"Wir haben immer einen differenzierten Blick auf die Technik gehabt"

Energiepolitik in der Bundestagswahl 2005: Interview mit Michaele Hustedt (Bündnis90/Grüne)

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Michaele Hustedt ist energiepolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion.

Frau Hustedt, warum sollte man aus Energiegesichtspunkten die Grünen wählen?

Michaele Hustedt: Weil wir die Partei sind, die für eine zukunftssichere Energieversorgung sorgen.

Der Presse ist in den letzten Wochen dennoch zu entnehmen, dass die CDU in der Energiepolitik nicht viel anders machen will. Selbst die Industrie der erneuerbaren Energien hat keine Angst vor der CDU. So sagte z.B. der Vorstandschef der SolarWorld AG gegenüber der Zeitung E&M: "Peter Paziorek (CDU) hat sich mir gegenüber ganz eindeutig hinter die Photovoltaik gestellt…. Den großen Einbruch sehe ich nicht." Und letztlich hat die Förderung der Windkraft unter der Kohl-Regierung angefangen.

Michaele Hustedt: In der Tat gab es die Windkraftförderung, aber sie ist deutlich gestärkt worden, aber andere erneuerbare Energien - Biomasse, Photovoltaik, Erdwärme - wurden nicht unter Kohl berücksichtigt. Die gesamte Breite der Förderung für erneuerbare Energien ist neu. Rot-Grün hat für diese Dynamik gesorgt. Dass wir Weltmeister im Bereich erneuerbare Energien, ist das Ergebnis unserer Politik.

Pro forma spricht sich die CDU - und übrigens auch die FDP - für die erneuerbaren Energien aus, aber sie wollen das Instrument wechseln: hin zum italienischen Zertifikatsmodell oder dem britischen Bonusmodell. Laut Gesetz werden die erneuerbaren Energien dort gefördert, aber praktisch kommen sie zum Erliegen.

Es gibt Unterstützer bei der CDU/CSU für das Erneuerbare-Energien-Gesetz, aber sie sind in der Minderheit, und wenn es darauf ankam, dafür oder dagegen zu stimmen, konnten sie sich gegen die Gegner der erneuerbaren Energien nicht durchsetzen. Wenn Herr Paziorek sagt, er ist für die erneuerbaren Energien, dann glaube ich ihm dann, aber Herr Pfeiffer, der energiepolitische Sprecher mit engem Draht zu Merkel, ist ein Gegner der Erneuerbaren. Für ihn zählen nur die Preise.

Was sagen Sie zu dem Argument, wenn man den erneuerbaren Energien genug Geld hinterher schmeißt, dann ist es kein Wunder, dass sie laufen?

Michaele Hustedt: Wir haben eine ganz scharfe Degression in den Vergütungssätzen. Die Sätze werden bis 2010 um 40% sinken. Die Firmen stehen daher unter einem sehr scharfen Innovationsdruck. Auf der anderen Seite müssen die Sätze hoch genug sein, damit investiert wird. Das wird sehr genau justiert, und wir achten sehr genau drauf, dass es keine Mitnahmeeffekte gibt, sondern nur einen ganz normalen Anreiz für Investitionen.

Der Erfolg in der Photovoltaik gerade in Deutschland hat aber in letzter Zeit dazu geführt, dass es Engpässe in der Lieferkette für Solarsilizium gibt. Die Preise sind also leicht gestiegen, nicht gesunken. Kann es nicht sein, dass der Motor Deutschland nicht zu niedrigeren Preisen führt, sondern zu Engpässen?

Michaele Hustedt: Das sind ganz eindeutig Übergangsprobleme. Beim Solarsilizium gibt es die Umstellung von Abfall aus der Halbleiterindustrie auf selbst produziertes Silizium. Die Produktionsanlagen gab es dafür noch nicht, die müssen erst aufgebaut werden. Das ist ein normaler Zyklus, den es in jeder wachsenden Branche gegeben hat und gibt.

Ich sehe kein Problem darin, ohne Kernkraftwerke auszukommen

Was sagen Sie zu den Kritikern des Atomausstiegs, die behaupten, wir können den Atomstrom nicht ersetzen?

Michaele Hustedt: Erstens gibt es viele Länder, die ohne Atomkraftwerke auskommen….

Die größten doch nicht.

