"Wir müssen uns davor hüten, Heilslehren zu verbreiten"

Der Hannoveraner Transplantationsmediziner Professor Axel Haverich zu den Problemen der aktuellen Debatte um Gentechnik

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Und sie bewegt sich doch, die Diskussion um Chancen der Gentechnik. Martin Dolde, Präsident des 29. Evangelischen Kirchentags, hat "die Kirchen" am Sonntag in Stuttgart überraschend dazu aufgerufen, sich der Gentechnik nicht grundsätzlich zu verschließen. Gentechnische Therapien seien mit dem christlichen Menschenbild durchaus zu vereinbaren, sagte der gelernte Ingenieur. Er sprach sich für die Förderung einer "guten Gentechnik" ebenso aus, wie für eine breite Diskussion um die Technik. Auch Christen, sagte Dolde, müssten sich mit dem Fortschritt auseinandersetzen.

Ängste, so meint auch Prof. Dr. Axel Haverich, der 47jährige Leiter der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover, werden im Zusammenhang mit der medizinischen Nutzung von Gentechnik durch fehlendes Wissen um die Materie erzeugt. Er fordert ein Verstärktes Engagement der Mediziner um Aufklärung. Haverich gilt als einer der führenden Transplantationsmediziner in der Bundesrepublik. Er gehörte auch zum Ärztestab des russischen Präsidenten Boris Jelzin. Haverich war an dem heftig diskutierten Positionspapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft beteiligt, mit dem der Import von embryonalen Stammzellen zu therapeutischen Zwecken gefordert wird.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat schon vor der Debatte im Bundestag um Recht und Ethik in der modernen Medizin Ende Mai den Import von embryonalen Stammzellen gefordert. An der Ausarbeitung des zentralen Positionspapiers waren Sie beteiligt. Hatten die Verantwortlichen dabei keine Bedenken, geltendes Recht zu unterlaufen?

Haverich: Nein, überhaupt nicht. Das Embryonenschutzgesetz, so wie es in Deutschland gültig ist, verbietet den Import von embryonalen Stammzellen aus dem Ausland keineswegs. Die Zellen, die wir importieren wollen, können ja auch nicht dazu dienen, etwa Embryonen herzustellen. Wir können diese Zellen allerdings benutzen, um verschiedene Gewebe zu entwickeln. Das wäre u.U. der Ausgangspunkt für große Fortschritte bei der Entwicklung von Nervenzellen, Knorpelzellen oder Herzzellen.

Es wird aber doch auch unter Befürwortern der Praxis eine Diskussion um offensichtliche ethische Bedenken geführt. Zentral dabei ist, dass der Embryo zur Gewinnung der benötigten Zellen abgetötet werden muss. Wie kann Ihrer Meinung nach also eine biologische Grenze definiert werden, die einen Zellhaufen von menschlichem Leben unterscheidet?

Haverich: Die Briten sind ja immer sehr pragmatische Menschen. In der Frage dieser biologischen Grenze haben sie die 14 Tage-Marke definiert, weil von diesem Zeitpunkt an das Nervenkostüm entwickelt wird. Es gibt auch in Deutschland Überlegungen, diese 14 Tage als Richtlinie für die Diskussion bei uns zu benutzen. Ich selber vertrete zudem den Standpunkt, dass aus einem Zellhaufen aus einer In-Vitro-Fertilitsation, einer künstlichen Befruchtung, der nicht in einen Uterus implantiert wird, kein lebensfähiger Embryo entstehen kann. Als praktischer Mediziner könnte ich mich mit einer solchen Regelung sehr gut zurecht finden, bei dem der Standpunkt beibehalten wird, dass das Heranwachsenlassen eines menschlichen Organismus im Uterus nicht verhindert werden darf. Aber die Nutzung der "Labor"-Zellen für die Forschung und zu einem späteren Zeitpunkt sicherlich auch für die Herstellung von Gewebe für Patienten, die es dringend benötigen, halte ich für ethisch gerechtfertigt.

Wie verläuft die Diskussion dazu unter Kollegen bzw. in medizinischen Institutionen?

Haverich: Sehr kontrovers. Vor allem deswegen, weil wir als Mediziner bis heute noch keine tatsächlichen Anwendungsbeispiele vorlegen können. Es gibt also keine konkreten Beispiele, die es uns möglich machen, zu belegen, dass wir mit diesen embryonalen Stammzellen derart zum Wohle unserer Patienten handeln können, wie es auf konventionellem Wege bislang nicht möglich war. Ich bin der festen Überzeugung, daß sich die Diskussion deutlich zugunsten der, die umstrittene Praxis befürwortenden Mediziner entwickeln würde, wenn das erste Beispiel einer erfolgreichen klinischen Behandlung der breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden kann. Aber eben das wird durch die, der Forschung in Deutschland auferlegten Hindernisse ver-, zumindest aber behindert.

Es existiert offenbar eine Art Mythos Gentechnik, der - auch im Bundestag - dem Unwissen um die Materie geschuldet ist. Besteht nicht gerade in der fehlenden gesamtgesellschaftlichen Diskussion um die Materie ein Manko.

