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Wie die AfD um die Macht im Osten kämpft – und was sie dort stark macht

AfD-Handzettel, die ein "Asylchaos" heraufbeschwören.

Neben der Ampel-Regierung sind aus AfD-Sicht vor allem die rechtlich schwächsten Personengruppen schuld an Problemen. Foto: Oxfordian Kissuth / CC BY-SA 3.0

Gebrochene Versprechen bürgerlicher Demokratie: Nicht einmal die Hälfte der Ostdeutschen sieht sich als Gewinner der "Wende". Wie trifft gerade die AfD diesen Nerv?

Die AfD ist eine der rechtsextremsten und rechtsradikalsten Parteien in Westeuropa, sie will eine andere völkisch-ethnisch reine Republik und deswegen die ultimative Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen System. Sie will Destruktion und Zerstörung zugunsten einer anderen Republik und damit in den Bundesländern beginnen, in denen sie die Macht in Wahlen erringen könnte.

Entschlossene Strategen: AfD bereit zum fundamentalen Angriff

Sie wäre zwar demokratisch gewählt, aber eine antidemokratische Partei, in den Worten von Höcke eine "fundamentaloppositionelle Bewegungspartei", die eine andere Republik durchzusetzen versuchen wird.

Die Strategen dieser Partei sind zu diesem fundamentalen Angriff entschieden, nicht nur Björn Höcke in Thüringen und seine Stichwortgeber am Institut für Staatspolitik um Götz Kubitschek, Benedikt Kaiser und die Zeitschrift "Sezession", sondern auch Jörg Urban in Sachsen und Maximilian Krah bei der Europawahl.

2024 sieht sich die AfD in diesen Wahlen auf der Siegerstraße und Urban, Krah oder Höcke wollen es wissen: Haben sie die Exekutive in der Hand, werden sie sie zu nutzen wissen. Auf dem Weg, die Demokratie zu zerstören, ist ihnen jedes Mittel recht, das Erfolg verspricht.

Verunsicherung und autoritäre Traditionen

Dass die AfD in Sachsen oder Thüringen an den Toren der Macht rüttelt, ist Resultat einer langfristigen Entwicklung aufgrund des Autoritarismus vor 1989 und falscher Versprechungen nach 1989, die zu einer großen Distanz zum demokratischen System beigetragen haben – und eine aktuell dramatische Krise des Politischen.

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, inflationäre Wohlstandsverluste, eine von Dogmen geprägte Ampel-Koalition und schwere handwerkliche Fehler im Wirtschaftsministerium haben die Stimmenanteile der AfD innerhalb eines Jahres mehr als verdoppeln können.

Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten in Ost und West

Gewiss, diese Ergebnisse sind letztlich auch ein Resultat der autoritären Unterordnungserfahrungen aus der DDR. Aber umso entschiedener muss bezweifelt werden, dass das Angebot zur Demokratie den Menschen in der DDR zur Zeit der Wende angemessen vermittelt worden ist.

Wenn sich erneut große Teile der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse [1] begreifen, hat dies auch mit den Bedingungen der Einigung zu tun. Zu Recht war und ist in den ostdeutschen Wahlkämpfen die Rede von realen Ungleichheitserfahrungen: Es gibt erhebliche Unterschiede bei Jobs, Internet, Bildung und Versorgung.

Die Stärke der AfD in strukturschwachen Regionen

Die Ausstattung mit schnellem Internet ist trotz großer Versprechungen schon von vor zehn Jahren durch die Regierungspartei SPD in Brandenburg immer noch nicht angemessen hergestellt. Lange Zeit war es auch in Brandenburg vorherrschende Politik, Leuchtturm-Projekte zu unterstützen und so das flache Land mit immer weniger Bussen, Ärzten, Anbindungen und Schulen aus vermeintlich ökonomischen Gründen zu vernachlässigen.

In diesen Regionen ist in der Regel die AfD stärker als anderswo. Nach dem Rat kluger Ökonomen wurden Schwerpunkte gebildet und das Land vernachlässigt. Mit Leuchtturm konnte man sich sehen lassen, ob in Jena in Thüringen, in Dresden mit dem Wiederaufbau der Kirche oder in Brandenburg.

Zugleich wird wahrgenommen, dass eine Angleichung der Renten aussteht und diese für einen beträchtlichen Teil auch der Frauen zu knapp bemessen sind und dass jedes fünfte Kind in Armut aufwächst. Nach dem von der Bundesregierung veröffentlichten Teilhabe-Atlas erreicht die Lebenserwartung von Neugeborenen in abgehängten Regionen nur 79,7 Jahre, in reichen Großstädten und ihren Speckgürteln 81,7.

