Wie eine Verkehrskontrolle zur Regierungsaffäre wird

Frankreich unter der Burka: Sichtbehindert oder konsequent?

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Zunächst war dies ein Routinevorgang: Anfang April verpasste ein französischer Polizist der jungen Frau einen Strafzettel über 22 Euro. Begründung: Da die Frau mit einem Niqab bekleidet am Steuer saß, das ganze Gesicht also mit schwarzem Tuch verhüllt war und nur ein schmaler Schlitz für die Augen freigelassen, monierte der Polizist das Fahren eines Kraftfahrzeugs unter erschwerten Bedingungen (i.O. "dans des conditions non aisées") und zückte den Strafzettel. Der Fall erregte am vergangenen Freitag einiges Aufsehen, weil die Frau eine Pressekonferenz einberief, in der sie verkündete, dass sie gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegen werde. Die Frau präsentierte sich erneut völlig verschleiert, für die anwesenden Fotografen war dies eine gute Gelegenheit für ein schönes Bild zur Burka-Verbotsdebatte. Diese war zu diesem Zeitpunkt neu entflammt, nachdem Sarkozys den Regierungskurs auf ein allgemeines Burkaverbot im gesamten öffentlichen Raum ausgegeben hatte(vgl. "Und was passiert mit den saudischen Frauen auf den Champs-Elysées?").

Dass der Auftritt der Frau zum Symbol für die Debatte taugt, die sehr von Assoziationen lebt, deren Gewichte immer neu verteilt werden, fiel aber nicht nur den Fotografen und den Journalisten ein, sondern auch Innenminister Hortefeux. Der hatte einen Verdacht gegenüber dem Ehemann, der ebenfalls auf der Pressekonferenz zugegen war und ähnlich wie seine Frau ein Bild von einem radikalen Muslim abgab. Sein Habitus - Kopftuch und Bart – braucht in diesen Zeiten keinen Schriftsteller, um Phantasien zu stimulieren.

Woher der Innenminister auch immer seine Informationen hatte, laut Medienberichten war für Hortefeux bald gegeben, dass der Mann ein Polygamist ist, den Staat dadurch betrog, dass jede seiner vier Frauen Zuschüsse als Alleinerziehende seiner Kinder (insgesamt sind es 12) bezieht, dass er zudem einer radikalen muslimischen Vereinigung angehört und öfter in Länder reist, die im Verdacht stehen, offen gegenüber Aktivitäten von militanten Islamisten zu sein. Noch am Freitagabend schickte der Innenminister ein Schreiben an seinen Kabinettskollegen, den Einwanderungsminister Eric Besson, mit der Bitte, sollten die Vorwürfe zutreffen, die Möglichkeiten zu erkunden, wie man diesem Mann die französische Staatsbürgerschaft entziehen könnte.

Am Wochenende deklinierten die Medien den Fall durch, dabei stellte sich heraus, dass die Verdachtsmomente noch nicht eindeutig geklärt sind. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Nantes hat nach Medienberichten noch keine Beweise für die Vorwürfe, die gegen den Verdächtigen erhoben werden. Auch liege noch keine Anzeige der Sozialkassen vor. Die einzige gerichtsanhängige Sache sei der Bußgeldbescheid gegen die Frau. Auch der Vorwurf der Polygamie wurde noch nicht durch Dokumente erhärtet. Dem steht die öffentliche Erklärung des Mannes gegenüber, der behauptet, dass er ihm rechtlich nichts vorzuwerfen sei, da „Maitressen in Frankreich doch nicht verboten seien“.

Der Entzug der Staatsbürgerschaft gehorcht strengen Vorschriften. Nur ein Verbrechen oder ein Vergehen, das die grundlegenden Interessen der Nation verletzt oder ein nachgewiesener Zusammenhang mit Terrorismus erfüllen die Bedingungen für einen solchen Akt. Der Mann könne gleichwohl seine Staatsbürgerschaft verlieren, berichtet Le Monde, wenn ihm Lüge oder Betrug nachgewiesen werde. Da der ehemalige Algerier die französische Staatsbürgerschaft durch die Heirat mit der Frau erhalten, die jetzt durch den Bußgeldbescheid berühmt wurde, könnte er sie auch wieder verlieren, wenn sich herausstellt, dass er damals bereits zivilrechtlich mit anderen Frauen verheiratet war.

Solange die Polygamie aber nicht bewiesen ist, agiert die französische Regierung, deren Innenminister Hortefeux sich weit aus dem Fenster gelehnt hat, im Trüben und macht aus der Not gerade die Un-Tugend, die man ihr schon öfter vorgeworfen hat. Man erwägt einen neuen Gesetzesentwurf, der den Entzug der Staatsbürgerschaft erleichtert. Der Einwanderungsminister Eric Besson äußerte heute morgen gegenüber Medien, dass er eine „gesetzliche Evolution“ in dieser Frage erwäge. Der passende Rahmen dafür sei sein neuer Gesetzesentwurf, der Ende März vom Ministerrat abgesegnet wurde und sich mit Fragen der Staatsangehörigkeit und der Integration beschäftigt.

Links von der Mitte erntet die Regierung für die Aktion, die eine kleine Meldung zur Affäre großgetreten hat, vor allem Kritik. Man wirft ihr zugleich Nachlässigkeit vor - der Staat hätte der Sache schon früher auf die Spur kommen müssen – und Hyperaktivität („un scénario de dramatisation“), die, wie schon im Fall der Debatte um die nationale Identität, auf die Wählerschaft der Rechten schiele und sich wenig um die echten Probleme der Bevölkerung kümmere.

Von rechter Seite gibt es Lob von höchster Stelle. So freut sich Jean-Marie Le Pen darüber, dass Hortefeux endlich skandalisiert, worauf er seit Jahren hinweist, „die Plünderung der sozialen Kassen“ des Landes durch Zigtausende von Leuten, die unberechtigt von der Gesetzgebung profitieren würden. Die Moscheengemeinde von Nantes verurteilt dagegen die systematische Stigmatisierung, die auch dieser Fall offenbare, dessen Entwicklung man als „Islamisierung eines Vorfalls“ bezeichnet.

Demgegenüber wird der berechtigten Frage danach, ob eine Vollverschleierung beim Autofahren mit der Sicherheit im Straßenverkehr vereinbar ist, gar nicht mehr nachgegangen. Zumindest für notorische Schnellfahrer – auch in Frankreich sind die Geschwindigkeitskontrollen erheblich verschärft worden- ergäben sich mit einer „Verkehrsteilnehmerburka“ neue Möglichkeiten, sich auf Fotos zu präsentieren.