Wie neu ist die New Economy?

Viel Traffic, aber keine Gewinne

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Die Sehnsucht nach einer neuen Ökonomie steckt hinter den meisten Spekulationsblasen, die wir im 20. Jahrhundert gesehen haben. Insofern ist es nicht überraschend, dass sich in der Boomphase des Jahres 1999 der Begriff "New Economy" wieder einmal einbürgerte. Es war kein geringerer als Benjamin Graham (1894-1976), der als Vater der modernen Wertschriftenanalyse gilt und der davor warnte, dass Aktienpreise "nicht vorsichtig berechnete Werte, sondern die Ergebnisse eines Durcheinanders menschlicher Reaktionen" seien. So war der Börsenboom in den zwanziger Jahren vom Glauben an eine "new world of industry" getragen. In der Kennedy-Ära wurde erneut eine "New Economy" gefeiert, in welcher eine permanente Prosperität erreicht werden sollte.

Dass heute wieder von einer New Economy geredet wird, in der die Technomanie nunmehr den Endsieg feiert und dauerhaft hohe Produktivitätsfortschritte auf der Tagesordnung stehen, ist natürlich genauso unrealistisch wie die Preise holländischer Tulpen als deren Spekulationblase platzte. Bisher lässt sich die angebliche fundamentale Produktivitätssteigerung der amerikanischen Wirtschaft im Grunde nicht mit Zahlen belegen. Langfristig gesehen zeigt das Produktivitätswachstum in den USA große Schwankungen, wobei die 90er Jahre mit einem Wachstum von durchschnittlich 2,5 % übrigens wesentlich schlechter abschneiden als die 60er Jahre, wo der Zuwachs immerhin 4,4 % betrug.

Produktivitätswunder?

Was kann man nicht heute alles über die sogenannte New Economy lesen. Es wird vom Verschwinden der Inflation, von einer Produktivitätsrevolution, von Hyperwachstum und über Vollbeschäftigung philosophiert. Die Frage, ob sich im neuen Kondratieff-Zyklus tatsächlich eine durchschnittliche Erhöhung der Produktivitätszuwächse abzeichnen wird, kann zum heutigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Im Durchschnitt war die jährliche Produktivitätssteigerung in den 90er Jahren in den USA nur etwa gleich hoch wie in den achtziger Jahren. Das hat damit zu tun, dass sich das Produktivitätswunder weitgehend auf den Hightech-Bereich beschränkt.

Von einem Wunder in der Gesamtwirtschaft könnte deshalb nur dann gesprochen werden, wenn alle Bereiche durch die Netzwerkeffekte eine höhere Produktivität erreichen. Das kann zwar nicht ausgeschlossen werden, wird aber nicht über Nacht geschehen, sondern wahrscheinlich ein bis zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Zwar verkürzt sich mit jedem neuen Kondratieff-Zyklus die Zeitspanne, in der eine Basistechnologie den Markt durchdrungen hat, jedoch befinden wir uns aktuell erst am Beginn eines neuen Zyklus', der maßgeblich von der Biotechnologie geprägt werden wird. In der Übergangsphase vom Computer- zum Biotech-Zeitalter, im Rahmen derer beide Technologien zu eine neuen Synthese verschmelzen, könnte sich in der Tat so etwas wie ein elektronisches Wirtschaftswunder auf globaler Ebene vollziehen. Allerdings wird dies zu einer Vielzahl von Verwerfungen und Turbulenzen in den Märkten führen.

Was ist so neu an der New Economy?

