Zauberlehrling im Tuningfieber

Axel hätte Erika nicht im Computerladen beraten sollen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Warum habe ich nicht alle Scheckkarten gesperrt, als Erika mir mitteilte, dass sie mit Axel "nur mal eben schnell" im Computerladen einen Online-Account einrichten will? Ein reines Wunder, dass sie nicht mit einer neuen Einbauküche, einem Paddelboot, 24 Meter Bergsteigerseil und einer 3 qm Urwald-Patenschaft zurückkam.

Gut, manchmal bin ich schreckhaft. Zum Beispiel neulich, nachdem Erika sich vorsichtig von hinten an mich heranschlich, wie ich gerade versuchte in einer technisch sehr anspruchsvollen Kurve vier Wagons meiner Spielzeugeisenbahn aufzugleisen. Ihr viel zu lautes "Ich will jetzt auch endlich online sein !!!" überraschte mich. Während ich die Baumkronen der Linkskurve unter meinen Fingernägeln herauspuhlte und Erika die Turmspitze der Bergkapelle aus der Nase fingerte, versuchte ich ihr klarzumachen, sie solle mich
a) nie wieder so in Grund und Boden erschrecken
b) doch bitte nicht mit Dingen belästigen, die Axel viel besser kann.

Das war eigentlich als Prävention gedacht. Erika würde nie (Repeat: NIEEE) wieder Axel um Hilfe in Computerdingen suchen, seit er ihr allen Ernstes eine billige Tastatur aus China besorgt hatte. Erika tut sich seitdem auch bei einfachen Texten schwer. Das chinesische Zeichen für "Halunke" besteht auf diesem Ding zum Beispiel aus 14 Tastenkombinationen. "Erika" schreibt sich sogar übertragen gesagt "jdfh ezwwnp987np8 üQ")))()(/N? )" -allerdings nur im Singular.

Selbst ist die Frau

Sie blickte mich tief an, nahm den von Tante Erna geerbten Laptop - "Mit Häkeldeckchen. Süüüüüüß!" - unter den Arm und verschwand. Vier Stunden später kam sie überglücklich zurück. Das sei alles gar nicht so schwer gewesen. Axel habe zu dem Typen was von "online und aufmotzen" gesagt. Der sei noch ein wenig stirnrunzelnd dagestanden und habe dann "tunen" geantwortet. Supi. In einer Woche könne sie das Gerät wie neu abholen. Computerhändler seien ein liebes Volk. Was die alles für einen täten. Einfach so...

Sie konnte vielleicht nicht nachvollziehen, warum ich mit einem lauten Aufschrei zum Telefon stürzte und Axel "SO-FOR-T" zu diesem Händler hindirigierte. Wenn wir uns beeilten, könnten wir vielleicht noch verhindern, dass dieser Aasgeier die alte Herdplatte von Erika manisch aufmöbelte und damit das Bruttosozialprodukt unseres Haushaltes empfindlich kellerte.

Blöd wie ich bin

Schneller war ich damals nur im Computerladen, als so ein Händler mich fragte, ob er mir das "I love You"-Mail vorlesen solle, vielleicht sei das ja von meiner Mama. Nichts wie hin. Axel, dieses Platinen-Monster müsste schon da sein.

Auch ich kann tief schauen. Sehr tief. Ich räusperte mich und verbog Axel langsam, sehr langsam einen seiner 4 Kugelschreiber aus der linken Hemdtasche. Was er eigentlich glaube? Ihm sei doch wohl klar, dass dieser für Materialschlachten bekannte Halodri jetzt Halali geblasen habe und wir immer noch günstiger wegkämen, wenn wir Erika einen nagelneuen Laptop mit Drucker, Scanner und Hollywoodschaukel kauften.

