Zensur aus Homophobie

Litauen will mit einem Gesetz die Jugend vor Darstellungen von Gewalt, aber auch von Homo-, Bisexualität und Polygamie schützen

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Dass es Homosexuelle in Osteuropa nicht leicht haben, ist hierzulande kein Geheimnis (Osteuropas Homosexuelle). Noch vor einigen Jahren wurde der Warschauer Christopher Street Day durch Buhrufe und Steinwürfe der rechtsradikalen Allpolnischen Jugend gestört (Schwule kämpfen in Warschau um Anerkennung). Und auch in Moskau wird die Demonstration der Homosexuellen von Neo-Nazis und Milizionären auseinandergeprügelt, was der Grünen-Politiker Volker Beck im Jahr 2006 am eigenen Körper zu spüren bekam. Nun verabschiedete das Parlament des EU-Mitglieds Litauen ein Gesetz, das einen neuen Höhepunkt in der Homophobie darstellt. Mit dem neuen "Moralgesetz" sollen litauische Jugendliche nicht nur vor Gewalttaten und Glücksspiel geschützt werden, sondern auch vor Homo-, Bisexualität und Polygamie. Die Entscheidung wird von der litauischen Gesellschaft mit großer Mehrheit begrüßt.

Innerhalb von vier Wochen war es das zweite Mal, dass die Abgeordneten des Seimas über das neue Jugendschutzgesetz mit dem Titel "Gesetz zum Schutz von Minderjährigen gegen die schädlichen Folgen öffentlicher Informationen" abstimmten. Bereits am 16. Juni sprach sich das Parlament des baltischen Staates mit großer Mehrheit für das umstrittene Vorhaben aus, das Jugendliche nicht nur vor Darstellungen von Gewalt und Glücksspielen schützen soll, sondern auch von Homo-, und Bisexualität. Demnach dürfen weder an Schulen noch an anderen für Kinder und Jugendliche zugänglichen Einrichtungen Informationen über Homosexualität zugänglich sein. Das Gesetz wurde sogar noch entschärft. Ursprünglich waren für Personen, die den Zugang zu solchen Informationen ermöglichen, Haftstrafen von bis zu drei Jahren vorgesehen.

Dennoch sorgte das Jugendschutzgesetz, welches mit 67 von 74 Stimmen verabschiedet wurde, zu Recht für sehr viel Empörung. „Es stellt Homosexualität auf dieselbe Stufe mit Themen wie der Darstellung physischer und psychischer Gewalt, der Zurschaustellung von Leichen oder grausam verstümmelten Körpern sowie Informationen, die Angst oder großen Schrecken verursachen oder zu Selbstverstümmelung und Selbstmord ermutigen. Dies institutionalisiert faktisch die Homophobie und verstößt gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf ein Leben frei von Diskriminierung“, kritisierte Amnesty International das Gesetz und äußerte die Befürchtung, dass es die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern erschweren könnte, „die sich für Menschenrechtsbelange sowie Fragen der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität einsetzen“.

Aus diesem Grund appellierte Amnesty International an den damals noch amtierenden Präsidenten Valdas Adamkus, dieses Gesetz nicht zu unterschreiben. In einem Brief an das Staatsoberhaupt protestierte auch Human Rights Watch gegen das Gesetz und erinnerte dabei an die Mitgliedschaft des baltischen Staates in der Europäischen Union sowie die freiheitlichen Werte der Gemeinschaft, denen sich die Mitgliedsländer verpflichtet haben.

Der Protest, verstärkt durch die Kritik von Schwulen- und Lesbenorganisationen und die Gefahr einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, fand Gehör. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit legte Valdas Adamkus am 26. Juni sein Veto gegen das Gesetzesvorhaben ein. Doch laut litauischer Verfassung kann der Seimas das Veto des Staatsoberhaupts überstimmen, was am 14. Juli auch geschah. Bei 25 Enthaltungen und 6 Gegenstimmen, sprachen sich 87 Abgeordnete für das umstrittene Jugendschutzgesetz aus. „Wir haben den letzten Schritt gemacht, um in Litauen körperlich und geistig gesunde Generationen zu erziehen, die sonst von einer verrotteten Kultur weiterhin überschwemmt worden wären“, sagte in Vilnius der konservative Abgeordnete Petras Grazulis, Mitautor der Gesetzesinitiative, nach der Abstimmung.

Scharfe Kritik aus dem Ausland

Mit dieser Meinung steht der Politiker, gemeinsam mit seinen Freunden von der sich selbst als rechtsliberal bezeichnenden Partei Ordnung und Gerechtigkeit, zumindest außerhalb Litauens ziemlich alleine da. Das mit einer noch größeren Mehrheit als vor einem Monat verabschiedete Gesetz sorgte erneut für eine Welle der Empörung. Neben Amnesty International, Human Rights Watch, litauischen und internationalen Schwulen- und Lesbenorganisationen protestierten auch europäische Politiker gegen das angebliche Jugendschutzgesetz, welches im März 2010 in Kraft treten soll. So forderten Abgeordnete der Grünen-Fraktion im EU-Parlament den neuen EU-Parlamentspräsidenten Jerzy Buzek dazu auf, einen Protestbrief an den Seimas zu schreiben.

