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US-Militärausbilder propagieren P2P-Technologien mit dem Werbeslogan: "Simulation on Demand"

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Jenseits von Cyberkriegern, Hackern, Würmern, Viren, Makros, Defacements und Firewalls gibt es auch noch den realen Krieg, der seit ewigen Zeiten auf die endgültige Vernichtung von Menschen und Gerät zielt. Aber dieser Krieg wird im Zeitalter der Rechner selbst inzwischen so nachhaltig virtualisiert, dass die diskrete Unterscheidung von Realität und Virtualität auch hier nur noch bedingten Sinn macht. Das US-Militär hat von Napster gelernt und propagiert jetzt insbesondere den verstärkten Einsatz von Peer-to-Peer-Technologien (P2P) für sämtliche Bereiche der militärischen Aufgabenerfüllung. Michael Macedonia, technischer Direktor von STRICOM (U.S. Army Simulation, Training, and Instrumentation Command) plauderte jüngst aus der Trickkiste, die das Testlabor von James Bonds Medien- und Waffenmeister Major Boothroyd (Desmond Llewelyn), Codename: "Q", als Kinderkram verabschiedet.

Das militärische Interesse an virtuellen Aufrüstungen richtet sich sowohl auf Ausbildungszwecke wie auch auf die heißen Phasen der Schlacht. Die Vorteile für die militärische Ausbildung liegen auf der Hand. Virtuelles Kampftraining ist gegenüber dem Einsatz von realem Gerät billiger, eröffnet beliebig viele Wiederholungen und schont Soldaten. Bekanntlich verursacht jedes Manöver immer wieder Gefallene, während der crash im Flugsimulator lässig abzufedern ist. Vor allem will man mit dem Einsatz mobiler Rechner Ausbildungssituationen gewährleisten, die dem Prinzip simulation on demand folgen: Jeder Soldat soll jederzeit seine Übungsprogramme starten können, ohne noch länger auf den Einsatz von Servern warten zu müssen. Zitat Sergeant Hartman (Full Metal Jacket, 1987):

Wenn ihr Ladies meine Insel verlasst, wenn ihr meine Ausbildung überleben solltet, seid ihr eine Waffe, seid ihr Priester des Todes und betet um Krieg. Aber bis zu diesem Tag seid ihr Dreck, seid ihr die niedrigste Lebensform auf Erden, seid ihr noch nicht mal annähernd sowas wie Menschen, seid ihr nichts anderes als ein unorganisierter Haufen von amphibischer Urscheiße.

Heute könnte der unfähige "Private Paula", dessen Ausbildungsergebnis im Wesentlichen darin besteht, erst Serg. Hartmann und dann sich selbst professionell ins Jenseits zu befördern, wesentlich stressfreier lernen.

Inzwischen werden viele wundersame Geschichten von virtuell trainierten Soldaten berichtet, die selbst alte Hasen aus dem Drillich hauen, weil ihnen die immer komplexeren Bedienungen des Geräts in Fleisch und Blut übergegangen sind, bevor sie auch in Fleisch und Blut exekutiert werden müssen. So wurde bereits in den 80er-Jahren ein "gunnery trainer" namens UCOFT ( Conduct of Fire Trainer) eingesetzt. Die Soldaten, die mit UCOFT trainierten, hatten bereits unzählige Feindpanzer geknackt, und als sie dann in wirklichen Panzern eingesetzt wurden, erwiesen sie ein erstaunliches Geschick. In Zukunft sollen unspezifische Trainings-Programme durch konkretes Training potenzieller Missonen verfeinert werden.

Mit anderen Worten: Stürmt eine Kampfeinheit einen Hügel in Feindesland, ist den Soldaten das Szenario so vertraut wie ihr Lieblingsfilm, den sie schon ein Dutzend Mal gesehen haben. Idealtypisch wären Kämpfe Reprisen von längst Erlebtem und Durchlittenem. Alle militärische Euphorie, den Nebel des Kriegs simulatorisch zu vertreiben, täuscht aber darüber hinweg, dass die immer schon vorausgesetzten Verhaltensweisen des Feinds, seine "antagonistische Kooperativität" die Schwachstelle so fröhlicher Kriegsspiele bleibt.