Axel übersah den blauen Fleck neben seinem "Ich esse nur glückliche Rinder"-Sticker souverän und meinte, wir sollten uns doch erst mal anschauen, was der Gute so alles an Feinchen reingebaut habe. Vielleicht könne man ja nachverhandeln. Klar, lieber Haifisch, lach doch mal und lass das kleine Taucherbeinchen frei. Killekille.

Ich glaube mich daran zu erinnern, dass wir keine Türglocke, sondern den hämischen Schrei einer Krähe vernahmen, als wir den Laden betraten. Um Himmels Willen, der Typ sah ja aus wie Axel. Ich war im Spiegelkabinett des Doktor Norton gelandet. Und toll: Der Laptop von Erika war bereits im Hintergrund zu sehen. Ich konnte einen Chromspoiler, eine tiefergelegte Strombuchse und einen "Disk injection"-Aufkleber erkennen. Jetzt fehlte nur noch der getönte Bildschirm. Wieder diese tiefe Blick zu Axel. Aber dann sprach der Kerl hinterm Tresen. Mir war, als wäre ich bei einer Gemüsehobel-Vorführung in der Fussgängerzone gelandet.

Er gehört zu Dir

"Immer mal hereinspaziert, die Herren. Sie schätzen sich sicher glücklich, den wieder zum Leben erweckten kleinen Plagegeist hier an meiner Seite durch und durch runderneuert wieder in ihre Hände zu schliessen."

Oh Gott, das war ja wie unfreiwillig in "Mainz wie es singt und lacht³ auftreten. Hallösche im Bermuda-Dreieck zwischen Hardware, Software und Wahnsinn angekommen. Tätääätätääätätäää.

Axel und ich schluckten trocken. Allein der "Plagegeist" konnte nur bedeuten, dass der Kerl die Festplatte händisch mit einem rostigen Magneten defragemtiert und die Druckertreiber aus wertvollen Schwellenländern-Ländern wie Korea, Thailand und Kambodscha entfernt hatte. Ich habe Axel hundert Mal gesagt, dass wir solche Weihnachtsgeschenke nicht schätzen.

"Also, zuerst habe ich natürlich eine selbstaufblasende Ersatztastatur für Ihre Freundin bereitgestellt, falls sie zwischendurch auf chinesische Schriftzeichen nicht allzu viel Wert legt."

Klar. Schön, dass er die Trockenhaube mit Ethernet-Anschluss weggelassen hatte.

"Aber die natürlich mit einer extra dehnbaren Aussenhaut versehen. Wegen der Fingernägel."

Axels Bemerkung, das könne er vergessen, das würde bei Kondomen auch nie klappen, ließ uns ein wenig schlingern. Aber bevor ich mit alten Brüllschlagern wie "Wer soll das bezahlen" einsetzen konnte, schnurrte er eine Liste der Dienstleistungen runter, die nur mühsam in meinem Hirn Platz fand. Da mag ich ein Motivationsloch gehabt haben:

- Auftunen: 4 Arbeitsstunden
- Polieren des Bildschirms (3654,3 Fussel entfernt): 20 Arbeitsstunden
- Exakte Ausjustierung des Deckels und Farbangleichung an den Diskettenschacht: 2 Arbeitsstunden
- Neuen Deckel nach Bruch des ersten besorgen: 3 Arbeitsstunden
- Zurückstellen der Programme auf Default-Settings, Angleichen der Bytezahlen an die Lottoziehung: 3 Arbeitsstunden
- Neuabmischen der Systemklänge: 12 Arbeitstunden
- Anfahrt ins Geschäft: 23 Stunden
- Feiertagszulage in Indien: 4 Arbeitsstunden

Axel hatte begonnen, bei der Liste verlegen mit den Füssen zu scharren. Beim Posten: "Feiertagszulage" zuckte er merklich zusammen. Seine anderen drei Kugelschreiber würden nach Verlassen des Geschäfts fällig sein. Zwangsnahrung für einen merkantilen Volltrottel. Weiter:

