Wird es bald künstliche Organismen geben?

Wissenschaftler haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich lange DNA-Ketten bilden lassen.

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Während das Minimal Genome Project damit beschäftigt ist, anhand von M. genitalium, einem Bakterium mit dem vermutlichst kleinsten Genom, herauszubekommen, was die Minimalausstattung für Leben ist, um in Zukunft möglicherweise Lebewesen mit gewünschten Eigenschaften aus dem Labor herstellen zu können, scheint Wissenschaftlern am McDermott Center for Human Growth and Development der University of Texas ein anderer Fortschritt gelungen zu sein, mit dem es einmal gelingen könnte, tatsächlich künstliche Mikroorganismen zu schaffen.

Mycoplasma genitalium

Nach der Analyse kommt bekanntlich gut cartesianisch die Synthese. Glen Evans, Direktor des McDermott Center for Human Growth and Development, arbeitet an der Herstellung einer künstlichen DNA. Der genetische Code besteht aus den vier Nucleinsäuren Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Die linearen Polynucleotidketten bilden bekanntlich die Doppelhelix aus miteinander durch Wasserstoffbrücken verbundenen Basenpaaren. Nach Vermutungen des Minimal Genome Project besteht das kleinstmögliche Genom für eine lebende Zelle aus 265 bis 350 Genen. Gene können aus Tausenden bis Hunderttausenden Basenpaaren bestehen.

Zwar kann man schon seit Ende der 50er Jahre mithilfe des Enzyms der DNA-Polymerase in Gegenwart aller vier Bausteine exakte Kopien von DNA-Molekülen synthetisieren, aber bislang ließen sich noch keine langen Ketten von Basenpaaren künstlich nach einer Art Bauplan aneinander reihen. Glen Evans soll nun mit seinem Team, wie BBC News berichtet, ein automatisches Verfahren entwickelt haben, mit dem sich bislang Ketten von bis zu 10000 Basenpaaren künstlich herstellen lassen, indem zunächst kurze Ketten gebildet werden, die dann auf kontrollierbare Weise verbunden werden. Bislang habe man nur Ketten aus bis zu 100 Basenpaaren erzeugen können.

Wie Evans sagt, wären allerdings Ketten von über 100000 Basenpaaren unbedingt notwendig, um auch nur das kleinste Genom eines Mikroorganismus zu codieren. Zudem kennt man noch nicht einmal die Funktion der wenigen Gene des Bakteriums mit dem kleinsten Genom. Evans ist jedoch überzeugt, dass die Wissenschaft derart schnell voranschreitet, dass diese Lücken bald geschlossen werden. Näheres über das Verfahren ist weder bei BBC noch in dem Artikel in der Sunday Times zu finden, eine Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitung steht noch aus, gleichwohl hat Evans schon seine Visionen, was durch das Verfahren zur Produktion von DNA in den nächsten Jahren möglich sein könnte.

Erzeugung von Aufmerksamkeit gehört mittlerweile auch ins Geschäft der Wissenschaftler, die nicht nur Forschungsgelder benötigen, sondern auch um Prominenz kämpfen. Längst wird sich der populären Medien als Sprachrohr bedient, um die Aufmerksamkeit zu erzeugen, werden Ankündigungen gemacht, bevor sie noch durch langen und langsamen Weg des Peer Reviewing gegangen sind. Und zur Attraktion der Aufmerksamkeit werden Medien, selbst nur die Selektionsinstanzen der kollektiven Aufmerksamkeit, mit möglichst neuen und weitreichenden Folgen der Forschungsergebnisse gefüttert, deren Realisierung noch in den Sternen steht.

