Wir sind alle wie Robinson Crusoe

Egozentriker und Ausbeuter

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Wir leben in einer Welt, in der einzig der Markt frei zu sein scheint und der Menschen vom Produktionsprozess, dem Umlauf und dem Konsum zur fremdgesteuerten Marionette herabgesetzt wird.

Robinson Crusoe ist das Abbild des zeitgenössischen Individuums. Im Wesentlichen sind wir alle wie er. Losgelöst von jedem metaphysischen und theologischen Fundament kann der heutige Homo Clausissimus im Rahmen einer Soziallandschaft, in der das einzige freie Subjekt nach göttlichem Recht der Markt zu sein scheint und der Mensch vom Produktionsprozess, dem Umlauf und dem Konsum zur bloßen fremdgesteuerten Marionette herabgesetzt wird, weder etwas entscheiden, noch irgendetwas bestimmen.

Das Zeitalter des allgemeinen Autismus

Das ist das archetypische Modell von Robinson Crusoe - der große Mythos, der die Moderne begleitet, die der liberalen Logik des Marktes absolut vertraut -, das souveräne Individuum, das nur zur Stärkung und Formung des eigenen akquisitiven (durch die modernen pessimistischen Anthropologien neutralisierten) Egoismus Beziehungen mit anderen eingeht.

In der heutigen Zivilisation der Robinson Crusoes und des verallgemeinerten Autismus verdrängt die darwinistische Selektion die gemeinschaftliche Solidarität und mit ihr drängen sich maßlos jene Privatisierung und jene Liberalisierung auf, die unaufhörlich immer abscheulichere Reichtumsunterschiede erzeugen. Robinson ist letztlich die heutige Art, die eigene Subjektivität im Stahlkäfig zu leben.

Durch Ausbeutung bewirkte Rettung

Er ist von der protestantischen, im kapitalistischen Geist säkularisierten Ethik besessen: Man rettet sich selbst in einem Auszug aus der sozialen Dimension als Ort der Falschheit.

Ohne jemals die Produktions- und Verteilungsmethode in Frage zu stellen, ohne die bestehende Geometrie umzustürzen, verändert Robinson sein Leben zum Besseren: Er nutzt die Widersprüche eines Systems aus, das zu ändern oder gar stürzen zu wollen, absurd wäre, da es natürlich ist, zu seinem Vorteil und zum Nachteil des jeweiligen armen Freitags. Zur Erlangung der individuellen Rettung und um glücklich zu sein, reicht es, zynisch die Chancen zu nutzen, die im Ausbeutungszyklus des Nächsten und der entsprechenden Selbstaufwertung enthalten sind.

Robinson ist letztlich die heutige Art, die eigene Subjektivität im Stahlkäfig zu leben.

Sollte das nicht im eigenen Land möglich sein, muss man, gemäß Robinson, auf dem Seeweg woanders nach seinem Glück suchen, ganz nach dem ungebetenen Ratschlag, der heute immer öfter den neuen Generationen gegeben wird, diesem prekären und migrierenden "dritten Stand" der Jugendlichen. Deshalb sind wir heute alle Robinson.

Am historischen Horizont des entsouveränisierten Globalismus dominiert die Figur der Zwangsentfernung jeglichen Bezugs auf historische kollektive Akteure wie die Völker, die Klassen, die Nationen oder die Staaten. Die einzige anerkannte und zugelassene Subjektivität ist die des einsamen Robinson-Individuums, ungesellig gesellig und höchst kompetitiv, vom erfolgreichen Businessman zum enternden Startupper.

Übersetzung Jenny Perelli

Diego Fusaro, 1983 in Turin geboren, lehrt Philosophie an der Mailänder Universität. Als unabhängiger Freidenker, intellektueller Dissident, der politisch weder rechts noch links anzusetzen ist, verblüfft er seit geraumer Zeit ganz Italien mit seiner eigenwilligen, neoidealistischen Auslegung des Marxschen Gedanken. In seinen Büchern beschreibt er die Widersprüche des Systems und des Lebens des postmodernen Menschen. Fusaro betreibt die Website filosofico.net.