. Der österreichische Staat bringt die Flüchtlinge dann mit Bussen an die deutsche Grenze bei Passau.

So landen die Flüchtlinge nach der Registrierung dieser Tage hauptsächlich in und rund um Passau in verschiedenen Hallen, die auf die Schnelle zu Notquartieren umfunktioniert wurden - oder in großen Zelten wie in Simbach am Inn. Dort schlafen sie zum Teil sogar auf dem Boden, weil es an jeder Infrastruktur fehlt.

Viele fragen sich inzwischen, warum München als Willkommens-Drehkreuz in diesen Tagen völlig außen vor bleibt, während an der Grenze offensichtlich die Struktur nicht funktioniert, aber das ist politisch wohl nicht gewollt.

Die bayerische Staatsregierung beschuldigt Österreich, sie nicht rechtzeitig informiert zu haben. Allerdings genügt ein Blick in die Medien, um zu sehen, dass nach wie vor Tausende Flüchtlinge auf der Balkanroute unterwegs sind, ausführlich wurde von der Überforderung des Kleinstaates Slowenien berichtet - es kam also kaum wirklich überraschen, dass diese Menschen nun die deutsche Grenze erreichten. Jetzt fordern die niederbayerischen Lokalpolitiker mehr Unterstützung und den Bau neuer Unterkünfte.

Erstaufnahmeeinrichtungen

Die nächste Station der Geflüchteten nach den Notquartieren sind die Erstaufnahmeeinrichtungen. In Sonderzügen wurden am Donnerstag 2.000 Personen von Passau in andere Bundesländer, konkret nach Köln, Saalfeld und Hannover, transportiert.

Zuweisungen erfolgen nach dem so genannten "Königsteiner Schlüssel", der sich nach Wirtschaftskraft und Bevölkerung der Bundesländer richtet, wobei zudem Kapazitäten und Herkunftsländer berücksichtigt werden (vgl. BAMF: Verteilung der Asylbewerber). Nach diesem Schlüssel soll Bayern rund 15 Prozent der Asylsuchenden aufnehmen.

Bislang wurden laut BAMF bundesweit dieses Jahr bis inklusive September 274.923 neue Asylanträge gestellt (davon 42.840 in Bayern). Wobei es einen enormen Antragsstau gibt, den der neue Chef nun beseitigen soll.

Eingereist sind seit Januar rund 575.000 Asylsuchende, bis Jahresende rechnet die Bundesregierung mit 800.000.Nachdem im Eilverfahren das umstrittene neue Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz beschlossen wurde, soll es künftig sehr viel mehr und schneller Abschiebungen geben.

Das betrifft vor allem Flüchtlinge aus den Balkan-Staaten, die zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden. Sie sollen sich künftig nur kurzfristig in Balkan-Sonderlagern aufhalten und schnell Deutschland wieder verlassen. Die erste dieser speziellen "Aufnahme- und Rückführungseinrichtungen" wurde im September im bayerischen Manching eröffnet.

Wie viele Asylsuchende noch einreisen und wie viele letztlich in Deutschland bleiben werden, kann nur geschätzt werden. Innenminister Thomas de Maizière hofft jetzt sehr rasch zehntausende Balkan-Flüchtlinge abschieben zu können. Aber auch alle anderen, deren Asylanträge abgelehnt werden, sollen zügig deportiert werden. Darunter auch die Afghanen, denn der Minister meint:

Wir sind uns mit der afghanischen Regierung einig, dass die Jugend Afghanistans und die Mittelschichtfamilien in ihrem Land verbleiben sollen und dort das Land aufbauen. (...) Viele, viele Summen an Entwicklungshilfe sind nach Afghanistan geflossen, da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben.

Das brandneue Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz sieht vor, dass Asylsuchende bis zu sechs Monate, solche aus sicheren Herkunftsstaaten bis zum Abschluss des Verfahrens, in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, wo ihr Asyl-Antrag bearbeitet wird.