Benachteiligung als Wende-Erfahrung

Besonders prekär: In abgehängten Regionen liegt der Anteil aller Schulabgänger ohne Abschluss um 50 Prozent höher als in reichen Großstädten und ihren Speckgürteln, nämlich bei neun Prozent. Vielleicht die größte Gefahr: Wenn es schlecht läuft, könnte eine Abwärtsspirale aus sinkenden Einwohnerzahlen und schwindender Versorgung die Situation weiter verschärfen.

Die "Wende" ist noch immer für viele mit dem Gefühl verbunden, benachteiligt worden zu sein. Keine linksradikale Propaganda, sondern beobachtbar und von jemand wie Helmut Schmidt als berechtigtes Gefühl immer wieder betont: Er verstehe, dass die Ostdeutschen sich als Bürger zweiter Klasse fühlen.

Viele Menschen in Ostdeutschland hatten sich eine bessere ökonomische und politische Entwicklung gewünscht und haben nun keine Hoffnung mehr darauf, dass eine der demokratischen Parteien ihre Enttäuschung auflösen könnte.

Abwicklung ostdeutscher Betriebe: Langzeitfolgen der Treuhand

Von besonderer Bedeutung ist die Treuhanderfahrung – eine Erfahrung, die darin bestanden hat, dass der solvente Westen die Substanz in der ehemaligen DDR aufgekauft und nicht selten auch stillgelegt hat, wie Dirks Laabs in seiner Studie deutlich macht [2]:

"Die Treuhand und die damalige Bundesregierung haben immer versucht, das letzte Wort in Sachen Treuhand zu haben. Sie haben der Öffentlichkeit versichert, dass im Großen und Ganzen alles mit rechten Dingen zugegangen sei." (Dirk Laabs: "Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand", 2012; S. 344)

Es ist Zeit, fordert er, dies durch Fakten zu belegen. Das Bundesfinanzministerium muss zulassen, dass ein neutrales Urteil über die Geschichte der Treuhand gesprochen wird, sonst bleibe die Treuhand immer eine schwelende Wunde, die das Klima in einem Land vergiftet, das eigentlich vereint sein sollte.

Verkauf einer Volkswirtschaft zum Schleuderpreis

Und er schreibt: "Je stärker betont wird, das Land sei Schrott gewesen, desto stärker identifizieren sich viele Ostdeutsche aus Trotz mit der alten DDR. Die Ostdeutschen haben ein Anrecht darauf, dass ihnen erklärt wird, warum die Treuhand mit dem Verkauf der gesamten ostdeutschen Volkswirtschaft nur 34 Milliarden Euro erzielt hat. Etwas mehr als 50 Milliarden Euro hat die Versteigerung einer Mobilfunklizenz erbracht." (Ebd.: 341; zur Treuhand und der Wahrnehmung durch die Betroffenen siehe auch Vinke 2021)

Die Gefahr der politischen Entfremdung und Radikalisierung

Autoritäre Dynamiken gegen Demokratie und Minderheiten sind in den ostdeutschen Bundesländern relativ stabil und damit die Chancen einer Stärkung demokratischer Kultur und Parteien im entscheidenden Wahljahr 2024 prekär. Jedenfalls zeigt das die vielleicht wichtigste Studie zur Wahrnehmung der Ostdeutschen, die das Else Fraenkel Brunswick Institut der Universität Leipzig in einer repräsentativen Befragung von 3.546 Menschen durchgeführt hat. (Decker/Kiess/Brähler 2023).

Danach gab die große Mehrheit der Befragten in einer Umfrage aus dem Jahr 2022 an, sich ohne politischen Einfluss zu sehen. Dem entspricht, dass die Identifizierung als Ostdeutsche hoch und die Bilanz der Wende durchwachsen ist. Zwei Drittel halten es für sinnlos, sich politisch zu engagieren, da kaum jemand glaubt, einen Einfluss auf die Regierung zu haben.

Die doppelte Enttäuschung aus der Wendezeit

Nicht einmal die Hälfte möchte sich als Gewinner bezeichnen, ein Viertel ausdrücklich als Verlierer der Wende. Es ist eine aus der Wendezeit herrührende doppelte Enttäuschung über die ökonomische Entwicklung und die Chancen demokratischer Beteiligung, die zu einer Entfremdung gegenüber der Demokratie und zur autoritären Identifizierung mit einer starken Partei einerseits und einer entschiedenen Abwehr von dem führt, was als fremd gilt.

