Zieht es Schummler eher zu Jobs im öffentlichen Dienst?

Zumindest in Indien scheint dies der Fall zu sein, wo es ehrliche Studenten eher in die freie Wirtschaft zieht

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In der freien Wirtschaft tummeln sich eher die Gauner, könnte man meinen, während diejenigen, die ehrlich sind und nach Sicherheit streben, eher in den öffentlichen Dienst gehen. Dort gibt es zwar auch Korruption, aber allgemein nimmt man an, dass dort eher die Regeln befolgt werden. Eine Untersuchung von US-Wissenschaftler in Bangalore, Indien, gibt nun den Hinweis, dass es gerade die Schummler zumindest unter den Studenten sein könnten, die es in den öffentlichen Dienst zieht – zumindest in Indien, das nach dem Korruptionsranking von Transparency International auf Platz 94 von 170 liegt. Und die im öffentlichen Dienst arbeiten, schummeln bei solchen Tests denn auch tatsächlich gerne.

Wenn die Studenten, die selbst bei einfachen Tests schon schwindeln, bei denen es eigentlich um (fast) nichts geht, besonders gerne einen sicheren Job beim Staat haben wollen, dann könnte dies die Anfälligkeit für Korruption erklären. Man will zwar einen sicheren Job mit einem sicheren Einkommen, legt aber gerne eins drauf, um es sich besser gehen zu lassen, weil man ja auch an notwendigen Schalthebeln sitzt und in der freien Wirtschaft höhere Einkommen erzielt werden. Oder ist es in Wirklichkeit so, dass ehrliche Menschen nicht zum Staat wollen, weil sich dort eher korrupte Menschen tummeln?

Rema Hanna von der Harvard University und Shing-Yi Wang von der University of Pennsylvania haben für ihre Studie (Dishonesty and Selection into Public Service) allerdings nicht die Situation in westlichen Ländern untersucht, sondern eben Tests mit 669 Studenten im letzten Collegejahr in Bangalore gemacht. Der Test auf Ehrlichkeit war ganz einfach. Die Versuchspersonen sollten einen Würfel werfen und sagen, welche Punktzahl sie erzielt hatten. Je höher die Zahl, desto höher der Gewinn.

Ermittelt wurde allerdings nur die statistische Wahrscheinlichkeit nach 42 Würfen, da man ja nicht direkt beobachten, sondern ermitteln wollte, ob jemand schummelt, was man mithin nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ermitteln konnte. Hätte man die Würfe direkt beobachtet, hätte man natürlich die Schummelneigung nicht erfassen können. Unter Beobachtung ist man schließlich ehrlicher.

Demselben Test wurden 165 Krankenschwestern im öffentlichen Dienst unterzogen, was auch dazu diente, den Test selbst zu validieren. Bei den Krankenschwestern waren die geschwindelten Fehlzeiten bereits in einer anderen Untersuchung geprüft worden, so dass sich hier ein Vergleichsmaßstab herstellen ließ.

Geschummelt wird bei den Studenten reichlich. 34 Prozent berichteten Punktzahlen, die über dem 99. Perzentil der theoretischen Verteilung lagen, also höchst unwahrscheinlich sind. Bei den Krankenschwestern waren es nur 9 Prozent. Bei den Krankenschwestern sieht man nach den Wissenschaftlern den Zusammenhang zwischen der Bereitschaft beim Würfelspiel zu schummeln und derjenigen, Krankheiten vorzutäuschen. Die Krankenschwestern, deren Würfelpunkte über dem Median lagen, täuschen mit einer 7,1 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit eher eine Krankheit vor. Und die Studenten, die beim Würfelspiel schummelten, wollen mit einer 6,3 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit einen Job im öffentlichen Dienst.

"Wir haben gezeigt, dass unehrliche, mit dem Würfelspiel identifizierte Menschen lieber in den öffentlichen Dienst eintreten wollen. Und was wichtig ist, wir zeigen auch, dass Schummeln bei dieser Aufgabe betrügerisches Verhalten von wirklichen Regierungsangestellten vorhersagt", schreiben die Wissenschaftlerinnen. Sie schlagen vor, dass die Behörden Bewerber nicht nur nach dem Können aussuchen, sondern auch testen sollen, dass sie nicht für Schummeln bzw. für Korruption anfällig sind. Allerdings gäbe es nach weiteren Tests keine Hinweise darauf, dass klügere Angestellte auch eher den geringeren Lohn gegenüber einer Arbeit in der Privatwirtschaft durch Korruption aufbessern.

In weiteren Versuchen wurde nach möglichen Zusammenhängen zwischen dem Wunsch nach einem Job im öffentlichen Dienst und weiteren Charaktereigenschaften gesucht. So konnten Studenten in einem Experiment anonym einem Mitspieler eine Botschaft zukommen lassen, in der sie ihm ehrlich sagten, wie er mehr Geld verdienen könnte, oder ihm zur schlechtesten Option rieten. Wenn sie den Mitspieler austricksten, erhielten sie mehr Geld. Hier gab es allerdings keine Präferenz für den öffentlichen Dienst, vielleicht weil sie sich stärker beobachtet fühlten oder weil es einen Unterschied macht, ob man einen Mitstudenten oder eine Institution wie eine Universität betrügt. In einem anderen Versuch, bei dem es darum ging, Geld zwischen sich und einer Wohltätigkeitsorganisation aufzuteilen, zeigte sich jedoch wieder eine Tendenz. Jeder Rupee, der an diese ging, würde verdoppelt werden. Offenbar sind die Geizigeren eher ausgerichtet, in den öffentlichen Dienst zu wollen, während es die sozialer Denkenden in die Privatwirtschaft zieht.

Wenn die Untersuchungsergebnisse tatsächlich einen Zusammenhang zwischen einer erhöhten Korruptions- oder Betrugsanfälligkeit und dem Wunsch aufdecken, einen Job im öffentlichen Dienst zu ergattern, dann träfe dies erst einmal nur für Indien zu, wo Korruption verbreitet ist und vielleicht deswegen "ehrliche" Menschen mehr Bedenken haben, in dieses korrupte System einzutreten. Interessant wäre daher, ob es einen solchen Zusammenhang auch in Ländern gibt, die weniger korrupt sind und in denen öffentliche Angestellte gut bezahlt werden. Gut möglich, dass die Schummler hier eher in die private Wirtschaft tendieren, weil sich im öffentlichen Dienst weniger Chancen bieten, das Gehalt zu erhöhen.