"Wir synthetisieren DNA, um den ersten synthetischen Organismus zu schaffen", verkündet Evans und hofft wohl der erste zu sein, der die Welt mit diesem beglückt: SO1 nennt er ihn, vielleicht wäre es ja besser, ihn wie auch bei Software üblich, 1.0 zu nennen, um anzudeuten, dass er nur ein Zwischenergebnis auf dem unendlichen Weg zur Perfektion ist. "SO1 wird keine bestimmte Funktion haben, aber wenn er einmal lebt, dann können wir ihn je nach Bedarf zuschneiden. Wir können zurück zum Computer gehen und andere neue Lebensformen schaffen, indem wir einfach einen Knopf drücken." Ganz so einfach wird es wohl nicht sein, aber die Wissenschaftler, die, wenn sie erst einmal wirklich einen SO1 hergestellt haben sollten, wahrscheinlich von Kritikern auch in die Frankenstein-Tradition gerückt werden, wollen letztendlich eine Reihe von Mikroorganismen mit erwünschten Eigenschaften schaffen, die in der Medizin, in der industriellen Produktion oder zur biologischen Bekämpfung von Umweltschäden eingesetzt werden sollen: ein Riesengeschäft, auch wenn es noch in der Zukunft liegt und die Gentechniker, die einfach mit der Einführung rekombinanter DNA in die Genome bereits existierender Organismen arbeiten, oder die neuen Goldgräber, die zum Bioprospecting extromophiler oder einfach nur interessanter Organismen ausfahren, zunächst weitaus mehr Erfolge und Profite erzielen werden.

Um die neuen Biomaschinen zu entwickeln, will Evans lebenswichtige und in ihrer Funktion erwünschte Gene aus den Bakterien aussuchen und sie verbinden, wobei er die in natürlichen Genomen zahlreichen Ketten an Basenpaaren, die keine Funktion zu haben scheinen, weglassen will, um ein möglichst effektives Lebewesen zu schaffen. Das freilich müsste sich dann nicht nur ernähren, sondern sich auch reproduzieren können, wodurch es möglicherweise zu einer invasiven Art werden könnte, die neue Umweltbedingungen schafft. Kann man gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere noch einigermaßen unter Verschluss halten, selbst wenn man Freilandversuche unternimmt, so wäre das Risiko bei Mikroorganismen doch wohl wesentlich größer. Aber da hat Evans schon eine gute Lösung. So denkt er etwa daran, SOs zu entwickeln, die in einem Menschen bestimmte Substanzen produzieren, die zur Therapie notwendig sind. Braucht man sie nicht mehr, nimmt man einfach ein Antibiotikum und tötet sie ab: "Im Unterschied zu komplizierten gentherapeutischen Verfahren, die mit Viren arbeiten, wäre die Einführung eines unserer Protoorganismen sehr sicher, und sie könnten leicht wieder entfernt werden."

Beispielsweise wäre es nicht mehr notwendig, Vitamin C Tabletten zu schlucken: "Menschen brauchen Vitamin C, können es aber nicht selbst erzeugen, weil uns ein bestimmtes Enzym fehlt. Wenn wir dieses Enzym in einen unserer künstlichen Organismen stecken und diese trinken, wird das Bakterium in unseren Eingeweiden leben und immerzu Vitamin C herstellen." Na, dann Prost! Allerdings werden wir dann auch "geistiges Eigentum" schlucken. Was das bedeutet, müssen die Juristen erst einmal ausarbeiten.

Aber natürlich reicht es nicht einfach aus, beliebig irgendwelche ausgesammelten Gene nur aneinander zu reihen. Sie müssen sich wahrscheinlich in der richtigen Reihenfolge befinden und dann auch aktiviert werden, um ihre Leistung zur richtigen Zeit zu vollbringen. Um das zu lösen, denkt Evans offenbar an etwas ähnliches, wie es beim Klonen bereits zum Einsatz kommt, wo man den Kern einer Zelle mit den genetischen Informationen in eine entkernte Stammzelle setzt. Wie man eine künstliche Zelle zum Leben erwecken kann, liegt nämlich noch fern jeder Technik. Ähnlich ließe sich ein schön verpacktes künstliches Chromosom möglicherweise in die Membran einer ansonsten entleerten Bakterienzelle einbringen. Immerhin räumt Evans ein, dass dies die unbekannte, aber alles entscheidende Größe im ganzen Zukunftsprojekt der Erschaffung künstlicher Lebewesen ist: "Der noch immer notwendige Durchbruch liegt im Wissen, wie man ein Genom starten kann. Selbst wenn wir die Information kodieren können, müssen wir sie immer noch irgendwie zum Arbeiten bringen, also den ersten Zyklus des Decodierens und Synthetisierens zu starten, um etwas zu schaffen, das sich selbst am Leben erhalten wird."