Zensur à l'américaine

Ein historischer Spielfilm über die Reagans und ein Umwelt-Schulbuch wurden in den USA aus dem Verkehr gezogen

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Ein Ruck geht durch das Land - nur das Land ist die USA, und der Ruck geht nach rechts: Anfang November gewannen die Republikaner zwei Gouverneurswahlen (Mississippi und Kentucky). Wenn man den erzwungenen Wechsel in Kalifornien (Republikaner Schwarzenegger schlug Demokraten Davis) hinzunimmt, so haben die Republikaner in den letzten Wochen die Zahl ihrer Gouverneure von 26 auf 29 aus 50 Bundesstaaten erhöht. Und obwohl mittlerweile belegt ist, dass Fox News ihre Zuschauer mehr als irgendein anderer US-Sender desinformiert, sind die höchsten Vertreter des Weissen Hauses vor allem dort zu sehen. Nun hat eine Kampagne, die von Fox News mindestens unterstützt wurde, dafür gesorgt, dass ein Doku-Drama über das Paar Nancy und Ronald Reagan, nicht ausgestrahlt wird.

Wer nach Washington, DC fliegt, steigt wahrscheinlich am Ronald Reagan National Airport aus. Der umstrittene Präsident hat durchaus seine Anhänger, z.B. das Ronald Reagan Legacy Project, das Reagans Antlitz am erhabenen Mount Rushmore neben nur vier anderen dort verehrten US-Präsidenten eingemeißelt sehen möchte. Das wäre eine kleine Revolution, denn immerhin ist seit 1941 nichts am Berg verändert worden (Geschichte von Mount Rushmore als Flash).

Eigentlich würde man erwarten, dass die Anhänger Reagans sich über einen Film über ihren Helden freuen würden. Doch als ein paar Details über einen zweiteiligen Fernsehfilm bei CBS durchsickerten, liefen die Konservativen Sturm gegen die Ausstrahlung. Keiner außer den Chefs von CBS hat bis heute den Film gesehen, außer einer 30-sekündigen Vorschau. Doch es hieß bei der Times, Ronald sei mit den Worten zu der damals neuen Aids-Epidemie zitiert worden: "They that live in sin shall die in sin." Die Republikaner wiesen darauf hin, dass dieses Zitat nicht belegt ist, und CBS entfernte die Passage. Doch die Konservativen gaben sich damit keineswegs zufrieden, vermuteten einen "Anti-Reagan-Film", und verlangten nicht nur, dass der ganze Film von Grund auf in Hinblick auf seine Richtigkeit neu untersucht werden soll, sondern riefen auch dazu auf, den Sender CBS zu boykottieren und sich bei den auf CBS Werbung schaltenden Firmen zu beschweren.

V.l.n.r.: George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt, Abraham Lincoln. Der Schnauzbart von Roosevelt ist 6 Meter breit. (Quelle: Mount Rushmore National Memorial)

CBS verteidigte den Film, wies auf die ausgiebigen Recherchen hin und unterstrich das Apolitische am Film: Schließlich gehe es in erster Linie um das Paar Nancy und Ronald. Etwa auf die Iran-Contra-Affäre sei der Film gar nicht eingegangen. Doch dann wurden zuerst die Betreiber von boycottcbs.com zum Interview bei Fox News eingeladen, am nächsten Tag folgten ein paar TV-Experten. Die Seite boycottcbs.com stürzte kurz danach unter dem großen Besucheransturm ab. Eine Volksbewegung war in Gang gesetzt worden. Wenige Tage später strich CBS den Film gänzlich aus dem Programm und bezeichnete ihn als zu einseitig. Interessierte müssen nun warten, bis der Film im Pay-TV und auf DVD herauskommt.

Die Republikaner haben also gar nicht dafür gesorgt, dass der Film aus dem Verkehr gezogen wird. Im Gegenteil: Der Film wird sich erst recht gut verkaufen, weil er einen solchen Skandal ausgelöst hat. Das Ziel war aber vermutlich gar nicht, den Film zu vernichten, denn es spielt für die Republikaner keine große Rolle, ob der Film tatsächlich den "wehrlosen" Reagan (der 92-jährige, an Alzheimer leidende Ronald lebt abgeschieden) unfair behandelt. Der Partei, die das Lügen bewiesenermaßen zum offiziellen Kommunikationsmittel gemacht hat (Lies, damn lies, and statistics), geht es darum, den Anschein einer "links-liberalen Medienlandschaft" aufrechtzuerhalten. So kann man immer Kritik an der eigenen Partei mit dem Argument abwehren, das sei doch alles nur typisch liberales Geschwätz. Und wenn man sich ständig über die Lügen anderer empört und sich sonst sehr korrekt gibt, wirken die eigenen Lügen eben viel glaubhafter.