Fasst man den Begriff "New Economy" nicht mikroökonomisch, sondern makroökonomisch auf, dann steht dieser für das elektronische Wirtschaftswunder, das sich in den 90er Jahren in den USA vollzogen hat und das sich in hohen Wachstumsraten und weitgehender Preisstabilität in den letzten 9 Jahren widerspiegelt. Doch aus diesem langen Trend abzuleiten, dass es jetzt immer so weitergehen müsse, wäre fatal. Genauso wenig, wie man bei einem Besuch des Spielcasinos in Baden-Baden, nachdem 9 mal die schwarze Zahl aufgetreten ist, annehmen kann, dass nun die schwarz in Zukunft häufiger auf tritt als rot, genauso unwahrscheinlich ist ein Weiterwachsen der Wirtschaft im Tempo der 90er Jahre ohne größere Schwankungen in den kommenden Jahren.

An der Börse werden mit "New Economy" heute all diejenigen Unternehmen beschrieben, die im Hochtechnologiebereich angesiedelt sind. Dazu zählen Unternehmen der Computerindustrie, der Kommunikationsbranche, der Medizintechnik oder der Biotechnologie. Viele Unternehmen aus diesen Branchen existieren schon seit über 10 Jahren und nicht erst seit dem Aufkommen der Begrifflichkeit "New Economy". Der heutige Phasenübergang ist demnach kein Übergang von alt nach neu, wie uns der Begriff "New Economy" suggeriert, sondern ein Übergang in der Art und Weise, wie wir durch Netzwerke die Welt wahrnehmen und wie sich dadurch unsere Weltanschauungen verändern.

Netzeffekte generieren neue Blue Chips

Netzwerkeffekte beschreiben die Auswirkungen der Aktionen von Teilnehmern in einem Netzwerk. Der Wert eines Netzwerkes steigt mit jedem zusätzlichen Nutzer (direkte Netzwerkeffekte) - und zwar für jeden bereits bestehenden Nutzer. Dies hat den 3COM-Gründer Metcalfe zur Definition des Metcalfes Law veranlasst, das besagt, dass der Nutzen eines Netzwerks im Quadrat mit jedem neuen Nutzer ansteigt. Bekannt ist das Beispiel der Faxgeräte, bei dem der Wert eines Faxgerätes mit der Anzahl der Faxgeräte und damit mit der Größe des Kommunikationsnetzes gestiegen ist. Das eigentliche Produkt tritt dabei in den Hintergrund und der Wert des Netzwerks in den Vordergrund.

Indirekte Netzwerkeffekte ergeben sich dann, wenn der Wert eines Produktes von der Verfügbarkeit zusätzlichen Dienstleistungen abhängt. Das Microsoft-Betriebssystem wurde letztendlich um so wertvoller, je mehr Programme auf ihm laufen konnten und je mehr User sich für dieses Betriebssystem entschieden haben. Die in physischen Warenmärkten auftretende Gesetzmäßigkeit, dass die zunehmende Verbreitung eines Produktes zu einem sinkenden Wert führt, wird hierbei ad absurdum geführt. Da jeder zusätzliche Teilnehmer an einem Netzwerk dessen Wert erhöht, werden zusätzliche Nutzer angezogen, d.h. es findet ein positives Feedback statt. Nur durch dieses Feedback ist das phänomenale Wachstum von Firmen wie Cisco, Microsoft, Yahoo oder Amazon.com in den letzten Jahren zu erklären.

Ökonomie der Phasenübergänge

Die Vision der Vertreter der "New Economy", dass es praktisch keine Inflation und keine Konjunkturschwankungen mehr gibt, dafür aber ein Wachstum ohne Ende auf hohem Niveau, ist ein Trugschluss mit Folgen. Netzwerke neigen zu chaotischem Verhalten, dies ist ihnen sozusagen in die Wiege gelegt. Das bedeutet jedoch für das aktuelle Vernetzungsphänomen der Globalisierung, dass dies eben nicht zu einem neuen Plateau führt, wie oftmals behauptet wird, sondern dass in diesem die Volatilität zunehmen wird und zwar immer dann, wenn sich neue Attraktoren herausbilden.

