Wie das EU-Kartell die Landwirte Europas vernichtet

Protest von Landwirten gegen die Politik der Bundesregierung, Frankfurt am Main, 11.01.2024. Bild: conceptphoto.info / CC BY 2.0 Deed

Bauern haben keine Chance. Sie sitzen zwischen unfairem Wettbewerb, EU-Bürokratie und Stagnation. Hinter den Protesten steckt eine größere Krise. Gastbeitrag.

Manos, ein Landwirt in sechster Generation aus der griechischen Region Thessalien, drückte es unverblümt aus, als ich ihn bat zu erklären, warum er bereit war, mit seinem Traktor 400 Kilometer nach Athen zu fahren, um vor dem Parlament zu campieren: "Wenn ich es nicht tue, wird mein Hof bald wie unserer Dorfschule, die Genossenschaft, das Postamt und die Bankfiliale der Vergessenheit anheimfallen."

Yanis Varoufakis ist Ökonom, griechischer Parlamentarier und Ex-Finanzminister Griechenlands.

Die Erfahrung des griechischen Bauern ist weder neu noch auf Griechenland beschränkt. Wir sehen immer wieder, dass vor allem französische Landwirte Straßen blockieren und Politiker mit klaren Forderungen konfrontieren, bevor sie in ihre Heimat zurückkehren.

Die ländliche Lebens- und Produktionsweise ist bedroht

Gelegentlich wird in Brüssel ein beeindruckender Symbolakt inszeniert – wie 2012, als ein multinationaler Bauernverband das Europäische Parlament aus Protest gegen die Kürzung der EU-Milchquoten mit Tonnen von Milch besprühte.

Neu an dieser jüngsten Runde von Bauernprotesten ist, dass es nicht nur die üblichen Verdächtigen sind, die in unseren Hauptstädten auf die Straße gehen. Auf unseren Fernsehern sind Landwirte zu sehen, die in der gesamten Europäischen Union mobilisieren, von Polen bis Irland.

Wir sind nicht daran gewöhnt, dass deutsche und niederländische Landwirte, die im Vergleich zu ihren griechisch-südeuropäischen Kollegen traditionell viel wohlhabender sind, mit einer solchen Leidenschaft – und in einer solchen Anzahl – in die Städte fahren, wie wir es jetzt erleben.

Wenn Sie die niederländischen oder deutschen Landwirte fragen, warum sie revoltieren, ist ihre Antwort ähnlich wie die, die Manos mir gab. Sie werden Ihnen sagen, dass ihre Lebensweise, ihre Fähigkeit, das Land weiter zu bearbeiten, in Gefahr ist.

Das Kartell und die Folgen

Das nehme ich ihnen ab. Aber auch die britischen Landwirte stehen vor einer existenziellen Bedrohung, und sie blockieren keine Autobahnen. Fast die Hälfte der britischen Obst- und Gemüsebauern und ein Drittel der Milchbauern stehen innerhalb von weniger als zwei Jahren vor dem Bankrott.

Warum also blockieren sie nicht den Piccadilly oder besetzen wütend den Trafalgar Square? Kulturelle Unterschiede mögen eine Rolle spielen, aber ein strukturelles Merkmal der EU erklärt, warum die europäischen Landwirte revoltieren und die britischen nicht.

Theoretisch steht die EU für den Liberalismus des freien Marktes. In Wirklichkeit begann sie als ein Kartell von Kohle- und Stahlproduzenten, die offen und per Gesetz die Preise und die Produktion mithilfe einer multinationalen Bürokratie kontrollierten.

Diese Bürokratie, die erste Europäische Kommission, wurde mit rechtlichen und politischen Befugnissen ausgestattet, die die nationalen Parlamente und demokratischen Prozesse überflüssig machten.

Der Deal mit den Landwirten

Und ihre erste Aufgabe bestand darin, alle Beschränkungen für den Transport sowie den Handel mit Stahl und Kohle zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen. Denn was würde ein grenzüberschreitendes Kartell nützen, wenn seine Produkte an den Grenzen gestoppt und besteuert würden?

Der zweite Schritt Brüssels bestand darin, den Geltungsbereich des Kartells über Kohle und Stahl hinaus auszudehnen und die Elektroindustrie, die Automobilhersteller und natürlich das Bankwesen einzubeziehen. Der dritte Schritt war die Abschaffung aller Zölle, nachdem die Zölle für die Hersteller abgeschafft waren.