Das Raffinierte daran war, dass auch Fox News den Boykott gar nicht befürworten musste, im Gegenteil: Der Moderator spielte des Teufels Advokat und fragte, ob es fair sei, einen Film, den man selbst nicht gesehen hat, zensieren zu wollen. Allein das wiederholte Thematisieren des Boykotts genügte als kostenlose Werbung.

"Die Länder der westlichen christlichen Zivilisation sind die saubersten"

Zur gleichen Zeit verklagt der Autor eines Schulbuches zur Umwelt das texanische Bildungsministerium, weil die Republikaner in Texas sein Buch aus den dortigen Schulen verbannt haben. Im November 2001, als alle noch mit 9/11 beschäftigt waren, regten sich die Republikaner im Ministerium über das Buch "Environmental Science: Creating a Sustainable Future" von Daniel D. Chiras auf. Während Chiras behauptet, die ständig wachsende Wirtschaft der USA habe die Umwelt überstrapaziert, kontert ein Mitglied des Ministeriums:

The Western Christian civilization countries are the cleanest, and have the most stable population growths in the world.

Da kein Buch allein aufgrund von Meinungsverschiedenheiten verboten werden darf, argumentierte das Ministerium, das Buch enthalte Unwahrheiten. David Bradley, ein Mitglied des Ministeriums, nannte zwei Fehler: 1) die Luftaufnahme einer Siedlung, darunter die Beschriftung, dass die Zersiedelung umweltschädlich sei, und 2) die Kritik an der Zerstörung der Umwelt durch einen Staudamm in Asien, ohne dass auf den dort erzeugten sauberen Strom eingegangen wäre. Bradley ist Immobilienmakler von Beruf.

Andere Kritiker gingen weiter. Da Chiras der Meinung sei, die Indianer und andere primitive Völker würden eher im Einklang mit der Natur leben, sei das Buch "anti-christlich", meinte eine Sprecherin von Citizens for a Sound Economy und fügte hinzu, das Ministerium habe die Aufgabe, die "Tradition der Lehre von der freien Marktwirtschaft fortzuführen". Außerdem:

September 11 was not an attack on our military or our financial institutions but an attack on our freedom. We must defend attacks on our freedom both from outside our borders and from within.

Und da Chiras die Behauptung wagte, der Luftverkehr sei schlecht für die Umwelt, warf die Texas Public Policy Foundation Chiras vor, er würde aus Osama Bin Laden eine Art Held machen, denn dieser habe ja schließlich dazu beigetragen, dass der Flugverkehr abnimmt

Da Texas der zweitgrößte Absatzmarkt für Schulbücher in den USA ist, versuchte der Verlag, auf die Kritik der Republikaner einzugehen. Chiras Buch wurde aufgegeben und ein anderes Buch vorgeschlagen - und prompt abgelehnt. Der Verlag traf sich mit einigen Mitgliedern des Bildungsministeriums, um einige Änderungen zu vereinbaren, damit das zweite Buch doch noch verkauft werden konnte. Z.B. wurde laut der New York Times folgender Satz gestrichen:

Most experts on global warming feel that immediate action should be taken to curb global warming.

Und folgende Sätze hinzugefügt:

In the past, the earth has been much warmer than it is now, and fossils of sea creatures show us that the sea level was much higher than it is today. So does it really matter if the world gets warmer?

Immerhin scheint das texanische Bildungsministerium etwas lockerer geworden zu sein, denn es hat erst vor ein paar Tagen ein Biologiebuch genehmigt, das einseitig die Evolution lehrt - zuungunsten des "creationism", also der Lehre, dass Gott die Welt erschaffen hat. Vier der fünfzehn Mitglieder des Ausschusses sprachen sich dennoch gegen das Buch aus und beriefen sich auf die "Lücken in der Evolutionstheorie" - schließlich gibt es ja den "missing link". Die abweichende Meinung gegen die Evolution erklärte ein Mitglied des Komitees:

People don't realize the threat of scientific dogmatism. They're not looking for the truth.

Die Texans for Better Science Education protestieren gegen die "Zensur" und haben eine Petition mit der Forderung gestartet, dass die Stärken und die Schwächen der Evolutionstheorie gelehrt werden müssen, weswegen "Fehler" hervorgehoben oder aus den Büchern entfernt werden müssten. Sie verweisen auf eine Umfrage, bei der sich 82 Prozent der Texaner für diese Haltung ausgesprochen hätten.