Selbst 31 Parlamentarier des polnischen Sejm, der bereits vor zwei Jahren über ein ähnliches Gesetz hätte abstimmen sollen, wenn es nach dem Willen des ehemaligen rechtskonservativen Bildungsministers und Vizepremiers Roman Giertych gegangen wäre (Giertych vs. Darwin), protestierten in einem offenen Brief an den litauischen Parlamentspräsidenten Arunas Valinskasa gegen die Entscheidung des Seimas.

Kritik an dem "Moralgesetz" gab es aber nicht nur in Form von Protestbriefen. Während seines eintägigen Arbeitsbesuchs in den Niederlanden, diskutierte der litauische Außenminister Vygaudas Usackas mit seinem niederländischen Amtskollegen nicht nur über die bilateralen Beziehungen der beiden Länder und die Finanzkrise, sondern musste sich auch mahnende Worte bezüglich des Jugendschutzgesetzes anhören. „Dieses Gesetz fördert nicht nur die Diskriminierung von Homosexuellen, sondern ist auch unvereinbar mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung“, erklärte der Niederländer Maxime Verhagen.

Litauische Präsidentin könnte das Gesetz noch bremsen

Die meiste Kritik an dem Gesetz musste sich jedoch die neue litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite anhören, die von den litauischen Medien gerne mit Barack Obama verglichen wird. Während ihres Antrittsbesuchs in Schweden vergangene Woche drehte sich fast alles um das umstrittene Jugendschutzgesetz, gegen das sie im Gegensatz zu ihrem Vorgänger aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ihr Veto einlegen kann. „Ich bin gezwungen, es zu unterschreiben und in Kraft zu setzen“, sagte Grybauskaite in Stockholm und machte aus ihrer Empörung über die Abstimmung des Seimas kein Geheimnis. „Ich bin empört über das Gesetz, es rückt Litauen in ein schlechtes Licht und es erinnert an Sowjetzeiten“, so die ehemalige EU-Haushaltskommissarin und heutige Staatspräsidentin.

Doch eine Chance scheint es laut Grybauskaite zu geben. In Stockholm kündigte sie an, dass sie vom Parlament Änderungen und Konkretisierungen verlangen werde, da "das Gesetz so, wie es jetzt formuliert ist, sowieso nicht praktikabel ist". Ein Einwand, der vollkommen richtig ist. Denn die Parlamentarier, die sich um den moralischen Zustand der nächsten Generationen sorgen, haben es versäumt, bestimmte Schlüsselbegriffe genau zu definieren. „Es ist unklar, was mit den familiären Werten gemeint ist, die angeblich untergraben werden. Auch Propaganda ist nicht eindeutig festgelegt", erklärte Vladimir Simonko, Vorsitzender der Litauischen Schwulenliga, im Deutschlandfunk. Dies könnte dazu führen, dass in Litauen nicht nur von der EU finanzierte Projekte wie Gender Loops, das eine geschlechterbewusste -und gerechte Ausbildung von Erziehern fördern soll, verhindert werden könnten, sondern dass dieses Gesetz auch enorme Auswirkungen auf das Internet haben könnte. Falls das World Wide Web zu einem „öffentlichen Raum“ erklärt werden sollte, könnte der baltische Staat auch die Sperrung bestimmter Seiten verlangen.

Die rechten Hardliner von dem Schweigen der litauischen Eliten und der Unterstützung durch die katholische Kirche

Dalia Grybauskaite, die den Schutz der Menschenrechte zum Schwerpunkt ihrer Arbeit erklärte, dürfte aber nicht nur wegen der nicht genau definierten Begriffe gegen das Jugendgesetz sein. Während des litauischen Präsidentschaftswahlkampfs wurde die unverheiratete Politikerin immer wieder mit der Homophobie in dem Land konfrontiert, indem sie sich gegen Vorwürfe erwehren musste, lesbisch zu sein. Das hätte für die ehemalige EU-Kommissarin weit reichende Folgen haben können. „Die Situation für Homosexuelle in Litauen ist sehr schwierig. Viele Menschen stehen uns feindselig gegenüber und deswegen leben fast alle Schwulen und Lesben im Verborgenen: Sie verraten weder ihrer Familie noch ihren Kollegen, dass sie homosexuell sind. Das belastet sehr“, sagte der Aktivist Simonko. Die Homophobie bemängelte auch Amnesty International im Jahresbericht 2008.

Ob die Proteste von Menschenrechtsorganisationen und der europäischen Partner etwas an der schwierigen Situation von Schwulen und Lesben in Litauen ändern werden, ist jedoch fraglich. Die rechten Hardliner, die die Homophobie in die Mitte der Gesellschaft getragen haben, profitieren in ihrer Politik von dem Schweigen der litauischen Eliten und der Unterstützung durch die katholische Kirche. Zudem muss die Rechte in Vilnius keine besonderen Eingriffe der Europäischen Union fürchten, selbst wenn es zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichthof kommen sollte. Für den Jugendschutz sind einzig und allein nur die Staaten verantwortlich. So kann die litauische Rechte weiterhin homophobe Gesetze verabschieden und diese dann als Jugendschutz darstellen. Und weitere Gesetzesvorhaben solcher Art sind schon geplant. Im September wird der Seimas über weitere Gesetze abstimmen, die Schwule und Lesben aus der Gesellschaft verdrängen sollen.