"Wir sind nicht für und nicht gegen jemand"

Ein Besuch in der Sendezentrale des irakischen Fernsehsender Al Sumaria in Beirut

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Es gibt 24 Millionen Gründe, einen guten Fernsehsender zu machen, lautet einer der Slogans des irakischen Satelliten-TVs Al Sumaria. 24 Millionen umfasst die Bevölkerung des Iraks, der in der weltweiten Berichterstattung nur unzureichend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Mit der Devise "Von Irakern für Iraker" will Al Sumaria das nun ändern und Hoffnung für eine neue Zukunft geben. Ein Besuch in der Sendezentrale des irakischen TV-Kanals in Beirut.

Bilder: Alfred Hackensberger

"Susu" ist so unterhaltsam wie die Mainzelmännchen vom ZDF, nur etwas tollpatschiger. Wenn sie am Fluss spazieren geht, fällt sie ins Wasser, beim Skilaufen wird sie unfreiwillig zum rollenden Schneemann. Mit sympathischer Naivität produziert "Susu" einen Fauxpas nach dem anderen. Die computergenerierte Trickfigur ist das Markenzeichen von "Al Sumaria", einem der beliebtesten Fernsehsender des Iraks, der seit Oktober 2004 über "Nilesat" zu empfangen ist. Wie viele andere irakische Satellitenkanäle hat auch "Al Sumaria" seinen Sitz nicht in Bagdad. Produziert und ausgestrahlt wird in der libanesischen Hauptstadt. Die Redaktion liegt im Beiruter Stadtteil "Gnah", einem Wohnviertel mit idyllischem Blick aufs Mittelmeer.

"Die neuen Studios in Bagdad werden zwar gebaut", erklärt Jean Claude Boulos, der Sendechef, "aber die Situation ist einfach zu gefährlich." Erst vor kurzem sei eine Mitarbeiterin auf dem Weg zur Arbeit ums Leben gekommen, als auf ihrer Fahrroute eine Bombe am Straßenrand explodierte.

Aber trotzdem braucht "Al Sumaria" ein Produktionsbüro in Bagdad, das provisorisch etwas außerhalb von Bagdad untergebracht ist. "Auf einem gut überschaubarem Gelände, leicht zu bewachen, habe ich mir sagen lassen", erklärt Jean Claude Boulos, der die Einrichtungen noch nie besucht hat. "Ich kann gerne darauf verzichten", meint er mit einem nachdenklichen Schmunzeln. Die 150 Beschäftigten in Bagdad, von denen gut ein Drittel Sicherheitspersonal ist, liefern etwa 80% des Gesamtprogramms.

"Wir haben Erfolg, weil wir uns nirgends einmischen"

In Boulos großräumigem Büro in Beirut läuft nonstop das Programm von "Al Sumaria". "Sehen Sie, jetzt kommt der Pressespiegel." Er zeigt mit dem Finger auf dem Fernseher am anderen Ende des Zimmers. "Das muss im Irak produziert werden. Wir bekommen in Beirut keine irakischen Zeitungen." Aber das ist nicht das einzige. Im Irak werden das tägliche Nachrichtenbulletin und Talksshows zu aktuellen Ereignissen produziert. Zurzeit dreht man auch insgesamt 7 verschiedene Serien mit jeweils bis zu 20 Folgen. Viele davon spielen zur Zeit Saddam Husseins und sollen sein Unterdrückungssystem und seine Verbrechen zeigen. "Alles mit irakischen Schauspielern, irakischen Kameraleuten und irakischen Regisseuren", betont Boulos stolz.

Gegründet wurde "Al Sumaria" vor einem Jahr mit den Geldern eines libanesischen Investors. Ein Businessmann, der keinerlei politische Interessen hat. Er will für seinen Einsatz mehrerer Millionen möglichst schnell Rendite sehen. "Das ist die beste Voraussetzung, eine Garantie für Erfolg", meint Jean Claude Boulos, der selbst aus dem Libanon stammt. "Am Anfang hatten wir 5 Stunden Programm, heute sind es bereits 12 und ab Oktober werden es 16 Stunden Programm sein. Wir bekommen Tausende von Briefen und Emails. Wir haben Erfolg, weil wir uns nirgendwo einmischen."