Michaele Hustedt: Natürlich gibt es viele Länder, die keine Atomkraftwerke haben. In Österreich stehen keine Atomkraftwerke, in Italien und in Dänemark nicht. Die Mehrheit der europäischen Länder hat keine Atomkraftwerke. Davon abgesehen: Es bestreitet kein Energieversorgungsunternehmen, dass eine Stromversorgung in Deutschland auf der Grundlage von fossilen und erneuerbaren Energien sichergestellt werden kann.

Wir müssen sowieso bald viele alte Kraftwerke aus Altersgründen vom Netz nehmen. Und Kernkraftwerke sind oft nicht die optimale Investition, weil sie viel zu lange Amortisationszeiten haben. Gasturbinen sind viel wettbewerbsfähiger, weil sie sich bereits nach 10 Jahren amortisiert haben. Ich sehe kein Problem darin, ohne Kernkraftwerke auszukommen, insbesondere wenn die Ausstiegszeiten über Jahrzehnte gehen.

Allerdings verlängern andere Länder die Laufzeiten der Kernkraftwerke eben deshalb, weil sie bereits abgezahlt sind und deshalb erst recht rentabel sind.

Michaele Hustedt: Wenn alte Kernkraftwerke laufen, dann machen die Energiekonzerne einen Zusatzgewinn. Aber die deutschen Energieversorger haben strikt zurückgewiesen, dass diese Gewinne an die Verbraucher weitergegeben werden. Die Kunden haben überhaupt nichts davon. Die vier großen Versorger haben in den letzten Jahren eine Gewinnsteigerung in der Stromproduktion von 30, 40, manchmal 50 Prozent im Jahr gehabt - trotz wirtschaftlicher Krise. Sie haben wegen mangelnden Wettbewerbs ihre Claims abgesteckt und die gefangenen Kunden wirklich abgezockt. Deshalb haben wir eine neue Bundesnetzagentur, die denen tatsächlich auf die Finger schaut, dass hier nicht Zusatzgewinne eingesteckt werden. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum man ihnen Milliarden schenken soll.

Vor allen Dingen ist das kontraproduktiv: Kein Mensch wird in den Energiesektor in Deutschland investieren, wenn man gegen abgeschriebene Kernkraftwerke der großen Vier konkurrieren soll. Das stabilisiert nur das Oligopol, nichts anderes. Für Verbraucher und Industrie ist das absolut schädlich.

Kernkraftwerke kann man aber rauf- und runterfahren, wenn man mehr oder weniger Strom braucht. Wind- und Solaranlagen nicht.

Michaele Hustedt: Kernkraftwerke kann man mitnichten rauf- und runterfahren, wenn man sie braucht. Atomstrom ist der unflexibelste Strom überhaupt. Er kann nur in der Grundlast gefahren werden, weil er eben nicht wie eine Gasturbine rauf- und runtergefahren werden kann. Deswegen sind z.B. alle Pumpenspeicherwerke blockiert und können für die Windkraft nicht genutzt werden. Deswegen ist die Kernkraft genau die falsche Ergänzung für die erneuerbaren Energien. Wir brauchen flexible Kraftwerke, die sozusagen mitfahren können.

Frankreich und Litauen haben Dreivietel Atomstrom. Irgendwie schaffen sie das.

Michaele Hustedt: Gerade Frankreich hat aber Probleme, wenn es heißer wird, weil die Kernkraftwerke nicht gekühlt werden können. Darum müssen sie in großem Maßstab aus Deutschland importieren. Bei jeder Form der Energieerzeugung gibt es bestimmte Probleme, und bislang ist es den Versorgern immer gelungen, einen gesunden Mix aus Energieträgern im Kraftwerkspark zu haben und ein darauf abgestimmtes Netzmanagement zu betreiben. Nur bei den erneuerbaren Energien machen sie ein Riesenproblem daraus, weil jemand anders als sie investiert. In Deutschland geht den großen vier Versorgern jedes Jahr ein Prozent Marktanteil verloren. Deswegen sind sie strikt gegen die erneuerbaren Energien, denn da kann jeder mitmachen.

Aber nicht alle erneuerbaren Energien haben die Probleme, von denen wir sprechen. Das gilt eigentlich nur für Wind und Photovoltaik, und letztere macht sowieso so wenig vom Stromangebot aus, dass sie in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt. Bei Biomasse und Erdwärme haben wir diese Probleme nicht. Aber die Versorger bauschen diese Probleme auf, als wären sie unlösbar. Dabei hatten wir schon immer schwankende Nachfrage und Angebot. Das ist ein ganz normales Geschäft.

