Würfelt Gott wirklich nicht?

Neue Theorien über eine Welt ohne Quantenrauschen

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Der Physiker und New Age-Apostel Fritjof Capra mag mit seinen provokanten Behauptungen nicht immer ganz falsch liegen. Denn wer sich durch die Flut der täglichen Neuerscheinungen wühlt, kann schon mal den Eindruck haben, dass die moderne Physik uns schließlich doch nur zu einer Anschauung der Welt führt, "die den Ansichten der Mystiker aller Zeitalter und Traditionen sehr ähnlich ist." Daran hätte dann sogar Albert Einstein seinen Anteil, der mit dem oft nicht ganz vollständig zitierten Bonmot "Gott würfelt nicht!" (eigentlich: "I shall never believe that God plays dice with the universe.") ja eigentlich keine wissenschaftlichen Beweise vorlegen, sondern nur seine Abneigung gegen die Unberechenbarkeit der Quantenmechanik ausdrücken wollte.

Diese Abneigung basierte wiederum auf dem festen Glauben an die Unverrückbarkeit seiner eigenen "speziellen Relativitätstheorie", welche durch eine Setzung der Quantenmechanik akut gefährdet war. Denn wenn Einsteins Widersacher recht hätten, könnten zwei physikalische Teilchen bekanntlich so miteinander verschränkt werden, dass sich ihre jeweiligen Zustände simultan verändern würden, ohne auf etwaige Beschränkungen durch die Lichtgeschwindigkeit zu achten. Doch der große Physiker rettete seine Theorie mit der Behauptung, dass durch die verschränkten Teilchen wenigstens keine Informationen mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden könnten, weil zu diesem Zweck eine Messung notwendig sei, welche die Verschränkung unmittelbar aufheben würde.

Genau dieses Postulat greift nun eine Theorie von Antony Valentini an. Der Physiker vom Imperial College, der in durchaus sympathischer Weise die "shut-up-and-calculate"-Mentalität seiner werten Kollegen bekrittelt, geht zwar mit Einstein davon aus, dass jenseits der Quantenmechanik eine präzise berechenbare Welt existiert, aber die "spezielle Relativitätstheorie" wirft er dann doch über Bord. Ausgehend von den Untersuchungen, die Louis-Victor de Broglie Ende der 20er Jahre begann und David Bohm Anfang der 50er weiterentwickelte, spricht auch Valentini von "versteckten Variablen", die den Aufenthaltsort physikalischer Teilchen genau definieren und alle Wahrscheinlichkeitsaussagen der Quantenphysik überflüssig machen würden, so sie uns denn bekannt wären.

Dass sie es eben nicht sind, liegt nach Meinung des Physikers am sogenannten Quantenrauschen, welches exakte Berechnungen derzeit unmöglich macht. Allerdings soll dieses Quantenrauschen erst einen Sekundenbruchteil nach dem Urknall entstanden sein. Bis dahin, also etwa eine Billiardstel Sekunde lang, existierte das Universum laut Valentini vollkommen ohne Quantenrauschen und also in einem Zustand, der die Bezeichnung "magische Welt" wohl verdienen könnte. Denn in dieser Situation wäre im Bereich physikalischer Teilchen sowohl die Messung, als auch die Verschränkung und die Informationsübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit (wenigstens theoretisch) möglich gewesen. So sich denn jemand gefunden hätte, um diese Untersuchungen vorzunehmen ...

Aber dafür ist es vielleicht noch nicht zu spät. Antony Valentini glaubt nämlich, dass Teilchen aus der Zeit ohne Quantenmechanik weiterhin existieren und möglicherweise die "Dunkle Materie" bilden könnten, die Astrophysikern noch immer ein nahezu vollkommenes Rätsel ist, obwohl sie einen Großteil des Universums auszufüllen scheint und ganz offenbar auch dafür sorgt, dass unser Planetensystem nicht aus der Bahn fliegt. Und wenn man dort nicht fündig wird, hofft Valentini immer noch auf die berühmte "kosmische Hintergrundstrahlung", in der sich schließlich Spuren der besagten Teilchen finden lassen sollten. Nach bisherigen Erkenntnissen hat sich das "Echo des Urknalls" allerdings erst 300.000 Jahre nach dem "Big Bang" gebildet, als Atomkerne und Elektronen bereits zu Atomen verbunden waren. Seinerzeit hätte der Siegeszug der Quantenmechanik immerhin schon vollständig abgeschlossen sein können.

Bis auf weiteres bleibt uns also wohl nicht anderes übrig als der Vermutung beizupflichten, dass selbst die Hochleistungsphysik unserer Tage mit den "Mystikern aller Zeitalter und Traditionen" mehr gemein hat als ihr lieb ist.