Wissenschaft als Herausforderung für die gesellschaftliche Diskussion

Können die PR-Kampagnen des Bundesforschungsministeriums überhaupt Erfolg haben?

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Quantenphysik - kaum jemand kann erklären, was das eigentlich ist. Doch sie bietet die Erklärung für beispielsweise dieses Phänomen: Ein kleiner Eisenbahnwaggon fährt unermüdlich entlang einer Metallschiene im Kreis herum. Dabei schwebt er in der Luft. In der Bahn gehalten wird er von der seitlich angebrachten Schiene. Eine Stromzufuhr ist nicht zu sehen. Es gibt sie nicht. Eisige Nebelschwaden entweichen dem kleinen Gefährt. Eine schwebende Dampflok ist es nicht.

Schon die Besucher des Wissenschaftszelts auf dem Bonner Münzplatz blieben fasziniert stehen, um der kleinen Eisenbahn zuzusehen: Irgendwie wird sie per Magnet auf der Bahn gehalten. Doch eine Stromzufuhr, wie sie bei Magnetschwebebahnen nötig ist, gibt es nicht. Spätenstens jetzt kommen die Fragen an die neben der Apparatur stehende Physikerin: Wie funktioniert das? Ohne Strom?

Tiefgekühlte supraleitende Materialien sind des Rätsels Lösung. Wie diese supraleitenden Magnetschwebebahnen funktionieren, lässt sich nur noch durch Quantenphysik erklären. Die wenigsten kommen mit der Quantenphysik überhaupt in Berührung. In der Schule ist sie den Leistungskursen vorbehalten. Im Alltag ist sie nicht relevant. Oder etwa doch, wie der kleine schwebende Waggon zeigte?

Immerhin kennen wir "den Quantensprung" - der aber tatsächlich nicht riesig groß, sondern winzigst klein ist. Wer verstehen will, wie solche Phänomene funktionieren, ist zunächst fasziniert. Genau diese Faszination ist nicht allein Wissenschaftlern vorbehalten. Jedes Kind stellt solche Fragen: Warum fällt der Waggon nicht herunter? Warum hat der Tag 24 Stunden? Warum gibt es Herbst und Frühling? Aber viele Menschen schrecken schon fast instinktiv davor zurück, wenn sie das Wort "Quantenphysik" hören. Sie steht für eine hochkomplexe, nicht einfach zu erklärende Theorie, von der man lange nicht wusste, zu was sie gut war.

Diese Skepsis spürte auch die spürten auch die Ausstellungsmacher der Bonner Ausstellung "ö heute" - was übersetzt heißt "Quantenphysik heute". Reihum kürzten Journalisten das "ö" einfach aus ihren Ausstellungsankündigungen heraus. Wohl in der Annahme, dass eh kaum jemand etwas mit durchstrichenen kleinen "h" anfangen hätte können.

Der Wissenschaftler Dieter Simon bezweifelte in einem Beitrag für "Die Zeit", dass PR-Kampagnen wie der Bonner Wissenschaftssommer im "Jahr der Physik 2000 oder der Berliner Wissenschaftssommer im "Jahr der Lebenswissenschaften 2001" das Verhältnis von Öffentlichkeit und Wissenschaft tatsächlich verbessern. Ein echtes Verstehen sei "im Zeitalter komplexer und extrem spezialisierter Wissenschaft nur in sehr eingeschränktem Sinne möglich".

Es sei Wunschdenken, kritisierte Simon, dass man den akademischen Teil der Bevölkerung durch eine Art Alphabetisierungskampagne in die Lage versetzen könne, die gesellschaftlichen Implikationen der Forschung zu überblicken. Ungleich umstrittener als die Magnetschwebebahn sind Atom- und Gentechnik. Hier hatte sich gezeigt, dass mehr Verständnis für die Forschung nicht nicht unbedingt zu einer höheren Akzeptanz führt. Eher im Gegenteil.

Für Simon ist es klar, dass eine Demokratisierung der Wissenschaft nötig ist: Nur ein Dialog mit der Gesellschaft könne auch die perspektivenlose Wissenschaftspolitik in Deutschland erneuern. Erfolgreich sei die Zusammenarbeit von Laien und Experten bei der Aids-Forschung, der Risikobewertung der Atomenergie oder der Genetik gewesen.

Auch für die Helga Nowothny, Professorin für Wissenschaftsforschung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, leiten "punktuelle Initiativen" wie der Wissenschaftssommer nicht wirklich einen Dialog ein. Tatsächlich geht es beim vom Bundesforschungsministerium geförderten Wissenschaftssommer primär um die "bessere Darstellung der Wissenschaft", so Peter Frieß, Leiter des Deutschen Museums Bonn, gegenüber den VDI-Nachrichten. In der "ö heute"-Ausstellungen stehen rund 15 Physikstudentinnen und - studenten bereit, um Schulklassen und anderen Besuchern komplizierte Versuche zu erklären und Fragen zu beantworten. Tatsächlich ist das eine gute Dialog-Übung sowohl für die Führenden, als auch für die Geführten.

Sich allgemein verständlich zu artikulieren gehört für deutsche Wissenschaftler noch nicht zu einer Kardinaltugend. Meist scheuen sich die Wissenschaftler davor - wohl aus Angst, sich vor Kollegen lächerlich zu machen. In den USA ist dies anders: Dort zählt die Übersetzung hochkomplexer Zusammenhänge in eine einfache Sprache zum Qualifikationsprofil eines Wissenschaftlers. Die Bonner Studenten wurden immerhin in dreitägigen Schulungen auf ihre Führungen vorbereitet. Mit Erfolg: Jeder Besucher könnte danach zum Beispiel erklären, warum das Licht sowohl Teilchen-, als auch Wellencharakter hat. Natürlich ist das nicht nur allein auf die Leistung der Führenden zurückzuführen, sondern auch auf die eindrucksvollen Exponate und Versuchsanordnungen - die leider auf engem Raum zusammengepfercht sind.

Schwellenängste vor hoher Wissenschaft können auf diese Weise sicherlich abgebaut werden. Für den demokratischen Dialog mit der Wissenschaft sind solche Veranstaltungen aber nur ein Beitrag unter vielen. Letztlich müssen Wissenschaftler Bürgerinnen und Bürger in die Diskussion um Sinn und Zweck der Forschung als ebenbürtige Partner begreifen können. Im Bereich der Medizin gibt es, so Helga Nowotny, in Selbsthilfegruppen für Ärzte und Wissenschaftler "wertvolle Ressourcen". Hier kann ein erfolgreicher Dialog ansetzen.

"Der Dialog hat dort eine Chance, wo die Menschen sich als Betroffene fühlen", meint Helga Nowotny. Die Forschung sei von einem institutionalisierten Dialog allerdings noch "weit entfernt". Ansätze gäbe es bei der Technikfolgenabschätzung. Doch "in der Regel wird dann nach Dialog gerufen, wenn es schon brennt und die Fronten festgefahren sind". Nowotny fordert deshalb, dass die Menschen bereits im Forschungsprozess berückschtigt werden. In der Schweiz will man deshalb Laienräte an Forschungsinstitute einrichten. Sie bestimmen zwar nicht über die Arbeit in den Labors, doch die Wissenschaftler erhalten so einen regelmäßigen Kontakt.