Wer jedenfalls eifrig halflife trainiert, darf sich das vermutlich demnächst auf die Grundausbildung anrechnen lassen. Die trennschwache Differenz zwischen Actionspielen und rechnergestützten Kampfeinsätzen gehört inzwischen schon zum Allgemeingut der Cyberkulturkritik. Aber diese intime Beziehung zwischen zivilen und militärischen Einsätzen soll mit der P2P-Technologie noch weiter ausgebaut werden.

Da wäre etwa der Close Combat Tactical Trainer: Die Anlage besteht aus 40 Modulen, die Bradley Schützen- bzw. M1 Abrams Kampfpanzern nachgebildet sind. Die Module sind zwar äußerlich den Kampffahrzeugen nicht nachgebildet, besitzen nicht einmal eine Kanone, im Innern aber sind sie von dem realen Gerät nicht unterscheidbar. Im Gehäuse sind aufwändige Datenbanken, die etwa das "National Training Center" in der Mojave Wüste, ein zentraleuropäisches Szenario, ein kosovarisches Schlachtfeld oder etwa eine "Fort Hood"-Datensammlung realitätsnah repräsentieren. Die vierzig Module sind über ein "Ethernet" zu einem P2P-Environment verbunden. Das Interesse des Militärs richtet sich auch darauf, die Datensätze zu verbinden, um immer größere und differenzierte Kampfschauplätze zu eröffnen. Tendenziell wird die Cybergeneralität wohl erst zufrieden sein, wenn sich - etwa per GPS-Systemen (Ortsbestimmungssystem durch Satelliten) - die komplette Welt als virtuell-militärischer Raum konstruieren lässt. Aber die Eroberung der virtuellen Kampfzone bescheidet sich nicht nur auf mehr oder minder statische Modulwelten.

Jeder auszubildende Rekrut soll in Zukunft sein komplettes Kriegstheater unter dem Kampfhelm tragen, das über ein HMD-System (head-mounted display) eingespielt wird. Die weitere Zielsetzung der militärischen Trainingsabteilungen lässt jede zünftige LAN-Party um Lichtjahre der Langeweile hinter sich zurück. Die Kämpfer bewegen sich in einer so genannten augmented reality, einer hochgereizten Wirklichkeit, die aus realen Gebäuden und Mitspielern besteht, in die aber zugleich ganze Kompanien von virtuellen Bösewichtern, Kameraden und Zivilisten eingespielt werden. Sowohl physisches wie virtuelles Training werden synergetisch in ein Szenario gebannt, das so real wie virtuell ist. Um das artifizielle Schlachtfeld perfekt zu machen, werden alle realen Soldaten etwa mit einem 802.11 LAN-System miteinander konnektiert. In dieser hochkomplexen Zwischenwelt sind selbstverständlich kritische Situationen nicht nur realitätsgerecht, sondern auch sehr variabel zu gestalten, sodass der Erfahrungsreichtum solchen Kämpfern sehr viel umfassender zu vermitteln ist als ihn klassische Manöverschulungen bieten. Bisher unterhielt STRICOM 400 bezahlte Akteure, die den simulierten Kampfeinsatz lebensnah gestalten sollten. Solche Kriegsschauspieler sind nicht nur teuer, sie sind vor allem für militärische Zwecke viel zu menschlich: Sie werden müde, haben Motivationsschwächen und liegen vielleicht zuletzt gar wimmernd in der Ecke.

Wie seit dem T(erminator) 1000 hinlänglich bekannt ist, kennen synthetische Charaktere solche Schwächen nicht. Auf Grund eines 1999 geschlossenen Vertrags der U.S. Army mit der "University of Southern California" entwickelt das "Institute For Creative Technologies" (ICT) maßgeblich Trainingssimulationen in Kooperation mit der Entertainment-Industrie und Computerprofis. Charaktere, Storyboards, visuelle und audititve Effekte, die bereits von der Spieleindustrie erfolgreich entwickelt wurden, sollen mit Netzwerktechniken, künstlicher Intelligenz und virtueller Realität so innig zusammenwachsen, um sich dem Ideal der Verisimilitude (Wahrhaftigkeit) zu nähern. Die computergenerierten Körper, die in bescheidenem Maße auch auf natürliche Sprache reagieren, werden mit Hollywoods cineastisch erprobter Kampferfahrung und nimmermüdem Willen zum Sieg beseelt.