Der überwiegende Teil der Medien im Irak sind ideologisch geprägt und parteiisch. Die TV-Station Al Irakyie wird von den USA gesponsert und macht Programm gegen die "Aufständischen". Andere sind religiös ausgerichtet, für oder gegen Schiiten und Sunniten. "Da kommen wir gerade Recht", sagt Boulos. "Tag für Tag werden die Menschen im Irak mit verschiedensten Meinungen bombardiert. Wir dagegen sind ausgewogen. Wir stehen auf keiner Seite". Die USA werden in den Nachrichten nicht als "Okkupationsarmee" bezeichnet, sondern als "amerikanisches Militär". Die "Aufständischen" sind keine "Märtyrer", sondern normale "Tote". Das gesamte Programm wird vor Ausstrahlung noch einmal geprüft. In zwei Sichträumen sitzen Mitarbeitern vor den Bildschirmen, die Äußerungen und Szenen herauszuschneiden, die in irgendeiner Form anstößig oder provozierend sein könnten. Dazu gehören nicht nur radikale Statements, sondern auch zu lange Kussszenen oder "nackte Tatsachen". "Das ist unsere freiwillige Selbstzensur", gibt der Sendechef unumwunden zu. "Aber die geht in alle Richtungen. Wir machen es allen recht.

"Für einen vereinigten Irak", lautet die politische Botschaft von "Al Sumaria"

Man will "mit den Augen der Iraker" berichten, ohne ethnische, religiöse und politische Vorurteile. Neben den üblichen TV-Formaten, Nachrichten, Talk-Shows, Kinofilmen, sind "praktische Tipps" ein wesentlicher Bestandteil des Programms. Täglich werden konkrete Beispiele gezeigt, wie man das Leben der irakischen Menschen verbessern kann. "Immer ist in den Medien nur von Bomben und Attentaten die Rede, wir kümmern uns um den Alltag der Leute", meint Jean Claude Boulos. "Es gibt 25 Millionen Gründe auch die andere Seite des Iraks zu zeigen, die nichts mit Bombenexplosionen zu tun hat."

Als bei den Kämpfen in Falludscha jeden Tag 25 Menschen starben, zeigte Al Sumaria das Ramadan-Fest für Kinder, mit Karussellen und lachenden Clowns. "Wir sind ein generalistischer Sender", sagt der Geschäftsführer, "ohne politische Zielsetzungen oder irgendwelche Sympathien. Wir sind nicht für und nicht gegen jemand."

Nach unserem Gespräch in seinem Büro führt er mich durch die Senderäume. Wir treffen auf mehrere Kamerateams, darunter auch einige Frauen, die gerade aus dem Irak zurückgekehrt sind. "Bei uns wird im Schichtdienst gearbeitet", erklärt Boulos. "Alle zwei Wochen wird ein Teil des Personals in Bagdad ausgewechselt." Man will alle Mitarbeiter in die Produktionsprozesse einarbeiten. Es geht um die Aneignung von technischem Kno-how. In der Beiruter Redaktion ist alles auf dem neusten Stand der Technik. Im Irak wäre das kaum möglich. "Nur die Räumlichkeiten sind für die insgesamt 82 Mitarbeiter etwas beengend hier", sagt Boulos, "aber wir werden bald in ein großes Haus in den Bergen umziehen." Tatsächlich sind Balkone und Abstellkammern zu Büros umgebaut worden. Kein Quadratmeter ist ungenutzt.

Der Sendechef führt mich durch die Schneideräume, zeigt mir Sprecherkabinen und Kamera- Equipment. Besonders stolz ist er über die Graphikabteilung, die "Susu" erfunden hat. An den Wänden hängen Skizzen neuer Abenteuer der amüsanten Trickfigur. An den teueren Computern sitzen ausschließlich junge Leute, die auch einige Witze über ihren "Opa-Boss" machen dürfen. Jean Claude Boutros ist bereits 71 Jahre alt. Seit über 40 Jahren macht er Fernsehen und hat bei "Tele Liban" angefangen, als das TV noch in den Kinderschuhen steckte. "Al Sumaria" ist für ihn eine neue, interessante Herausforderung. "Sonst wäre ich doch bei meinem Rentnerdasein geblieben. Lange schlafen und den Rest des Tages am Strand."