Nach der Studie werden chauvinistische und ausländerfeindliche Aussagen nur von einer Minderheit der Befragten abgelehnt. Antisemitische und sozialdarwinistischen Statements stimmen ein Drittel der Bevölkerung vollständig oder teilweise zu.

Wo sich jeder zweite eine starke Partei der Volksgemeinschaft wünscht

Besonders ausgeprägt sei diese Zustimmung in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Jeder zweite wünscht sich eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.

Statt pluralistischer Interessenvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht, so der Mitverfasser Elmar Brähler. Extrem rechte Parteien haben daher mit ihren ideologischen Angeboten zahlreiche Anknüpfungspunkte. Das zentrale Thema der AfD ist die Zuwanderung (Detje 2024).

Es geht um Migration, um in einer Art Zeitenwende in den Landtagswahlen weitere Geländegewinne durchzusetzen. Die Allparteien-Koalition in Sachen Asyl und Migration signalisiert gerade den Wählerinnen der extremen Rechten, dass ihre Partei die richtigen Themen zur Sprache bringt.

AfD im Aufwind: Ausblick auf die bevorstehenden Wahlen

Die absehbaren Verschiebungen in den ostdeutschen Ländern sind so gravierend, dass sich eine linksliberale ökologische Mehrheitsposition nicht abzeichnet, ebenso wenig ein Regierungsbündnis von SPD, Grünen und FDP oder eine große Koalition. Angesichts der Stärke der AfD müssten SPD und CDU die Grünen und oder Die Linke mit ins Boot nehmen.

Richard Detje hat recht: Der Bürgerblock steht unter Druck – im Herbst wird sich zeigen, wie weit er sich nach rechts öffnet. Der Druck, sich selbst populistischer Ansprachen zu bedienen, ist längst gegeben. Halboffen wird darüber nachgedacht, ob man eben doch die AfD als Bündnispartner akzeptiert. Richard Detje verweist auf die Kontrollverluste und ihre lange Entstehungsgeschichte, die zu fortschreitenden Spaltungen der Gesellschaften in den neoliberalen Systemen führt.

Mit den Kontrollverlusten wachsen erfahrene oder wahrgenommene Widersprüche. Es kommt zu der Einbuße an Gewissheiten und klaren Zukunftsentwicklungen, erst recht unter dem Druck von Krisen, die ins Autoritäre führen, welches zur Reduzierung von ökonomischer, sozialer und politischer Komplexität beitragen.

Immerhin hat "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in Deutschland bereits seit langem einen Resonanzboden in einem Fünftel der Bevölkerung, der erst spät einen parteipolitischen Ausdruck in der AfD gefunden hat.

Von schwachen Leistungen der Ampel profitiert die AfD

Kontrollverluste führten zur Infragestellung der zunächst für vertrauenswürdig erklärten institutionellen Ordnung, gewissermaßen eines impliziten Gesellschaftsvertrags. Dies mag so lange gut gehen, wie die Untertanen sich mit sozialer Ungleichheit abfinden, wenn sie Gegenleistungen erhalten, die der Gewährleistung von Sicherheit zu dienen scheinen.

Mit den schwachen Leistungen der Ampel-Koalition, dem fast vollständigen Verlust an Glaubwürdigkeit, verliert aber die vorherrschende Legitimation rapide an Kraft. Stattdessen wächst die Polarisierung in wir gegen die, gegenwärtig noch am Beispiel der Migration als erstem Schritt einer völkischen Radikalisierung nach rechts.

Der Verlust an Glaubwürdigkeit und dem Glauben, dass Versprechen gehalten werden, erodiert aufgrund der sozialökonomischen Krisen und der institutionellen Schwächen der Demokratie auf allen Ebenen. Dies ist besonders klar in den ostdeutschen Bundesländern.

Prof. Hajo Funke ist Politikwissenschaftler und Autor mehrerer Bücher. Dieser Artikel ist ein Auszug aus Teil 2 seiner Flugschrift "AfD-Masterpläne: Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie" [3], diesen Monat erschienen im VSA-Verlag. Um online die Lesbarkeit zu verbessern, wurden redaktionell Zwischenüberschriften eingefügt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9692749

Links in diesem Artikel:
[1] https://taz.de/Migrationsforscherin-ueber-Ostdeutsche/!5582157/
[2] https://www.penguin.de/Paperback/Der-deutsche-Goldrausch/Dirk-Laabs/Pantheon/e366022.rhd
[3] https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/afd-masterplaene/