Es darf deshalb vorhergesagt werden, dass Technologiewechsel im Rahmen der "New Economy" zu dramatischen Veränderungen in den Märkten führen werden, die den Gesetzen der Nichtlinearen Dynamik und der Chaostheorie folgen. Leider haben die wenigsten Professoren, die sich heute mit Wirtschaft und Betriebswirtschaftslehre befassen ein ausreichendes Wissen über Kybernetik und komplexer Systeme. Deshalb dürften die Metamodellierung in den kommenden Jahren für das Überleben in einem turbulenten Umfeld immer wichtiger werden.

Das Gesetz des abnehmenden Ertrages

Betrachtet man die heutige Entwicklung, so fällt auf, dass die Datenbeschaffung und Generierung von Informationen zwar zu einer Verbesserung der Wertschöpfungsketten führt, dass jedoch durch die Vielzahl der Anbieter der schnellere Zugang zu Wissen eben auch dem Gesetz des abnehmenden Ertrages unterliegt.

Das hier auftretende Paradox hat volkswirtschaftlich bisher noch niemand zu lösen vermocht. Zwar ist es für alle nützlich, über immer mehr Möglichkeiten der Informationserzeugung zu verfügen, aber diese zunehmenden Möglichkeiten generieren immer weniger Gewinn in Form von Geld, sondern in Form von Wissen. Das bedeutet jedoch, dass eine Wirtschaft, die auf der Verrechnungseinheit Geld basiert, zwangsläufig irgendwann Pleite gehen muss, da durch den Trend zum kostenlosen Wissen immer weniger Gewinne mit diesem erzielt werden können.

Sind Unternehmen Auslaufmodelle?

Open-Source-Aktivitäten, kostenlose Informationen und geringe Transaktionskosten werfen die Frage auf, ob man überhaupt noch Unternehmen benötigt oder ob die Organisationsform der Zukunft in einer Trading-Ökonomie auf der Grundlage von Netzwerken liegt. Netzwerke stoßen im Gegensatz zu Unternehmen nicht so leicht an Komplexitätsgrenzen. Die Theorien von Coase sind als revolutionär zu betrachten, da sie die Frage nach der Existenzberechtigung vertikal integrierter Unternehmen stellen, die die Industriegeschichte des 20. Jahrhunderts beherrscht haben. In einer netzbasierten Ökonomie der gegen Null tendierenden Transaktionskosten sind die Fokussierung auf Kernkompetenzen, der Aufbau horizontaler Netzwerke und der ständige Wandel der Strukturen und Prozesse zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren geworden. Außer Geschwindigkeit zählt in den Netzwerkmärkten auch die Kostenstruktur zu einem strategischen Wettbewerbsfaktor. Wer fast nur Fixkosten hat, die zudem noch gering sind, ist unabhängig von der verkauften bzw. hergestellten Menge. Dies trifft vor allem auf die Software-Industrie zu. Ist die Software entwickelt, dann sind die Vervielfältigungskosten äußerst gering. Im Grenzfall äußerster Produktivität nähert sich dann der Gewinn pro Verkaufseinheit dem getätigten Umsatz.

Das rasante Wachstum des Internet darf nicht dazu verleiten, falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. Viele Netzwerkfirmen werden nicht zu den Gewinnern gehören, da der Internet-Markt hart umkämpft ist. Viele Unternehmen haben durch kostenlose Informationen zwar viel Traffic auf ihren Seiten, sie machen jedoch trotz der Netzwerk-Effekte keine Gewinne. Ohne Gewinne hat jedoch jedes Unternehmen in absehbarer Zeit seine finanziellen Ressourcen aufgebraucht. Dieses Problem des Kapitalvernichtens, auch Burn Rate genannt, lässt sich nur lösen, wenn Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden können, für die die Kunden auch bereit sind zu bezahlen. Erfolg im E-Business werden nur diejenigen Unternehmen haben, die über die richtige Strategie verfügen und weniger ausgeben als sie einnehmen. Und das werden in einer Net Economy eben nur 10 bis 20 % der neuen Firmen sein.