Eine umstrittene Maßnahme, bislang galt eine maximale Verweildauer von drei Monaten in diesen Lagern, da dort sehr viele Flüchtlinge eng zusammenleben, und nichts zu tun haben, da sie in den ersten Monaten nicht arbeiten dürfen. Zudem ist die große Anzahl der Geflüchteten, die in diesen Gebäudekomplexen leben, den Anwohnern meist zu viel.

Die Lebensverhältnisse in der Münchner Erstaufnahmeeinrichtung Bayernkaserne machten vergangenes Jahr sogar bundesweite Schlagzeilen. Nach dem neuen Gesetz soll es wieder nur Sachleistungen und kein Taschengeld mehr für die Flüchtlinge geben, eine weitere Entmündigung - und eine klare Maßnahme zur Abschreckung, denn der Bundesinnenminister hält das Taschengeld für einen "Fehlanreiz für unberechtigte Asylanträge", den er nun beseitigt hat. Was bei den Geflüchteten, während dieser Kasernierung sicherlich die Stimmung nicht entspannt.

In München gibt es sechs staatliche Erstaufnahmestellen samt Dependancen mit insgesamt 2.850 Plätzen, die größte davon ist die Bayernkaserne mit bis zu 1.200 Bewohnern.

Gemeinschaftsunterkünfte

Im Anschluss an die Zeit in den Erstaufnahme-Lagern werden die Flüchtlinge per Zuweisungsbescheid in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Dort bleiben sie bis sie entweder Asyl-, bzw. Flüchtlingsschutz und damit eine befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen, oder subsidiären Schutz z.B. als Bürgerkriegsflüchtlinge.

Dazu kommen noch die Geduldeten, die ausreisen müssten, aber nicht können, z.B. weil sie krank sind oder die Papiere fehlen. Nach Angaben von Pro Asyl leben 86.000 Personen in Deutschland mit Duldung, zum Teil seit vielen Jahren.

Asylverfahren können sich über Jahre ziehen, das Lagerleben zermürbt die Betroffenen. Nicht alle Bundesländer handhaben die Lagerpflicht gleich, in Bayern wurde sie immer besonders rigide durchgesetzt. Hier dürfen nur Flüchtlinge, die ihren gesamten Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen bestreiten können, Familien mit minderjährigen Kindern nach der Entscheidung über den Asylantrag, oder Alleinstehende vier Jahre nach dieser Entscheidung in private Wohnungen ziehen.

Der Bayerische Flüchtingsrat machte 2014 eine LagerInventour und stellte fest:

Nach der Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung werden Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften in ganz Bayern untergebracht. Auch für diese sind die Bezirksregierungen zuständig. Solche Flüchtlingslager sind oftmals ehemalige Gasthöfe, ausgediente Kasernen, frühere Gewerbegebäude, Container- und Holzbaracken. Dort leben 60 bis 500 Personen auf engstem Raum. Bei einer individuellen Wohnfläche von sieben Quadratmetern pro Person leben Flüchtlinge in Mehrbettzimmern mit bis zu sechs Personen, teilen sich mit bis zu 50 Personen Küchen und Bäder und haben keinerlei Privatsphäre.

Das Leben in diesen Lagern wird von Flüchtlingen als extrem zermürbend empfunden. Sind sie anfangs noch froh, wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben und in Sicherheit zu sein, so wird die Lagerunterbringung mehr und mehr zur Belastung. Viele Flüchtlinge ertragen den tristen Alltag nicht und werden psychisch krank.

Zurzeit sieht es noch schlechter aus, denn viele der neu ankommenden Flüchtlinge werden erst einmal in Provisorien untergebracht. Berüchtigt sind inzwischen die Turnhallen und der damit angeblich verbundene massenhafte Ausfall des Sportunterrichts für die Schüler.

Abgesehen davon, dass die Unterbringung in einer Turnhalle für die Flüchtlinge nur für kurze Zeit zumutbar ist, findet der Schulsport fast überall statt. In Baden-Württemberg sind von 5.000 Schulen aktuell 30 bis 40 Turnhallen zweckentfremdet, und auch in Bayern findet Sport in der Schule "überwiegend regulär statt". Was stimmt: Die aktuellen Notlösungen sind unhaltbar, für Flüchtlinge genau wie für die Einheimischen.