Wie Europol und Interpol den US-Drohnenkrieg unterstützen

Die US-Firma Booz Allen Hamilton vertreibt ein Programm zur Grenzkontrolle, das von der US-Regierung weltweit verschenkt wird. Dort erhobene Informationen werden vom US-Verteidigungsministerium an Europol weitergegeben

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Die US-Regierung hat in mehreren Ländern Grenzkontrollsysteme installiert. Dieses sogenannte "Personal Identification, Secure Comparison and Evaluation System" (PISCES) wird meist kostenfrei abgegeben und ist dadurch für Regierungen wie Pakistan, Irak, Jemen oder dem Kosovo besonders interessant. Daten aus Reisebewegungen einiger Länder fließen in eine weitere Datensammlung von Interpol und dem US-Verteidigungsministerium ein. Auch die EU-Polizeiagentur Europol erhält Informationen, darunter Nummern von Mobiltelefonen. Erst 2012 hat das deutsche Bundeskriminalamt seine Zusammenarbeit hierzu eingestellt, behauptet das Bundesinnenministerium.

Das System gleicht Daten von Reisenden mit internationalen "Watchlists" ab. Es werden Treffer auf Basis von mitgeführten Ausweisen, aber auch Gesichtsbildern, Fingerabdrücken und "biografischen Informationen" gesucht. Nicht bekannt ist, welche Datensammlungen abgefragt werden, Möglichkeiten gäbe es viele: Die US-amerikanische Bundespolizei FBI betreibt gleich mehrere biometrische Datenbanken, darunter das "Integrated Automated Fingerprint Identification System" mit mehr als 90 Millionen gespeicherten Personen. Im Rahmen der Programme "Next Generation Identification" und "Combined DNA Index System" werden Fähigkeiten zur Speicherung und Verarbeitung biometrischer Merkmale ausgebaut, indem bislang getrennte Datenbestände auch anderer Bundesbehörden kombiniert werden. Hierzu gehört das Heimatschutzministerium, das selbst mehrere Programme zum Profiling von Reisenden unterhält.

In Ländern wie Pakistan, Afghanistan, Irak und Jemen werden die PISCES-Systeme in die heimischen Programme gegen "Terrorismus" integriert. Auch in den USA gehört die Verbreitung der PISCES zum sogenannten "Terrorist Interdiction Program" (TIP) von 1997. Dabei ist unklar, in wie vielen Ländern ein PISCES betrieben wird: Manche Medien sprechen von einem halben Dutzend, andere von 14).

Auch die türkische Regierung wurde von der US-Botschaft bearbeitet, ein PISCES anzuschaffen. Dieses könne vor allem an Flughäfen "PKK-Angehörige" aufspüren. Die Türkei habe laut einem von Wikileaks veröffentlichten Cable eine "technische Unterstützung" wohlwollend angenommen, wozu die Installation des PISCES gehört habe. Dort hätten die USA selbst Daten eingestellt, die über Interpol bezogen wurden. Darunter befanden sich demnach auch Informationen zu "PKK-Angehörigen". Später wollten türkische Behörden PISCES auch gegen "Geldschmuggel" einsetzen. Die US-Botschaft sicherte dies zu.

Pakistan steigt aus, Kosovo will paralleles EU-System

Nicht alle Länder sind zufrieden mit PISCES, was auch am Hersteller liegen könnte: Es wird von der US-Firma Booz Allen Hamilton, Inc. programmiert, die unter anderem Edward Snowden beschäftigte und für ihre Zusammenarbeit mit dem Militärgeheimdienst NSA bekannt ist. Pakistan hatte sich 2010 entschlossen, das 2002 gelieferte System nicht wie von den USA gefordert aufzurüsten, sondern lieber zu einem heimischen Anbieter zu wechseln. Auch indische Medien beargwöhnten das System des Nachbarn und unterstützen die Absage an das US-System.

PISCES wurde auch an fast allen Grenzübergängen im Kosovo installiert. Allerdings sollte es 2009 durch ein europäisches "Integriertes Grenzkontrollsystem" (IBMS) ersetzt werden, unter anderem um das Land fit für einen späteren Schengen-Beitritt zu machen. Solche IBMS werden gewöhnlich von der EU-Kommission gesponsort. Auch die EU-Polizeimission EULEX regte den Wechsel zu einem EU-System an, denn PISCES beinhaltet keine Einrichtung eines digitalen Funknetzes für die Grenzpolizeien.

Aus einem Cable geht hervor, dass die US-Regierung aber gern an PISCES festhalten wollte. Als Grund galten die schärferen EU-Datenschutzregeln: Während europäische Systeme die verarbeiteten Daten nicht aufheben dürfen, ist das Speichern und Weiterverarbeiten der Reisedaten ein besonderes Feature von PISCES. Dadurch erhalte die Polizei im Kosovo laut der Botschaftsdepesche ein "machtvolles Ermittlungsinstrument", um Reisebewegungen von "kriminellen und terroristischen Zielen" zu durchleuchten.

Jedoch wollte auch die Polizeimission EULEX nicht auf die Vernetzung mit US-Behörden verzichten: Vorgeschlagen wurde also, beide Systeme gleichzeitig zu betreiben. Die USA konnten zunächst das Innenministerium des Kosovo dafür gewinnen, PISCES zu behalten. Zuständig für die Hardware war die Firma ProNet aus dem Kosovo, laut dem Cable wurde das gleichzeitige Betreiben beider Überwachungssysteme 2010 erfolgreich getestet. Die US-Botschaft im Kosovo bat Washington daraufhin um die Erlaubnis, ProNet mit technischen Daten von PISCES zu versorgen und "Brüssel" vom Behalten des PISCES zu überzeugen.

Einer der Fürsprecher derartig informeller Absprachen ist der "Anti-Terror-Beauftrage" der Europäischen Union, Gilles de Kerchove. Während die USA im Kosovo den Weiterbetrieb ihres PISCES durchsetzen wollten, warb de Kerchove für die Intensivierung des Datentauschs zwischen der USA und der EU. Er schlug vor, dass US-Behörden Zugriff auf Arbeitsdateien bei der EU-Polizeiagentur erhielten. Gemeint war die Datei "Hydra", in der europäische Polizeibehörden ihre Erkenntnisse zu "islamistischem Terrorismus" sammeln. Jedoch fand sich hierfür bislang keine Mehrheit. Die USA darf nicht als "Drittstaat" Dateien bei Europol abfragen.