Wissenschaftliche Kurzmission TEXUS auf Höhenflug

Experimente binnen sechs Minuten Schwerelosigkeit

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Am 8. Mai 2001 um 11:55 Uhr Ortszeit hob die Höhenforschungsrakete Skylark-7 vom Startplatz Esrange (Nordschweden) ab. Sie trug verschiedene Experimente ins All, von denen man sich neue Erkenntnisse für die Grundlagenforschung erhofft. Während eines knapp sechsminütigen Flugs in der Schwerelosigkeit wurde das Forschungsprogramm TEXUS erfolgreich abgewickelt

Das seit über 20 Jahre bestehende TEXUS-Programm - kurz für Technologische Experimente unter Schwerelosigkeit - wird vorrangig vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der europäischen Weltraumorganisation ESA genutzt. Die Versuchseinrichtung ist wegen der hohen Flexibiliät und der Frequenz von ein bis zwei Starts im Jahr bei Wissenschaftlern außerordentlich beliebt. Bis Ende 1998 wurden zirka 400 Experimente in 190 unterschiedlichen Aufbauten erfolgreich durchgeführt. Zum Standardservice gehören die Experimentsteuerung vom Boden aus (Telescience, Teleoperation) durch die Wissenschaftler selbst - und die Probenrückgabe innerhalb einer Stunde nach der Landung.

5 Minuten 59 Sekunden im All

Am Startplatz Esrange bei Kiruna in Nordschweden (Lappland) stehen auch Laborräume für die Vor- und Nachbereitung der Experimente zur Verfügung, die je nach Bedarf ausgestattet werden. Am Dienstag dieser Woche brachte die 12 Meter lange Skylark-7-Rakete das TEXUS-39-Forschungsprogramm auf eine Parabelflugbahn, deren Gipfelpunkt in einer Höhe von 248,6 Kilometer lag. Die Flugbahn der Skylark-7-Rakete ist vergleichbar mit dem senkrechten Wurf eines Balls nach oben. Sobald der Ball die Hand verlässt, befindet er sich bereits im freien Fall, auch wenn er sich zunächst noch nach oben bewegt. Wenn indes der Skylark-Raketenantrieb "endet", befinden sich die Experimente im freien Fall, wobei die Dauer der Schwerelosigkeit von der Fallhöhe abhängt.

Dieses Mal dauerte die Schwerelosigkeit an Bord summa summarum 5 Minuten und 59 Sekunden, bevor dann ein Fallschirm die TEXUS-39 wieder sicher zur Erde zurückbrachte. Der Landepunkt konnte schnell mit dem GPS-gestützten Bergungssystem ermittelt werden: Er lag ungefähr 75 Kilometer vom Startplatz entfernt. Schon eine Stunde nach der Bergung mit einem Helikopter hatten die Wissenschaftler Zugang zu ihren Experimenten und konnten sogleich mit der Auswertung beginnen.

Höhenforschungsrakten seit 25 Jahren aktiv

Vor 25 Jahren haben Kayser-Threde und Astrium im Auftrag des DLR das Höhenforschungsraketen-Programm begonnen. Ihr bislang zuverlässiges Trägersystem wird je nach Nutzlast-Anforderung aus modularen, wiederverwendbaren Systemelementen mit 438 mm Durchmesser zusammengesetzt. Auch die von Kayser-Threde entwickelten Servicesysteme sind nach Wartung wieder voll einsatzbereit. Mit Höhenforschungsraketen kann zu vergleichsweise günstigen Konditionen Mikrogravitationsforschung http://www.ssc.se/ssd/diaryindex.html betrieben werden. Weitere Vorteile liegen in der jährlichen Flugfrequenz und im schnellen Zugriff auf die Experimentdaten.

Die TEXUS-Rakete besteht aus dem zweistufigen Skylark VII-Raketenantrieb, den Servicesystemen (Daten-/Bildübertragung, Lageregelung), einem Bergungsystem (Fallschirm) und nicht zuletzt der wissenschaftlichen Nutzlast, die sich modular aus mehreren zylindrischen Experimentaufbauten zusammensetzt. Die wissenschaftliche Nutzlast kann bis zu 2,80 Meter lang und 250 Kilogramm schwer sein; ihr Durchmesser beträgt 43 Zentimeter. Alle Module werden unabhängig voneinander betrieben. Experiment- und Servicemodule sind für weitere Flüge wiederverwendbar.

Die Schwerkraft spielt bei allen chemischen, biochemischen oder physikalischen Vorgängen eine Rolle, bei denen unterschiedlich schwere Substanzen beteiligt sind: Schwere Teilchen oder Tropfen sinken in einer Flüssigkeit oder in einem Gas auf den Boden (Sedimentation, Entmischung); leichte steigen nach oben (Aufschwimmen, Entmischung). Von unten erwärmte Flüssigkeiten oder Gase steigen nach oben, kältere strömen nach unten (Schwerekonvektion). In der Schwerelosigkeit, wo die Substanzen ihr Gewicht verlieren, treten diese Effekte nicht mehr auf. Die Forschung in Schwerelosigkeit ist dann notwendig, wenn diese Effekte als Störungen vermieden oder andere, in ihrer Auswirkung schwache, "dahinter versteckte" Effekte untersucht werden sollen. Derartige Experimente stammen aus zahlreichen Forschungsbereichen: Verbrennung, Fluidphysik, Bestimmung von hochgenauen Materialdaten, Erstarrung von metallischen Legierungen, Züchtung von Halbleiterkristallen, Gravitationsbiologie (Biologie der Wahrnehmung und Verarbeitung von Schwerkraft durch Zellen), Physik der Plasmakristalle und andere mehr.

Das TEXUS-Programm wurde 1976 durch das damalige Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) und das DLR eingerichtet, ursprünglich um die Nutzung des Weltraumlabors Spacelab vorzubereiten. Bald schon zeigte sich, daß TEXUS nicht nur für die Vorbereitung von Spacelab-Experimenten von großem Nutzen war, sondern sich damit auch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Fragestellungen eigenständig beantworten ließen. TEXUS ist weltweit das am längsten bestehende und erfolgreichste Raketen-Programm für wissenschaftliche Experimente und technologische Erprobungen unter Schwerelosigkeit. Die nächste TEXUS-Mission ist bereits beauftragt und soll im Herbst 2002 durchgeführt werden.