Wiege der bösen Kinder

Krippen: Eine groß angelegte Studie aus den USA stellt leichte Verhaltensstörungen bei Kindern fest, die längere Zeit in der Tagesbetreuung verbringen

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Welchen langfristigen Einfluss hat der Krippenbesuch auf die Entwicklung des Kindes? Der Streit darüber, wie gut oder schädlich es für ein Kleinkind ist, den größten Teil des Tages in der Oberhut von Erzieherinnen zu verbringen statt zu hause bei der hegenden Mutter oder neuerdings auch beim fürsorglichen Vater, wurde nicht erst vor kurzem in Deutschland erfunden (vgl. Gute Krippe, böse Krippe und Kampf der Krokodile). In Amerika hat die Debatte wie so oft einen griffigen Namen „The Day Care Wars“ oder auch "The Mommy Wars" und wird seit den späten achtziger Jahren geführt. Neue Nahrung bekommt sie aktuell durch die Ergebnisse einer umfangreichen Longitudinal-Studie, denen zufolge Kinder, die ein Jahr oder länger in „Day Care“ verbrachten, mit einiger Wahrscheinlichkeit Verhaltensprobleme in der Schule haben; ein Effekt, der bis zur sechsten Klasse anhalten kann.

Verkürzt man die Ergebnisse der Studie, die in der aktuellen Ausgabe des amerikanischen Fachmagazins „Child Development“ veröffentlicht wurde, auf eine kurze Formel, so lautet diese: Die Qualität der außerhäusigen „Kindertagespflege“ spielt eine Rolle, eine noch größere Rolle spielt aber die Qualität der elterlichen Erziehung.

Die Studie gilt als die größte, umfassendste und am längsten angelegte über „Child Care“ in den USA. Aufwändig ist sie auf jeden Fall, sie fährt beträchtliche empirische Geschütze auf, verfolgt eine ansehnliche Grundgesamtheit von Kindern, etwa 1300, in ihrer Entwicklung seit ihrer Geburt im Jahre 1991 (repräsentativ für die Gesamtheit der Kinder in den USA ist das Sample allerdings nicht, ausgesucht wurden Familien von zehn verschiedenen Orten in den USA). Und ihre Erkenntnisse?

Obwohl die elterliche Erziehung sich als stärkster und konsistentester Einflusswert für die Entwicklung der Kinder herausstellte, zeigte sich, dass die Qualität der Tagesbetreuung der Kinder im Vorschulalter eine wichtige Rolle bei der Entwicklung ihres Vokabulars spielte. Ein Effekt, der offensichtlich bis in die Schuljahre anhält, wie der federführende Autor der Studie, Jay Belsky, berichtet:

Children who had higher quality care before starting kindergarten had better vocabulary scores in the fifth grade than children who had lower quality care.

Verhaltensprobleme im normalen Bereich

Was rechnerische Fähigkeiten oder die Lesekompetenz betrifft, fanden die Forscher keinen Unterschied. Sie ermittelten jedoch einen, wenn auch nur leicht signifikanten Unterschied im Verhalten der Kinder, eben genau jenen, der Futter für Krippengegner liefern könnte: Ganz egal, wie es um die Qualität der Tagesbetreuung bestellt war, zeigten Kinder, die schon vor dem Kindergarten länger aushäusig betreut wurden, mehr Verhaltensprobleme in der Schule.

Konkret wurden die Verhaltensprobleme an Check-Listen von Lehrern mit 100 unterschiedlichen problematischen Verhaltensweisen festgemacht, darunter zählen: „verlangt eine große Menge an Aufmerksamkeit; streitet sich viel; Aufschneiden und Prahlen; zerstört Sachen, die anderen gehören; Grausamkeit, Schikanieren von anderen, Gemeinheiten gegenüber anderen; ungehorsam in der Schule; wird in viele Kämpfe hineingezogen; Lügen und Betrügen; schreit oft“.

An Kindern, die längere Zeit über in der Tagesbetreuung verbrachten, wurden später vor allem aggressiveres Verhalten, Probleme mit Ungehorsam und die Verstrickung in Kämpfe und Streitigkeiten beobachtet. Allerdings, so betonten die Forscher nachdrücklich, seien diese Probleme fest im normalen Bereich verankert und könnten nicht als „klinisch“ klassifiziert werden:

It would not be possible to go into a classroom and with no additional information, pick out which children had been in center care.

Jay Belski

Beide Effekte, die in der Studie herausgestellt werden, das bessere Vokabular der „Day Care“-Kinder und ihre Verhaltensprobleme, würden allerdings, so die Verantwortlichen der Studie, „sehr gering“ sein, wenn man sie dem Einfluss die elterliche Erziehung auf das Kind gegenüber stellt, egal, um welche Art der Betreuung es sich handelt und in welcher Quantität oder Qualität sie in Anspruch genommen werde.

Bemerkenswert ist darüber hinaus, was die Wissenschaftler unter „Child Care“ genauer verstanden: Die Betreuung durch jemanden anderes als die Mutter nämlich, eingeschlossen also die Väter, Großeltern und andere Verwandte, mindestens 10 Stunden in der Woche.

Eine Erklärung für die Verhaltensprobleme der Day-Care-Kinder liefert die Studie nicht; der Leiter der Studie sieht stattdessen etwas besorgt in die Zukunft:

Was passiert in Klassenzimmern, Schulen, auf Spielplätzen, in Nachbarschaften, wenn immer mehr Kinder in immer jüngerem Alter immer mehr Zeit in Kindertagesstätten verbringen, die unstrittig von eingeschränkter Qualität sind?

Kritiker werfen der Studie vor, dass man den unterschiedlichen Arten der Tagesbetreuung nicht genügend Rechnung getragen habe, dadurch habe man keine echten Kontrollgruppen zur Verfügung gehabt, um Ursache und Wirkung genau zu ermitteln.

Ergänzung:

Die Kosten der Studie werden von der New York Times mit 200 Millionen US-Dollar beziffert. Finanziert wurde sie von dem National Institute of Child Health and Human Development, dessen Budget und Zuwendungen vor dem Kongress verantwortet werden müssen.