Zerstörung im Interesse des Gemeinwohls

Die Energie- und Klimawochenschau: Im neuem Energieministerium übt man die ganz große Koalition, während das Bundesverfassungsgericht noch nie etwas vom Klimawandel gehört hat

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Fast ein Vierteljahr nach der Bundestagswahl steht nun die neue Regierung und mit ihr das neu zugeschnittene Wirtschaftsministerium. Einst war die Verantwortung für die Energiewende zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium aufgeteilt, um schließlich bei letzterem konzentriert zu werden. Aber ist es wirklich ein Schritt zurück?

Das im Koalitionsvertrag festgehaltene Programm der dritten Merkelschen Regierung ist einerseits ziemlich eindeutig: Der Ausbau der Erneuerbaren soll gedeckelt und ausgebremst, die langfristige Nutzung von Kohlekraftwerken hingegen gesichert werden.

Die Personalien des neu zugeschnittenen Ministeriums sind allerdings andererseits eher ambivalent. Sigmar Gabriel, der neue Energie- und Wirtschaftsminister hat, in seiner Zeit als Leiter des Umweltressorts von 2005 bis 2009 durchaus Manches zum Erfolg von Sonne, Wind & Co. beigetragen, es allerdings als guter Sozialdemokrat auch nie am Bekenntnis zu neuen Kohlekraftwerken fehlen lassen. Man wird sehen, wie er künftig agiert.

Ambivalenzen

Interessant ist, dass Gabriel mit Rainer Baake ein grüner Staatssekretär zur Seite stehen wird - und zwar nicht irgendeiner. Baake hat zuletzt den kleinen Think Tank Agora Energiewende mit aufgebaut. Zuvor war er seit 2006 sechs Jahre lang Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Auf beiden Posten hat er unermüdlich für die Energiewende gestritten, wie auch schon zuvor als Staatssekretär im Bundesumweltministerium unter dem grünen Jürgen Trittin und zuvor im hessischen Umweltministerium. In der Schröder-Fischer-Regierung war er unter anderem daran beteiligt, den Ausstieg aus der Atomkraft auszuhandeln, den Angela Merkel später zurücknahm, nur um den Beschluss ein knappes Jahr später nach der dreifachen Reaktorhavarie im japanischen Fukushima zu erneuern.

In seiner Zeit bei der DUH hat Baake wiederholt darauf hingewiesen, dass die Klimaschutzziele - die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren - nicht mit dem Bau neuer Kohlekraftwerke zu vereinbaren sind. Neue Kohlekraftwerke seien nur dann tolerabel, wenn das Treibhausgas abgeschieden und sicher eingelagert und die Abwärme genutzt werden könne, beides sei aber auf absehbare Zeit nicht in Sicht, sagte er zum Beispiel 2008 bei der Vorstellung eines DUH-Vorschlags zur Veränderung von Gesetzen, die den Bau von Kohlekraftwerken regeln.

Wir dürfen gespannt sein, wie der grüne Vollblutpolitiker künftig "an zentraler Stelle gemeinsam mit Minister Gabriel und der neuen Bundesregierung, der Energiewende in Deutschland zum Erfolg (...) verhelfen" wird, wie er es angesichts seines erneuten Jobwechsels formulierte. Hat er vielleicht den Koalitionsvertrag nicht gelesen? Oder glaubt er, seine Vorstellung von einer marktwirtschaftlichen Ausgestaltung des Erneuerbaren-Energiengesetzes (EEG) in die schon für das nächste Frühjahr geplante Novelle einbringen zu können. Aber was bleibt dann von der raschen, dezentralen Energiewende? Den Emissionshandel, auch eines von Baakes Projekten in seiner Zeit im Bundesumweltministerium, hat die alte Bundesregierung bereits gegen die Wand fahren lassen, und die neue Koalition zeigt bestenfalls verhaltene Begeisterung für dessen Reanimation.

Brüssel calling

Die Auseinandersetzung um die Energiewende verspricht also mit diesen Besetzungen im federführenden Ministerium etwas unübersichtlicher zu werden. Dazu trägt im Übrigen auch die EU-Kommission bei, die, wie letzte Woche berichtet, ein Beihilfeverfahren gegen die Bundesrepublik wegen der Ausnahmen eröffnet, die industriellen Strom-Großverbrauchern von der EEG-Umlage gewährt gewährt werden. En passant sollen offensichtlich auch das EEG selbst und damit die erfolgreiche Unterstützung des zügigen Ausbaus der erneuerbaren Energieträger in Frage gestellt werden.

Die Bundesregierung scheint das nicht weiter zu stören. Während Privathaushalte in der Vorweihnachtszeit eher von Ankündigungen mit Strompreiserhöhungen oder überzogenen Abrechnungen ihrer Vermieter beglückt wurden, hat das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle bereits die meisten Ausnahmebewilligungen für das kommende Jahr verschickt. Den betroffenen Unternehmen wird die weihnachtliche Bescherung bis zu fünf Milliarden Euro Ersparnisse bringen, für die die übrigen Stromkunden aufzukommen haben.