Leider bedeutete es für die französischen und deutschen Landwirte unter anderem, dass sie ohne Schutz mit importierten Produkten wie Milch, Käse und Wein konkurrieren mussten. Wie konnte Brüssel die Zustimmung der größeren, reicheren und daher politisch mächtigeren Landwirte zu einer europäischen Freihandelszone erreichen?

Indem man ihnen einen Teil der Monopolgewinne des Schwerindustrie-Kartells überließ.

Ein Drittel des Haushalts der EU für Agrarwirtschaft

Genau das war die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Man kann es in den Römischen Verträgen nachlesen, mit denen die heutige EU gegründet wurde: Es handelt sich um einen Vertrag zwischen dem Kartell der Schwerindustrie und den wohlhabenderen Landwirten Europas, demzufolge der größte Teil des europäischen Haushalts, der von den Ersteren erwirtschaftet wird, an die Letzteren verteilt wird.

Im Jahr 2021 stellt die EU 378 Milliarden Euro für die GAP bereit: 31,8 Prozent ihres Gesamthaushalts für den Sechsjahreszeitraum 2021 bis 2027. Von diesem Geldberg landen etwa 80 Prozent in den Taschen der reichsten 20 Prozent der europäischen Landwirte.

Und das Schlimmste ist, dass es kaum einen Ausweg gibt: Diese irrsinnigen Summen und ihre ungleiche Verteilung beruhen auf der Vereinbarung von Mitte der Fünfzigerjahre, die uns die ursprüngliche EU bescherte. Sie sind in ihrer Struktur fest verankert.

Diese ungleiche Verteilung wurde mit dem Argument der "Produktivität" gerechtfertigt. Großgrundbesitzer sind pro bewirtschaftetem Acker oder pro Landarbeiter weitaus profitabler. Der Financial Times zufolge steigerte beispielsweise im Jahr 2021 jede zusätzliche Arbeitskraft den Nettowert eines kleinen landwirtschaftlichen Betriebs – definiert als ein Betrieb mit einem Gesamtertrag zwischen 4.000 und 25.000 Euro – um rund 7.000 Euro.

Die Großen haben das Sagen

Im Gegensatz dazu steigerte eine zusätzliche Arbeitskraft den Nettowert eines großen Betriebs – eines Betriebs mit einem Produktionswert von mehr als einer halben Million Euro – um 55.000 Euro.

Infolgedessen konnten die meisten Landwirte im Süden Europas – auch in weiten Teilen Frankreichs, wo die landwirtschaftlichen Flächen viel kleiner sind als etwa in Deutschland oder den Niederlanden – kaum überleben. Währenddessen verfügten ihre Kollegen im Norden über beträchtliche Gewinne, Ressourcen und Subventionen.

Das erklärt, warum griechische, spanische, süditalienische und französische Landwirte immer am meisten dazu neigten, Straßen zu blockieren. Vor sechs Jahrzehnten wurde ihnen ein Deal angeboten, der nicht ihren Interessen diente.

Heute jedoch, da die Deindustrialisierung auch in Deutschland immer weiter voranschreitet, ist auch das ursprüngliche, europaweite Industriekartell, das die großzügigen Subventionen der reichen Bauern bezahlen sollte, im Niedergang begriffen.

Die Geierfonds kommen

Was Landwirte wie Manos betrifft, so hat eine Kombination aus alten Problemen und neuen Katastrophen ihren Tribut gefordert. Im vergangenen Herbst machte die Klimakrise auch vor seinem Tal nicht halt, als der Sturm Daniel seinen Hof zerstörte, die Agrarflächen meterhoch unter Wasser setzte, bevor er nach Süden zog und in Libyen Tausende von Menschen in Fluten ertränkte.

Die üblichen, lächerlich langen Verzögerungen, die die griechische Bürokratie kennzeichnen, führten dazu, dass die Versicherungsgesellschaften Manos nur langsam zu Hilfe kamen.

Eine weitere Quelle der Unzufriedenheit unter seinen Kollegen, die noch unangenehmer ist, stellt jedoch die massenhafte Aneignung von landwirtschaftlichen Betrieben durch die zahlreichen Geierfonds dar. Unter Ausnutzung des seit Langem bestehenden Bankrotts Griechenlands sind sie in das Land eingedrungen, um Kredite von Landwirten, die sich nicht mehr bedienen konnten, zu einem Preis von fünf Cent pro Euro aufzukaufen, bevor sie das Land versteigern.