Netzmanagement, Kraftwärmekopplung und Ökosteuer

Sie reden aber immer von der Angebotsseite. Warum redet niemand vom Lastmanagement?

Michaele Hustedt: Mit intelligenten Netzen läuft das hervorragend. Man kann sehr viel Regelenergie sparen, wenn man mit der Industrie abspricht, dass sie zu Zeiten hoher Nachfrage Anlagen vom Netz nehmen und dafür eine Vergütung bekommen. Das ist eine großartige Möglichkeit, CO2-Emissionen, Regelenergie, und Investitionen in das Netz zu vermeiden.

Kann die Politik dafür sorgen? In Austin/Texas haben die Stadtwerke den Privathaushalten angeboten, gezielt bestimmte Klimaanlagen für wenige Minuten am Tag bei Lastspitzen abzuschalten. Das macht sich kaum bemerkbar im Komfort, aber die Kraftwerksbetreiber sparen viel Geld, weil sie keine neuen Kraftwerke bauen müssen, und die abonnierten Haushalte bekommen die monatliche Anschlussgebühr erstattet. Könnte man so was nicht in Deutschland mit Kühlschränken, Laptops, usw. machen?

Michaele Hustedt: Wir haben im Energiewirtschaftgesetz diese Möglichkeit auch eröffnet. Verbrauchersteuerung kann als Teil des Netzmanagement angewandt und entsprechend vergütet werden.

Ein Knackpunkt in der rot-grünen Energiepolitik ist die Kraftwärmekopplung. Der große Erfolg ist ausgeblieben.

Michaele Hustedt: Wir haben nur einen halben Erfolg erzielt. Die Stadtwerke standen unter großen Druck, ihre Blockheizkraftwerke (BHKW) vom Netz zu nehmen, aber sie produzieren noch. Teilweise haben wir dafür sorgen können, dass die Stadtwerke in die Modernisierung investiert haben. Auch bei den kleinen BHKW (50 kW - 200 kW) in den Häusern haben wir eine stetige Entwicklung. Aber ich glaube persönlich, dass sich die Kraftwärmekopplung in modernen GuD-Anlagen gerade im industriellen Bereich gegen die Konkurrenz behaupten kann.

Dafür brauchen wir aber fairen Wettbewerb. Wenn nicht nur die großen vier Versorgungsunternehmen mitmischen, sondern kleine und ausländische Produzenten, müssen sie auch den überschüssigen Strom auf dem deutschen Markt verkaufen können. Wir haben die Grundlage dafür im Energiewirtschaftgesetz geschaffen. Nun muss die Bundesnetzagentur für faire Durchleitungsbedingungen sorgen. Sonst investiert keiner in Deutschland.

Wie geht es weiter mit der Ökosteuer? Können wir sie angesichts steigender Ölpreise beibehalten?

Michaele Hustedt: Auch wenn Angela Merkel an der Zapfsäule protestiert hat: Keine Partei spricht davon, die Ökosteuer abzuschaffen. Im Gegenteil: Die 2%-Erhöhung der Mehrwertsteuer wird nicht nur die Energiepreise noch teurer machen, sondern den staatlichen Anteil weiter erhöhen. Diese Diskussion von der CDU/CSU/FDP über die Ökosteuer ist höchst ideologisch und verlogen.

Ich weiß nicht, ob Sie die deutsche Ausgabe der Technology Review lesen. In der letzten Ausgabe behauptet der Chefredakteur, die beste Innovationspolitik hätten die Grünen, und zwar weil sie die Technologien so lange kritisch begleitet haben. Sind die Grünen technikfreundlich geworden?

Michaele Hustedt: Wir haben immer einen differenzierten Blick auf die Technik gehabt. Wir haben immer alles, was wir als Zukunftstechnologie verstanden haben, konsequent und massiv gefördert. Aber für uns ist nicht alles gut, was neu ist - zum Beispiel bei der Gentechnik und Atomtechnik sind wir kritisch. Wir fragen uns: Was hat die Gesellschaft davon? Und wenn eine Technik in dieser Hinsicht Fortschritt bringt, sind wir mit aller Kraft dafür.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Craig Morris übersetzt bei Petite Planète Translations und ist Autor des Buches Zukunftsenergien, das in der Telepolis-Buchreihe erschienen ist.

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