Während der Verband der Chemischen Industrie, die zu den Hauptprofiteuren der Industrieprivilegien zählt, noch relativ zuversichtlich ist, keine Rückzahlungen leisten zu müssen, ist der grüne Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer der Ansicht, das Verfahren sei ein Desaster nicht nur für die Energiewende sondern auch für die Industrie. Jetzt räche sich, "dass weder die abgewählte schwarz-gelbe Bundesregierung noch die Große Koalition irgendetwas unternommen haben, um das Verfahren abzuwenden. Und man fragt sich: Was tut eigentlich der deutsche Energiekommissar für die deutsche Energiewende in Brüssel?"

Die Kommission will gegen das EEG insgesamt vorgehen. Zwar werde das EEG in dem Kommissionsentwurf für das Verfahren für grundsätzlich zulässig erklärt, soll aber als (genehmigungspflichtige) Beihilfe deklarieren werden. Damit könne Brüssel die Bedingungen für die Förderung der Erneuerbaren Energien in Deutschland diktieren. Der Abgeordnete hat den Eindruck, dass die Kommission gar nicht mit Widerstand aus Berlin rechnet. Dabei wäre das Verfahren relativ einfach abzubiegen. Die Bundesregierung müsste nur die Ausnahmen massiv begrenzen. Doch mehr als ein paar unverbindliche Prüfaufträge sind zu dem Thema im Koalitionsvertrag nicht zu finden.

Moderne Fossilien

Mehr Engagement wird derweil in Sachen Braunkohle gezeigt, die der Koalitionsvertrag für "auf absehbare Zeit unverzichtbar" erklärt. Einer, der besonders stolz ist, diese Festlegung der Regierungsparteien erreicht zu haben, ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Freese. Gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg begründete er das damit, dass Deutschland die modernsten Kohlekraftwerke der Welt habe. "Mit Braunkohle können wir vergleichsweise billig und klimafreundlich Strom produzieren", zitiert ihn die Agentur.

Interessant, was man in der SPD auch heutigen Tags, im Jahre 2013, noch so für modern hält: Kraftwerke, die zum Beispiel bundesweit mehrere Dutzend Tonnen Quecksilber im Jahr übers Land verteilen oder die wie die Braunkohle-Giganten in Jänschwalde mit Wirkungsgraden von wenig mehr als 30 Prozent laufen. Pro Kilowattstunde Strom, die in einem deutschen Braunkohlekraftwerk erzeugt wird, werden durchschnittlich rund 1,2 Kilogramm CO2 emittiert. In einem der älteren Gaskraftwerke, die von der derzeitigen Politik gerade an die Wand gedrückt werden, sind es hingegen 0,56 Kilogramm pro Kilowattstunde und in einem modernen Gas- und Dampfturbinenkraftwerk nur 0,365 Kg/KWh. Freese ist übrigens stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und sitzt im Aufsichtsrat von Vattenfall.

Ein etwas weniger voreingenommener Beitrag zur Rolle der Braunkohle für die Energieversorgung war kürzlich aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin zu vernehmen. Während die Bundesverfassungsrichter meinen, die Landschaftszerstörung und die Verursachung des Klimawandels durch Abbau und Verfeuerung der Braunkohle diene dem Gemeinwohl, kommen die DIW-Forscher eher zu dem Ergebnis, dass auf die Braunkohle für die Energieversorgung durchaus verzichtet werden könne.

Nimmt man die Ziele der Bundesregierung in Bezug auf die Energiewende ernst, so hat die Braunkohle weder aus umweltpolitischer noch aus wirtschaftlicher Perspektive eine Zukunft im deutschen Stromsystem. Angesichts des Scheiterns der "CO2-armen" Braunkohleverstromung durch CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS Carbon Capture and Storage) ist Braunkohle auf lange Zeit der mit Abstand CO2-intensivste Energieträger und trägt ursächlich dazu bei, dass die CO2-Vermeidungsziele für 2020 nicht erreicht werden.

DIW

Auch in der konkreten Frage des Tagebaus Welzow Süd, den Vattenfall in Brandenburg aufschließen will und für den dort letzte Woche die öffentliche Anhörung begonnen hat, ist das DIW sehr eindeutig: "Bei Abwägung aller Ziele der Energiestrategie 2030 des Landes Brandenburg ergibt sich, dass aus wirtschaftlichen und umweltpolitischen Erwägungen der Tagebau Welzow-Süd nicht erforderlich ist", meint Christian von Hirschhausen, Ko-Autor einer Studie zum Thema für das brandenburgische Umweltministerium.