"Wie man eine Rohrbombe in Mutters Küche baut"

oder der "Christmas Bomb plot": In Großbritannien sind neun Männer in Untersuchungshaft genommen worden wegen Planung eines Terroranschlags

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Terroristen, die festgenommen werden, sind eine irritierende Lebensform. Nicht allein, weil sie das Leben unzähliger Unschuldiger mutmaßlich bedroht haben. Sondern weil sie sich genau so verhalten haben, wie es in einem Handbuch für Anti-Terroreinheiten beschrieben sein könnte. Alles fügt sich nach Schema F, die kennzeichnenden Merkmale eines Terroristen werden stoisch erfüllt bis hin zum Auftreten vor Gericht, wo man sich entweder in vielsagendem Schweigen übt oder munter lächelnd Siegesgewissheit ausstrahlen will. Die Naivität, die sich hinter so manchem enttarnten Plot verbirgt, lässt einen wundern, wie auch die Banalität der Inszenierung, die da vor dem Publikum ausgebreitet wird.

Zum Beispiel im aktuellen Fall des „Christmas Bomb plot“: Ein britisches Gericht hat am Sonntag Männer wegen „Verschwörung mit der Absicht eine Explosion herbeizuführen und der Vorbereitung für terroristische Akte“ in Untersuchungshaft geschickt. Die Verdächtigen waren in einer aufsehenerregenden Aktion am 20. Dezember verhaftet worden. Zunächst verhafteten die Anti-Terroreinheiten (West Midlands Counter Terrorism Unit) Anfang der vergangenen Woche 12 Männer, drei wurden inzwischen wieder freigelassen.

Vor dem Untersuchungsrichter standen noch neun Männer, der jüngste 19, der älteste 28; alle teilen sie die Herkunft aus Bangladesch, sie leben in Cardiff, Stoke-on-Trent und East London, so informieren britische Medien. Interessant sind die Indizien, die das Gericht zu seiner Entscheidung veranlassten.

Da wird zunächst eine handgeschriebene Liste von sechs Adressen erwähnt, welche die Fahnder neben dem Computer gefunden hätten. Auf der Liste standen die US-Botschaft, die Londoner Börse, das Bürgermeisterbüro Boris Johnsons und Geistliche - der Dean des St Paul’s Chapter House und zwei Rabbis von unterschiedlichen Synagogen. Hervorgehoben wird, dass es sich um vollständige Namen und Adressen samt Postleitzahlen handelt.

Erhärtet wird der Vorwurf, der einen Anschlag vorbereitenden Tätigkeiten durch eine Aufklärungstour, welche die mutmaßlichen Terroristen in London durchgeführt haben. Nicht ohne Witz wird von den Zeitungen Guardian und Telegraph berichtet, dass der „reconnaissance trip“ am Trafalgar Square seinen Anfang nahm, von dort über Whitehall zur Westminster Bridge führte, „wo sie den Big Ben studierten“, und mit einem Essen bei McDonalds endete.

Auffallend bei dem touristenähnlichen Spähtrip der verdächtigen Terroristen war deren größeres Interesse an bestimmten Gebäuden, an denen Touristen gewöhnlich nicht so interessiert sind, z.B. an der Church of Scientology, die „minutenlang mit Absicht beobachtet“ („observed intently for some minutes“) wurde - und ein Mobiltelefon, „das augenscheinlich hochgehoben und in Richtung Big Ben gehalten“ wurde. Wem diese in der Realität nicht so leicht als verdächtiges Verhalten auszumachenden Sonderlichkeiten aufgefallen sind, wird in den Medienberichten nicht erwähnt; vermutlich stammen die Beobachtungen von Polizisten, da die Männer schon mehrere Monate vor den Hausdurchsuchungen am 20. Dezember von Polizei und MI5 überwacht wurden.

“What to expect in jihad”

Weitere Indizien für den Anschlagsverdacht stammen von eben diesen Hausdurchsuchungen vom 20.Dezember. Dabei fand die Polizei zwei Ausgaben des al-Qaida-Magazins „Inspire“ (siehe Was erwartet die islamistischen Märtyrer oder Terroristen?). Im Besonderen wird erwähnt, dass sich in einem Heft ein Artikel mit dem Titel “How to make a pipe bomb in the kitchen of your mom” und in einem anderen “What to expect in jihad” oder “Tips for our brothers in the US” befindet. Zudem wurde extremistisches Material gefunden, das dem Dschihad gewidmet ist - „39 Arten, dem Dschihad zu dienen und daran teilzunehmen“ - und ein weiterer Klassiker unter den typischen Handlungsweisen von Terrorismusneophyten: Downloads aus dem Internet: „the men are alleged to have downloaded information from the internet“. Zudem wurde über nicht weiter spezifizierte „Aktionen“ diskutiert.

Irgendwie mit diesen Downloads verbunden, so suggerieren das zumindest die zitierten Medienberichte, fällt der Name Anwar Al-Awlaki, der vor Gericht als „Inspirationsquelle des Anschlagplanes“ genannt wurde. Die Liste mit den potenziellen Zielen reicht offenbar schon aus, um von einem Anschlagplan zu reden, von dem nichts weiter bekannt ist. Die restlichen Indizien, Hefte und Material, welche Nähe zum Dschihad dokumentieren, sehen aus wie die Ausstattung für ein Theaterstück.

Ein bisschen seltsam mutet die Requisite dieses Falles schon an, vor allem wenn man im Hinterkopf hat, wie oft und wie sehr Ermittler in Fällen von Terrorismusverdacht „nachgeholfen“ haben (siehe dazu "Es ist gut, wenn ihr Typen euch für den Dschihad vorbereitet").

Ob da die Aussage von Sue Hemming, der Chefin der Crown Prosecution Service Counter Terrorism Division beruhigt?

Ich habe die Beweise, die mir von der West Midlands Counter Terrorism Unit geliefert wurden, überprüft und bin soweit zufrieden, dass sie für eine Aussicht auf Verurteilung genügen werden und es ist auch im Interesse der Öffentlichkeit, dass die Männer für diese Vorwürfe zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Hausdurchsuchungen am 20. Dezember galten als größte ihrer Art seit April 2009. Damals wurden ebenfalls 12 Männer, die übers ganze Land verteilt ihren Wohnsitz hatten, festgenommen. Und später wieder freigelassen...