Wider die organisierte Verantwortungslosigkeit

Sie klingen wie Begriffe aus dem Ethikunterricht - aber Transparenz und Verantwortung können konkrete wirtschafts- und finanzpolitische Forderungen sein

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1832 wurde der Wittelsbacherprinz Otto Friedrich Ludwig König von Griechenland, das nach dem Unabhängigkeitskrieg auch deshalb viel Geld brauchte, weil ihm die Großmächte Gebietsausgleichszahlungen an den osmanischen Sultan aufgebürdet hatten, der durch die weggefallenen Möglichkeiten zur Steuereintreibung in den militärisch verlorenen Gebieten finanzielle Einbußen beklagte.

Den Prestigegewinn für das Haus Wittelsbach ließ sich die griechische Oligarchie mit drei Krediten bezahlen, die 1835, 1836 und 1837 aus der bayerischen Staatskasse gewährt wurden. Später deckte der pfälzische Landtagsabgeordneten Georg Friedrich Kolb auf, dass Ottos Vater, der bayerische König Ludwig I., diese drei Kredite an Griechenland ohne Zustimmung der Ständeversammlung gewährt hatte, was dazu führte, dass man die Schulden in Höhe von 1.233.333 Gulden und 20 Kreuzer (für welche die Griechen ab 1842 Zinsen und Tilgung verweigerten) vom Steuerzahler auf die königliche Privatkasse übertrug.1

Georg Friedrich Kolb (1848)

Was Kolb damals in Geheimakten entdeckte, wirkt gerade angesichts der aktuellen Banken- und Währungskrisen wieder wie ein interessantes Modell, mit dem sich heute z.B. über eine Privathaftung spekulieren ließe. Dazu müsste man nicht nur die eventuelle Anwendbarkeit allgemeiner Haftungs- und Schuldvorschriften sehr genau prüfen, sondern auch das Handeln aller Akteure nachträglich transparent machen - also alle Details offenlegen, wer in welcher Weise zu Entscheidungen beitrug. Deshalb ist die Forderung nach mehr Transparenz durchaus eine wirtschafts- und finanzpolitische Forderung - auch, wenn sie auf den ersten Blick nicht als solche erscheinen mag.

Denn als potenzielle Schadensverursacher kommen nicht nur Theo Waigel und Hans Eichel in Frage, sondern auch zahlreiche in- und ausländische Manager, Lobbyisten, Statistikfälscher und sogar einzelne Abgeordnete, die zwar Diäten einstrichen, es aber möglicherweise nicht für nötig hielten, die Regelungen, über die sie entschieden, vorher durchzulesen und auf mögliche Folgen zu prüfen.

Mit ein Grund dafür war eine Kultur der organisierten Verantwortungslosigkeit, die sich nicht nur in der Regierung, sondern vor allem in der Wirtschaft seit über 200 Jahren immer weiter ausbreitet. In den USA brachte man dieses Problem im 19. Jahrhundert mit folgenden Aphorismus auf den Punkt: "Corporations have neither bodies to be kicked, nor souls to be damned".2 Personen, die für Unternehmen oder eine Bürokratie gemeinschädlich handeln, sind im Gewirr der Entscheidungsprozesse nämlich selten ausfindig zu machen und werden deshalb meist nicht zur Rechenschaft gezogen.3

Ein wichtiger Grund für das Entstehen dieser Kultur der organisierten Verantwortungslosigkeit ist die Anwendung von Vorschriften für natürliche Personen (deren Verhalten im allgemeinen ethisch bestimmt ist und bei denen das Strafrecht als Abschreckung funktioniert) auf juristische. Sie führte zu Widersprüchen in den auf den Liberalismus aufbauenden volkswirtschaftlichen Theorien. Alexander Rüstow entwickelte bereits in den 1930er Jahren seine "Theorie der subtheologischen Befangenheit", mit der er diese Widersprüche zu beschreiben versuchte.

Rüstows Mitstreiter Wilhelm Röpke stellte fest, dass die Deisten des 18. Jahrhunderts den Wettbewerb als ein Instrument der Vorsehung ansahen, der als automatischer Ersatz für die "Ehrlichkeit" dienen sollte - doch bereits nach kurzer Zeit wurde die Ableitung des Wettbewerbs aus der Vorsehung vergessen und der Wettbewerb selber an die Stelle Gottes gesetzt. Der "Aberglaube" an die unbedingte Gültigkeit bestehender ökonomischer Gesetze verhinderte nach Rüstow notwendige Eingriffe zur Sicherstellung der Funktionstüchtigkeit von Märkten und führte zur Degeneration des Wirtschaftssystems.4

"Und so wurden denn jene Einschränkungen und Vorbehalte, die wir bei Smith selber noch finden, von seinen fortschrittsfreudigen Adepten bald vollends überhört und vergessen. In durchaus unangebrachtem Gottvertrauen versäumte man völlig, das Kamel anzubinden. Wie hypnotisiert ließ man auch die schlimmsten Dinge geschehen, ohne sich auch nur zur geringsten Reaktion aufraffen zu können. Man hatte Gott walten lassen wollen, und gab schließlich dem Teufel freie Hand, dem Teufel des Strebens nach Bereicherung auf Kosten Anderer, der Machtgier und der Herrschsucht."

Multation

Eine Reaktion auf die von Rüstow beschriebenen Widersprüche bestünde in wesentlich strenger getrennten Vorschriften für natürliche und für juristische Personen. Ein sehr wirksames Mittel wäre beispielsweise der Einsatz eines altes römischen Rechtsinstruments, der Multation: Im Falle grober Regelverstöße von Aktiengesellschaften sucht die Judikative nicht nach Verantwortlichen im Organisationsgeflecht, sondern löst die Firma auf. Das Anlagevermögen oder ganze Teile des Unternehmens können an Konkurrenten verkauft werden, was auch das Problem fehlender Staatseinnahmen mildern würde.

Der Besitzer der Aktie wird im Falle einer Multation nicht "enteignet", sondern verliert durch die rechtmäßige Bestrafung des Unternehmens nur seine Investition - womit er als Spekulant an der Börse rechnen muss. Mit dem Einsatz solcher Multationen würde wünschenswertes Verhalten von Unternehmen über den Aktienmarkt geregelt: Anteile an Firmen mit schädlichen Praktiken und einem dadurch hohen Multationsrisiko fänden potentiell weniger Käufer, der Kurs wäre entsprechend niedriger. Würde das Instrument der Multation eingesetzt, bestünde in Aktiengesellschaften wie der Deutschen Bank also ein marktwirtschaftlicher Anreiz zu gesetzestreuem Verhalten.

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