Haverich: Ich hatte im Zusammenhang mit der Diskussion um die Transplantationsgesetzgebung vor einigen Jahren - damals im Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" - schon meinen Eindruck geschildert, dass unser Bundestag hervorragend mit Steuergesetzgebung oder Außenpolitik umgehen kann. In der Auseinandersetzung mit biologischen Fragestellungen ist er in der Regel aber überfordert. Auch das, was Sie mit Gesamtgesellschaft bezeichnen, steht durchaus vor einem erheblichen Informationsbedarf, insofern ist der Bundestag wahrscheinlich nur Spiegel der Gesellschaft. An diesem Punkt ist es ohne Zweifel unsere Aufgabe als Wissenschaftler, Aufklärung zu betreiben und die Notwendigkeit dieser Forschung tatsächlich zu vermitteln.

Wie wollen Sie ihren Mitbürgern und Bundestagsabgeordneten als Experte konkret helfen? Existieren institutionelle Strukturen, die eine solche Aufgabe übernehmen könnten?

Haverich: Wir haben mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft diese Stellungnahmen zum Umgang mit der neuen Technik abgegeben, die wir auch der Regierung und den Parlamentariern zur Verfügung gestellt haben.

Aber genau über diese konkreten Vorschläge wurde im Bundestag nicht debattiert. Dem entgegen beherrschten ganz grundsätzliche Positionen, wie etwa das christliche Menschenbild, die Diskussion.

Haverich: Ich selbst bin fast im Wochentakt unterwegs und halte Vorträge vor Landfrauenverbänden, dem Deutschen Roten Kreuz oder vor Bundeswehrsoldaten, um von der Notwendigkeit dieser Art von Forschung im Zusammenhang mit der Transplantationsmedizin zu berichten und das auch einzufordern. Ich habe auch eine Reihe von Kontakten zu Wissenschaftspolitikern hier in Niedersachsen, aber auch bundesweit. Die Aufklärung ist natürlich ein mühsamer Prozess, aber wir müssen uns hier als Wissenschaftler quasi an die Front begeben und diese Aufklärungsarbeit leisten.

Könnte dem Mythos Gentechnik, im negativen und im positiven Sinne, nicht durch eine Versachlichung der Debatte entgegengetreten werden, indem Sie als praktizierender Mediziner konkret anführen, an welchen Punkten, bei welchen Krankheiten Sie Fortschritte durch die Stammzellenforschung erhoffen. Von Kollegen wurde beispielsweise die Multiple Sklerose oder die Epilepsie genannt.

Haverich: Das ist genau richtig. Mein eigener Schwerpunkt ist das Nachzüchten von Herzmuskelzellen, um so Alternativen für die Herztransplantation aufzubauen. Die Gefahr ist dabei aber immer, dass man in Kontakt mit Menschen wie Ihnen solche Beispiele bringt und die Schlagzeilen am nächsten Tag in der Zeitung oder im Fernsehbericht mit "In zehn Jahren können wir..." beginnen. Denn melden sich die Kritiker dieser Technologie zu Wort und erklären ihrerseits, dass wir doch noch nichts in der Hand hätten und alles nur Hypothesen seien. Deswegen sind wir sehr vorsichtig mit dem Beibringen von solchen Beispielen, weil wir nicht wissen, ob bestimmte Erkrankungen mit Hilfe der Stammzellentherapie und -technologie zu behandeln sind. Und wir müssen uns sehr davor hüten, auch unseren Patienten gegenüber, solche Heilslehren zu verbreiten. Da ist außerordentliche Vorsicht angesagt. Im Grunde genommen können wir nur darauf pochen, dass es notwendig ist, Forschung an diesen Zellen zu betreiben, um dann mögliche Behandlungsstrategien daraus zu entwickeln.

Abgesehen von den ethischen Bedenken: Wird die laufende Entwicklung in der Gentechnik, vor allem in der Stammzellenforschung nicht durch ganz einfache Marktmechanismen bestimmt?

Haverich: Es ist wahrscheinlich noch relativ früh, hier Marktmechanismen auszumachen. Es ist aber absehbar in dem Moment, wo für bestimmte Erkankungsbereiche oder Einsatzbereiche tatsächlich in der Therapie Aussichten auf Heilung besteht. Dann werden in der Tat Marktmechanismen greifen und Risikokapital wird in Firmengründung investiert werden und die von der öffentlichen Hand geförderte Forschung wird Konkurrenz bekommen.

Der nordrhein-westfälische SPD-Landeschef Wolfgang Clement handelt mit seiner Forderung nach Import solcher Zellen aus Israel also nicht aus besonders humanistischen Beweggründen?

Haverich: Ich kann Herrn Clement sehr gut verstehen, wenn er erklärt, dass wir in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel an der Bonner Universität hervorragend qualifizierte Forscher im Bereich der Stammzellentherapie haben, deren Arbeit die Aussicht die Heilung neurologischer Erkrankungen erhöht. Ich bin nicht davon überzeugt, dass da marktwirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen, wohl aber der Gedanke, den Forschungsschwerpunkt für Nordrhein-Westfalen sicherzustellen. Das finde ich vernünftig. Ich kann auch verstehen, dass er gleichzeitig die ethischen Gesichtspunkte berücksichtigt wissen will. Ein Import aber bräche momentan nicht gegen das geltende Recht, nämlich das Embryonenschutzgesetz.

Haben Sie angesichts der Vorbehalte in Deutschland schon mit dem Gedanken gespielt, im Ausland weiter zu arbeiten?

Haverich: Wir haben Kontakte ins Ausland, und wir sind bereits relativ aktiv im Durchführen von Experimenten auch außerhalb der Bundesrepublik.