- Löschen alter Druckaufträge: 2 Arbeitsstunden
- Sicherung der vorhandenen Daten: 6 Arbeitsstunden
- Einbau von 400 MB Arbeitsspeicher und einer superinnovativen 800 GB Festplatte: 10 Arbeitsstunden
- Einbau von weiteren 300 MB Arbeitsspeicher und Formatieren der Festplatte: 3 Arbeitsstunden
- Informationen dazu aus dem Internet saugen: 4 Arbeitsstunden
- Brennen einer Zwischensicherung (800 GB) aus Testzwecken: 50 Arbeitsstunden

Mein schüchterner Einwand, das seien doch bereits knapp drei Arbeitswochen und das Gerät wäre eben erst angeliefert worden, konterte diese Computerschabe umgehend:

- Remote Handling via Indien, Thailand und China inkl. Verwaltung von 400 Festangestellten: 300 Arbeitsstunden
- Errichtung einer eigenen Fertigungsstrasse in Nordvietnam für zukünftige Reparaturen: 1200 Arbeitsstunden
- Zurückspielen der Daten: 4 Arbeitsstunden
- Stress-Testing via Remote in Kanada: 100 Arbeitsstunden
- VG Wort für Source-Code: nicht berechnet (Klasse, danke, das ist grosszügig. An der GEMA haben wir uns schon ruiniert)

= knapp 2000 Arbeitsstunden

+ 18.340,- DM Materialkosten
+ 45% Mwst.
+ 15.000,- DM Zoll

Summe: abgerundet ein Einfamilienhaus in B-Lage

Aber jetzt würde das Gerät laufen. Er lächelte.

Eine lange Pause in stiller Ehrfurcht vor der Weltwirtschaft war die Folge. Ich könnte nun einfach einen epileptischen Anfall heucheln und mir im Chaos der zusammengeschlagenen Auslagen den Laptop von Erika unter den Nagel reißen. Allerdings sah ich gerade noch das alte Kumpelfoto von dem Kerl und Bruce Lee in der Ecke hängen. Kein Laptop sollte das eigene Unterkiefer wert sein. Oder aber, ich würde zahlen...

Axel rettete souverän die Situation: "Ich hätte ja noch die Taktzahl der Möhre nach oben gejagt und einen DVD-Brenner eingebaut." Jawollll. Danke. Ein Freund. Warum nicht gleich drei Eimer Goldbarren aus der Straßenbahn werfen. Don Händler witterte einen Anschlussdeal und faselte was von "Kühlanlage für die Festplatte, damit das Ding noch 2ms schneller spuckt", zerrte das Gerät bereits durch sein Fax, um es nach Indien zu senden - vielleicht war der auch einfach nur durchgeknallt!!!

Einer für alle

Ich riss Axel aus dem Laden und brüllte nur: "Und was ist, wenn wir nicht zahlen?" Der Typ lächelte abschätzig und wusste zu genau, wie er uns Computernarren Angst einjagen konnte: "Dann behalte ich das Gerät, und ihr schaut mal, wie ihr mit Taschenrechnern durchs Leben kommt."

Axel und ich dachten an Erika. An die vielen Fragen, die sie uns mit einem solchen Gerät stellen würde, an die vielen Nächte ohne Schlaf, aber mit ihr. Wir schauten uns lange und tief an.

"OK, ist ein Deal. Behalten Sie den Kasten. Wir haben ihn eh nicht verdient." Der Händler lief bleich an. Winkte uns noch nach. Wir waren weg. Boh, kann Leben einfach sein.

Erika würden wir ein Handy kaufen. Das ist wie online. Nur kleiner und geleast. Notfalls könnten wir ihr ja einen Fuchsschwanz an die Antenne kleben.

P.S.: Im Forum communities.msn.com/axelshome sucht Axel nach Tuning-Tipps für Computer. Da würde ich auf KEINEN Fall antworten.