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Wettlauf um den Mond: Geopolitik im All

Militärisches Wettrüsten im Weltraum und auf dem Mond mit bewaffneten Satelliten und Raumschiffen

Darstellung des Wettrüstens im Weltraum: Satelliten und Raumschiffe in Kampfposition über der Mondoberfläche, symbolisch für die zunehmende Militarisierung des Weltraums.

(Bild: KI-generiert)

Die Artemis-Accords definieren die neue Ära der Mondforschung. Sie spiegeln geopolitische Ambitionen und Rivalitäten wider. Ein Wettlauf um Ressourcen und Einfluss beginnt.

Mit seiner Slim-Mission wurde Japan letzte Woche die fünfte Nation, der die Landung auf der Mondoberfläche [1] gelang, nach der UdSSR, den USA, China und zuletzt im August Indien.

Das Rennen um den Mond: Mehr als nur Wissenschaft

Bei der Eroberung des Mondes hat damit die von den USA geführte Artemis-Gruppe weiter die Nase vorn. Manche sehen ein privates Wettrennen zum Mond, bei dem neben Elon Musk mit SpaceX und vielen Start-ups sogar die deutsche DHL liefern möchte.

Für andere geht es um die neue kosmische Front der klassischen Geopolitik und damit um die ultimative Überlegenheit im Kampf um eine globale Vormachtstellung.

Neues Schlachtfeld der Großmächte

Wir befinden uns mitten im zweiten Wettlauf zum Mond. So sieht es zumindest der BBC-Starreporter, Bestseller-Autor und Experte für Geopolitik Tim Marshall. Der Weltraum ist für Marshall das neue sicherheitspolitische, ökonomische und geostrategische Schlachtfeld der Großmächte.

Gesetzlich unreguliert stehe dort ein verheißungsvolles Eroberungsgebiet im Visier künftiger Geopolitik. Es geht um Ruhm, Rohstoffe und militärische Machtpositionen, die es als Erster zu besetzen gilt. Im Rennen sind die dominierenden USA, China und – abgeschlagen – Russland als Nachfahre der ruhmreichen Sowjet-Kosmonautik. Die Eroberung des Mondes ist dabei eine Priorität, der Sprünge zum Mars und in den Asteroidengürtel folgen sollen.

Technologische Meilensteine und geopolitische Ziele

Doch schon der Mond erweist sich als überraschend zäher Brocken, obwohl die Raketentechnologie mehr als 40 Jahre weiter ist und die Rechenleistung der Bordcomputer in den damaligen Apollo-Raumschiffen weit hinter den heutigen Waschmaschinen zurückbleibt. Ganz zu schweigen von den Fortschritten der Software dank der inzwischen entfalteten Informatik und ihrer neuen KI-Systeme.

Wie schon im Januar die NASA-Mondmission Peregrine ist Slim mit seinem Solarmodul (vorerst) gescheitert. Die Landekapsel Peregrine, die eigentlich am 23. Januar aufsetzen sollte, hatte schon beim Start Probleme und am Ende nicht mal genug Treibstoff, um die Solarzellen in die Sonne zu drehen.

Peregrin wurde entsandt, um für die NASA den Mond auszukundschaften. In den vergangenen Jahren waren schon japanische und 2019 der israelische Beresheet-Lander [2] sowie im August 2023 Russlands Luna-25 bei Mondlandeversuchen gescheitert.

Chinas aufstrebende Rolle in der Raumfahrt

Die erste weiche Mondlandung nach Luna 24 (1976) gelang 2013 den Chinesen: Chang'e 3 setzte weich auf [3], startete den Rover Yutu (Jadehase) und entdeckte gleich einen neuen Typ von Basaltgestein, weitere Missionen folgten.

Die finanziell schwergewichtige Mondmission Artemis war aktuell eher glücklos, sie wurde zuletzt bereits um ein Jahr auf 2025 (Mondumrundung-) und 2026 (Mondlandung von Menschen) verschoben.