Auf diese Weise schnappen sich oligarchisch operierende Investoren fruchtbares Agrarland und stecken Subventionen und Kredite aus Brüssel ein, um das Land mit Solarzellen auszustatten. Landwirte und städtische Griechen müssen nun tief in die Tasche greifen, um für den erzeugten Strom zu zahlen. Und während die Ersteren finanziell unter Druck geraten, werden die einheimischen Lebensmittel knapper.

Strom-Spekulanten, Bürokratie und Ukraine-Krieg

Jetzt spielen sich ähnliche Geschichten in wohlhabenderen Teilen der EU ab: in den Niederlanden und in Deutschland. Hier gibt es drei Hauptauslöser.

Erstens: Nachdem die EU die ehemals öffentlichen Elektrizitätsversorgungsunternehmen einem privaten Kartell unterstellte, das sich hinter den niederländischen Strombörsen versteckt, unternimmt sie nichts, um die Landwirte vor dem unersättlichen Appetit der Energiespekulanten und Rentiers zu schützen.

Zweitens ist da der bürokratische Albtraum, dem die Landwirte ausgesetzt werden, um selbst die kleinsten Vergünstigungen zu beantragen oder auch nur das Recht zu erhalten, einen Baum zu beschneiden, dessen Äste ihnen in die Augen stoßen, wenn sie mit ihren Traktoren vorbeifahren.

Drittens ist die Ukraine zu nennen. Dabei handelt es sich nicht nur um die gestiegenen Treibstoffkosten und die Konkurrenz durch "Solidaritäts"-Importe im Wert von 13 Milliarden Euro allein im letzten Jahr. Es geht auch um die Aussicht, dass im Falle eines EU-Beitritts des kriegsgebeutelten Landes die meisten Länder, die jetzt Nettoempfänger von GAP-Mitteln sind, darunter auch Polen, zu Nettozahlern werden, wobei ihre Landwirte die Hauptlast tragen.

Green Deal, aber ohne Finanzierung, plus Wirtschaftsflaute

Und dann sind da natürlich noch die beiden Elefanten im Raum. Der eine ist der Green Deal der EU. Brüssel geht man zwar rhetorisch in Hinblick auf Umweltschutz in die richtige Richtung und fordert umgehende grüne Maßnahmen, ist aber nicht in der Lage, diese zu bezahlen.

Nehmen wir den Zankapfel der niederländischen Landwirte: die eindeutige und drängende Gefahr von Nitraten im Grundwasser, die bekämpft werden muss. Nachdem sie jahrzehntelang die Augen vor dem Problem verschlossen, verlangte die niederländische Regierung – auf Druck aus Brüssel – plötzlich, dass ihre Landwirte das Problem unter anderem dadurch lösen, dass sie jede dritte Kuh "abschaffen".

Noch hartnäckiger ist der zweite und größere Elefant: eine 15-jährige europäische Wirtschaftsflaute, die sich in meinen Augen vollständig durch den unsinnigen Umgang mit der Eurokrise erklären lässt. Dieser Einbruch erklärt, warum der Kontinent sich deindustrialisiert.

Sie ist der Grund, warum die Gemeinsame Agrarpolitik die ursprüngliche Abmachung zwischen den europäischen Industrie- und Agrarkartellen aus den Fünfzigerjahren nicht mehr einhalten kann.

Und es ist auch der Grund, warum der Green Deal der EU nur ein weiteres europäisches Potemkinsches Dorf ist – ein weiteres Resultat der EU-Vorliebe dafür, große Zahlen zu verkünden, die sich bei genauerem Hinsehen in Luft auflösen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Online-Magazin Znetwork. Dort findet er sich im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Yanis Varoufakis ist ein griechischer Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Mitbegründer der paneuropäischen Bewegung und Partei DiEM25 / MERA25. Varoufakis war von Januar bis Juli 2015 griechischer Finanzminister. Seit 2019 ist er erneut Mitglied des griechischen Parlaments und Vorsitzender von DiEM25. Er ist der Autor mehrerer Bücher, darunter "Another Now" (2020). Sein neuestes Buch lautet "Technofeudalism: What Killed Capitalism". Varoufakis ist außerdem Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Athen, Honorarprofessor für politische Ökonomie an der Universität Sydney, Honoris Causa Professor für Recht, Wirtschaft und Finanzen an der Universität Turin und Distinguished Visiting Professor für politische Ökonomie am Kings College der Universität London.