Die synthetischen Kriegsschauplätze sollen so realistisch angereichert werden, dass auch in den bisherigen Simulationsszenarien bisher nicht berücksichtigte Beteiligten ihren Aufritt haben. Auf den neuen hyperrealen Ausbildungsschlachtfeldern wird es genau so Einsätze des Roten Kreuzes geben wie Verwundete, die um Hilfe schreien oder Kinder, die hilflos durch die hochinformierte Datenwirklichkeit irren. Es wird zur virtuellen Ironie, dass die künstlichen intensivierten Kampfeinsätze auf dem Holodeck nicht nur einen höheren Wirklichkeitsgehalt bescheren, als er bisher im militärischen Trockendock erzielt werden konnte, sondern auch als ihn regelmäßig begrenzte Kampferfahrungen in realen Konflikten bieten.

Ja die militärischen Fantasien gehen sogar so weit, die synthetischen Charaktere auch kommunikativ und selbst emotional so weit aufzurüsten, dass die Kombattanten die verschiedenen Wahrnehmungsebenen, die hier verschaltet werden, nicht mehr unterscheiden. Diese Charaktere folgen keinem Script, sondern sollen gleichsam selbst "überlegen", um ihre jeweiligen Handlungsschritte zu vollziehen. Auch das dient selbstverständlich dem Anspruch, ihr Verhalten so komplex zu gestalten, dass ihre Reaktionen für menschliche Krieger weniger antizipierbar sind.

Nun hat die P2P-Technologie vor allem den Vorteil, dass die immer wichtigere Konnektierung sämtlicher Kampfeinheiten nicht von einem Server abhängt, dessen Ausfall letale Bedeutung für unzählige Einheiten des elektronischen Equipments hätte. Und hier liegt dann auch die entscheidende Verbindungslinie zum Einsatz solcher Technologien im Ernstfall. Die punktuelle Sicht des Soldaten vor Ort, der sich zuvor auf Offiziere verlassen musste, die ihrerseits wieder von einem Generalstab angeleitet wurden, der mit mehr oder minder guter Sicht vom Feldherrnhügel aus die Geschicke der Truppe leitet, ist mit den dynamischen Anforderungen einer instantanen, verzögerungslosen Kriegführung genau so wenig zu vereinbaren wie mit dem Topsight-Ideal. Die Idee eines begrenzten menschlichen Horizonts wird in dem Verbundsystem von GPS, P2P und HMD völlig aufgelöst. Nicht nur sind ständige Feedbacks zwischen verschiedenen Beobachterpositionen möglich, die etwa feindliche Überraschungsangriffe oder Attacken aus dem Hinterhalt immer schwieriger werden lassen. Auch der Generalstab verfügt über omnipotente Facettenaugen, die sowohl hierarchische Positionen als auch den Blick auf das Weiße im Auge des Gegners beliebig kombinieren können. Aber selbst dieses Ideal einer Totalerfassung der instantanen Wirklichkeit in sämtlichen Aspekten des Kampfgeschehens ist noch nicht das Ende der angestrebten Wahrnehmungsherrschaft. Die zentrale und dezentrale Steuerung kann potenziell auf wachsende Datenspeicher zurückgreifen, die zukünftige Schlachtfelder als erfahrungsdurchwirkten Raum projizieren. So kann der Heckenschütze (Sniper) von gestern oder die in der letzten Woche zurückgelassene Munition neuen, unerfahrenen Kombattanten in der Display-Information vermittelt werden. Menschliche Erfahrung wird durch Datenspeicher vervielfacht, Kampfeinheiten sind nur noch als hochintegrierte Mensch-Maschinen-Verbundsysteme schlagkräftig.

Bleibt eigentlich nur noch eins zu hoffen: Dass die überschießende Freude der Militärs an ihren simulativen Kriegsspielen so nachhaltig bleibt, dass der wirkliche Kriegseinsatz wegen seiner technisch-ästhetischen Mängel von der Generalität gemieden wird. Im Übrigen bleibt die Empfehlung des Gibson-Warfare: Auch Sieg oder Niederlage verbindlich in die blutarmen Simulationswelten zu verlegen. Treffen am nächsten Wochenende mit Saddam Hussein zur Mega-Lan-Party "Mother of All Battles Infinite" der hundert besten Egoshooter, verbindlichen Entscheidungen des von der UN eingesetzten höchsten Kriegsspielgerichts nebst feierlicher Verleihung der eisernen Cyberkreuze. Aber so weit reicht die militärische Fantasie bislang nicht.