Geopolitische Spannungen im Weltraum: Ein neues Kapitel

2030 plant China die Landung auf dem Mond und scheint auch mit seiner Raumstation "Himmelspalast" derzeit erfolgreicher zu sein als ESA und NASA, die sich auf der ISS in der Doppelmoral [4] ihrer Russland-Sanktionen verheddern. Erleben wir das Ende der (bislang relativ) friedlichen Erforschung des Kosmos, weil im Westen zunehmend kriegerische Geopolitiker das große Wort führen?

Tim Marshall: Geopolitik und die Macht der Geographie

Tim Marshall, der vielfach ausgezeichnete BBC-Experte für Außenpolitik, berichtete aus 40 Ländern, stürmte mit seinem Welterfolg "Die Macht der Geographie" auch deutsche Bestsellerlisten und provozierte einen Schlagabtausch über den Ukrainekrieg mit dem deutschen Perry-Rhodan-Spezialisten Nils Werber [5].

Schon in seinem Nachfolgewerk "Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert" (2021) widmete er das letzte Kapitel dem Weltraum. Zuletzt erweiterte er dieses Kapitel zu einem neuen Buch: "Die Geographie der Zukunft: Wie der Kampf um die Vorherrschaft im All unsere Welt verändern wird" (2023).

BBC-Mann Marshall sieht im US-Air-Force-Strategen Everett Dolman den großen Nestor der künftigen Astropolitik. Dolmann baut laut Marshall auf den Werken der geopolitischen Klassiker Mahan und Mackinder auf:

So wie Halford Mackinder 1904 schrieb: 'Wer den Osten Europas beherrscht, kontrolliert das Herzland', erklärt Dolman jetzt: 'Wer die niedrigen Umlaufbahnen beherrscht, kontrolliert den erdnahnen Raum; wer den erdnahen Raum beherrscht, kontrolliert Terra. Wer Terra beherrscht, bestimmt das Schicksal der Menschheit.'"

Die umstrittenen Artemis Accords: Ein geopolitischer Wendepunkt

Das von den USA dominierte Artemis-Programm sieht Marshall zwar durchaus kritisch: Die "sogenannten Artemis Accords"… "geben vor, die Leitlinien für Aktivitäten auf dem Mond auf den neuesten Stand bringen zu wollen." Ihr Text stamme größtenteils aus US-Produktion und formuliere daher vor allem die Vorstellungen, die man in den USA vom künftigen Weltraumrecht habe.

Der bislang gültige Weltraumvertrag (Outer Space Treaty) von 1967 proklamierte das Weltall als Allgemeingut aller Menschen: "Der Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper unterliegt keiner nationalen Aneignung durch Beanspruchung der Hoheitsgewalt, durch Benutzung oder Okkupation ..." und sei "Sache der gesamten Menschheit".

Das Artemis-Programm sieht das anders, kritisiert Marshall, die USA seien "... keineswegs der Ansicht, dass die Ergebnisse der Aktivitäten auf dem Mond gemeinsames Erbe der Menschheit seien, von dem alle profitieren sollen. Diejenigen, die den Artemis Accords zustimmen, müssen de facto die amerikanische Rechtsauffassung vom Mond- und Weltraumrecht akzeptieren."

Die ursprünglichen Signatarstaaten waren die USA, Kanada, Japan, Australien, Großbritannien, Italien und Luxemburg. Es folgten ihnen ein paar der üblichen westorientierten Länder: Israel, die Ukraine, Südkorea usw.

Aber mehr als 170 andere Staaten haben sich den 'Accords' nicht angeschlossen. China und Russland wurden sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Der amerikanische Kongress hat der NASA die Zusammenarbeit mit China verboten; und Russland wurde ausgeschlossen, nachdem die USA behaupteten, es würde amerikanische Spionagesatelliten auf gefährliche Weise verfolgen.