Werbung gibt es noch kaum

Mit verblüffender Schnelligkeit steigt der 71-Jährige die Treppen hoch in den fünften Stock. Dort befindet sich das kleine Nachrichtenstudio des Senders. Daneben die "Blue-Box", mit der man jedem Moderator in einen beliebigen Hintergrund montieren kann. "Das machen wir sehr gerne", meint Jean Claude Boulos. "Das gibt Abwechslung und einen modernen Touch." Von den boomenden Reality-TV-Shows hält der alte Fernsehhase nichts. "Das hat sich bald tot gelaufen", prognostiziert er selbstgewiss. "Außerdem finde ich das alles völlig widerlich", angeekelt verzieht er dabei das Gesicht.

"Wir haben unseren Sängerwettbewerb, so etwas wie "Superstar". Das genügt uns." Über 3000 junge Iraker haben am "Irak Star" teilgenommen. Im Dezember soll das große Finale in Beirut stattfinden. "Wir wollen einen großen Event daraus machen, mit vielen Gästen. In dieser Größenordung geht das leider nicht in Bagdad." "Irak Star" bringt dem neuen Sender Al Sumaria Quote. Bis zu 60% aller Iraker sollen bei den täglichen Vorauswahlen vor dem Fernseher sitzen. Besonders medienwirksam sind dabei solche Auftritte wie der eines 12-jährigen Jungen, der ein selbst komponiertes Lied über den Irak vortrug und dabei zu weinen begann. "Die Jury begann auch zu weinen", erzählt Boulos, "und mit ihr der ganze Irak vor den Bildschirmen. Wirklich, eine ergreifende Szene."

Die Einnahmen fließen bei Al Sumaria bisher nur spärlich. Werbung für große Firmen wie Gillette oder Omo gibt es noch nicht. "Soll aber kommen", versichert der Geschäftsführer. "Wir hoffen, dass es damit im Ramadan losgeht." Der Fastenmonat ist der werbeträchtigste des ganzen Jahres. Werbeeinahmen gab es bisher nur durch die Spots der Regierung, die sich bereits im ersten Monat nach Sendestart bei Al Sumaria gemeldet hatte. Damals wurden die Wahlen vorbereitet und man wollte über gefährliche Situationen aufmerksam machen. Danach wurden Spots geschaltet, die zeigten wie man Elektrizität bekommt oder Werbung für den Polizeidienst machten. "Viele zivile Angelegenheiten eben", sagt Boulos. In die Gunst dieser gut bezahlten Spots der Regierung sollen auch alle anderen TV-Sender des Iraks kommen.

Das neueste, sehr viel versprechende Geschäft sind SMS. Die ganze Nacht über und bei allen Sendungen, die keine Untertitel haben, kann man seine SMS bei Al Sumaria über den Bildschirm laufen sehen. In den ersten 10 Tagen nach Beginn dieses Services waren bereits rund 20.000 dieser Kleinnachrichten eingegangen. "Das ist doch schon einiges", meint Jean Claud Boulos zuversichtlich. Der Sender muss die Gebühren für eine SMS zwar mit der Telefongesellschaft und dem Betreiber der SMS-TV-Technik teilen, trotzdem bleibt es ein einträgliches Geschäft. Andere arabische Sender im Libanon machen an einem Spitzentag bis zu 50.000 Dollar alleine mit SMS-Nachrichten.

Jean Claude Boulos bringt mich persönlich zum Ausgang. Er sprüht noch immer vor Elan, während ich nach einem halben Tag in dunkeln Redaktionsräumen und vielen Gesprächen langsam müde werde. "Es sieht zwar nicht so aus, dass wir bald nach Bagdad gehen", sagt der 71-Jährige, "aber wollen wir es wenigstens hoffen. Das würde viele unserer irakischen Kollegen glücklich machen." Er verabschiedet sich, blickt auf die Uhr und geht eilig zurück in sein Büro.