Tim Marshall

Die Bedeutung des Weltraumvertrags in der modernen Geopolitik

Dabei steht Weltraumstratege Marshall dem Outer Space Treaty sehr kritisch gegenüber, dem heute zentralen Dokument der internationalen Regeln im All. Marshall subsummiert ihn unter "die bestehenden Vereinbarungen", die aber seien "schrecklich veraltet", "viel zu unbestimmt", "Produkte des Kalten Krieges" und, das stößt ihm vielleicht besonders sauer auf, ohne das Britische Empire "nur von den Hauptkontrahenten verhandelt worden".

Sprich: Die Raumfahrtnationen UdSSR und die damals zurückliegenden USA einigten sich 1967 darauf. Was Marshall verschweigt: Bis heute ist der Outer Space Treaty das von den meisten (112) Staaten ratifizierte Weltraumrechts-Dokument überhaupt. Auch die deutsche Regierung [6] geht von seiner maßgeblichen Wirksamkeit weiterhin aus – obwohl sich Berlin im letzten Jahr der Artemis-Gruppe anschloss [7].

Von den UNO-Weltraumaktivitäten hält Geopolitiker Marshall nicht viel, sie kommen bei ihm praktisch nicht vor, lieber stellt er breit das NASA-geführte Artemis-Programm vor. Das wiederum fehlt fast völlig in den UNOOSA-Jahresberichten (2022 taucht es [8] in einer Bildunterschrift auf, https://www.unoosa.org/documents/pdf/annualreport/UNOOSA_Annual_Report_2020.pdf [9] die in Wien ansässige UNO-Organisation es in nur einem Satz).

Artemis und USSF (US Space Force)

Das von der NASA 2020 vorgestellte Artemis-Team war, so Marshall, primär bemüht um Diversität. Von den 18 Menschen waren die Hälfte weiblich, vier People of Colour und nur zehn waren aktive Soldaten.

Lastesel von Artemis wird das 2022 erfolgreich getestete NASA-SLS (Space Launch System), deren stärkste je gebaute Rakete, mit der Orion-Kapsel. Geplant ist für 2030 die Lunar-Gateway-Raumstation in der Mondumlaufbahn, von der aus die Mondstation leicht erreichbar wäre.

Die unter Ägide von Donald Trump 2019 gegründete USSF (US Space Force) soll als sechste Streitmacht neben Air Force, Army, Navy, Marines und Coast Guard die US-Basen Outer Space schützen.

Bereits 2008 demonstrierten die USA durch Abschuss ihres eigenen Spionagesatelliten USA-193, "der immerhin so groß wie ein Autobus war", die Wirksamkeit ihrer Antisatellitenwaffen. Die Chinesen hatten 2007 einen ihrer Wettersatelliten im All zerstört. "Die militärischen Kapazitäten der USA in diesem Bereich haben sich alljährlich verbessert", so Marshall.

Was die chinesische Gefahr angeht, ist Tim Marshall sich mit der USSF offenbar einig, denn bei deren Antisatelliten-Demonstration "waren die anderen weltraumfahrenden Nationen über die zahllosen Trümmerteile entsetzt, die dadurch freigesetzt wurden".

Als US-Präsident Bush Jr. seinen fetten Spionagesatelliten zerstören ließ, der zudem noch eine halbe Tonne Treibstoff an Bord hatte, fand Marshall dies weniger schlimme: "Trümmerteile wurden herumgeschleudert, wenn auch nicht im selben Maße wie ein Jahr zuvor beim Einsatz der chinesischen KVV. Peking und Moskau betrachteten die Operation Burned Frost als Fortsetzung von Amerikas Kalten-Kriegs-Aktivitäten im Weltraum."

Die Nato erweiterte 2019 ihre vertraglich definierten Einsatzräume auf das Weltall und eröffnete 2021 in der US-Basis Ramstein (Rheinland-Pfalz) das Nato Space Centre. Hier soll unter anderem über die Sicherheit westlicher Satelliten gewacht werden.

Der Nato-Gipfel 2021 erweiterte in aller Stille den entscheidenden Artikel 5 des Nato- Vertrags, der die Beistandsverpflichtungen der Bündnispartner enthält, um den Weltraum.

Tim Marshall

Weltraumkriege: Ein Szenario der Zukunft?

In seinem Kapitel über "Weltraumkriege" entwirft Tim Marshall ein mögliches Szenario für den ersten Waffengang zwischen Nato und Russland, dessen Raumfahrt er heute "im Rückwärtsgang" sieht: Die Russen wollen ihren Teil vom Kuchen der Mondrohstoffe und versuchen, bei der britischen Mondsüdpol-Station zu landen.

Die Briten haben sich dort am "Shackleton-Krater gemäß Artemis-Accords eine "Sicherheitszone" abgesteckt und blockieren listig die Landebahn. Die russischen Angreifer gehen in die Falle, ihr Landefahrzeug kracht in einen Rover und zerbricht: "Als das britische Rettungsteam den vorderen Teil untersucht, finden die Männer sechs tote Russen ...".

Soweit die kriegerischen Fantasien eines Geopolitikers, der auch im Outer Space vorwiegend die alten Kämpfe um koloniale und imperiale Vorherrschaft sehen kann. Eine Berufung auf den Weltraumvertrag fällt dem BBC-Strategen Marshall eigentlich nur dann ein, wenn die USA drohen, sich im erdnahen Raum als solare Highway-Patrol aufzuspielen.

Da verweist er (leider ohne Quellenangabe) auf ein "inzwischen freigegebenes ehemals geheimes Dokument der Amerikaner", wo das Pentagon "von einem unterirdischen Stützpunkt auf dem Mond" geschwärmt hätte, "wo ein Earth Bombardement System stationiert werden könnte".

Dagegen sind die russischen und chinesischen Pläne einer internationalen Mondstation [10] nach der Idee des "Monddorfes" des deutschen ESA-Direktors J.D. Wörner maßvoll und auch Berliner und ESA-Pläne weit friedlicher (sogar die DHL [11] steuert ihre werbewirksamen Moon-Boxen bei); sie sind zudem wohl weiter auf das Dokument bezogen, auf das auch Moskau und Peking gegenüber geplanten lunaren Artemis-"Sicherheitszonen"-Claims pochen:

Der Weltraumvertrag ist auch heute noch ein völkerrechtliches Schlüsseldokument für die friedliche Nutzung des Weltraums und die Rüstungskontrolle im Weltraum.

Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB) [12]

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9610621

Links in diesem Artikel:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_der_Mondmissionen
[2] https://raumfahrtmissionen.dlr.de/13-missionsbeschreibungen/32-beresheet
[3] https://raumfahrtmissionen.dlr.de/13-missionsbeschreibungen/38-chang-e-3
[4] https://www.socialnet.de/rezensionen/31730.php
[5] https://www.telepolis.de/features/Geopolitik-ist-wieder-en-vogue-Von-Putin-und-Dugin-zum-Revival-des-Empire-9589435.html
[6] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/regelbasierte-internationale-ordnung/voelkerrecht-internationales-recht/einzelfragen/weltraumrecht
[7] https://www.deutschlandfunk.de/deutschland-unterzeichnet-artemis-accords-106.html
[8] https://www.unoosa.org/documents/pdf/annualreport/UNOOSA_Annual_Report_2022.pdf
[9] https://www.unoosa.org/documents/pdf/annualreport/UNOOSA_Annual_Report_2020.pdf
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Mondforschungsstation
[11] https://www.mdr.de/wissen/mond-missionen-und-mondlandungen-in-zwanzig-vierundzwanzig-100.html
[12] https://sicherheitspolitik.bpb.de/de/m7/articles/m7-14