Zoff um die ISS

Auf der Internationalen Raumstation kommen russische und amerikanische Besatzungen bestens miteinander aus, doch am Boden streiten sich die USA und Russland über die Zukunft der ISS

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Während die neunte Crew auf der Internationalen Raumstation Quartier bezogen hat und momentan ein Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur ESA fleißig forscht, ist zwischen den USA und Russland ein heftiger Streit um die Zukunft der ISS entbrannt. Es geht um die Frage, wie lange zukünftig amerikanische Astronauten und russische Kosmonauten auf der Station arbeiten sollen. Moskau ließ bereits Anfang April wissen, dass es die jeweiligen Aufenthalte der professionellen Raumflieger auf ein Jahr verlängern wolle, weil sich dadurch die Chance ergäbe, im nächsten April den New Yorker Greg Olsen für 20 Millionen Dollar mit auf die Raumstation nehmen. Die NASA ist dagegen.

Zunehmend drängt sich der Eindruck auf, als verkomme die Internationale Raumstation langsam aber sicher zu einem Geister(-raum)schiff, als vegetierten die beiden letzten verbliebenen Astronauten in dem bislang aufwändigsten Technikprojekt der Menschheitsgeschichte nur noch vor sich hin. Längst stellen sich nicht nur Raumfahrtexperten mehr die Frage, wie lange der größte Außenposten der Menschheit nach 1274 durchgehend bemannten (oder auch "befrauten") Tagen im All wohl noch im Orbit ausharrt, bevor er finanziell abstürzt und gar zu einem menschenleeren Wrack verkommt.

Raumfahrer-Quintett auf Zeit

Doch trotz aller Probleme, Finanznöte und ungeachtet der Folgen der Columbia-Katastrophe geht der Traum von einer ständig besetzten Raumstation weiter. Noch droht die Seite im Buch der Raumfahrthistorie, die von der ISS so eindrucksvoll aufgeschlagen wurde, nicht zu vergilben. Zu diesem Optimismus berechtigt die Tatsache, dass nach langer Zeit mal wieder etwas mehr Leben in die orbitale "Bude" gekommen ist. Denn seit letzter Woche befindet sich neben der aktuellen „Expedition 8 Crew“ nunmehr auch die Nachfolge-Besatzung – bestehend aus dem US-Astronauten Edward Michael Fincke und dem FKA-Kosmonauten Gennadi Padalka – auf der Internationalen Raumstation.

Der niederländische ESA-Astronaut André Kuipers der "Expediition 8 Crew"

Am Mittwoch wurde im Rahmen der Mission „Delta“ die neue „Expedition 9 Crew“ vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan mit einer Sojus TMA-4 ins All gehievt. Mit dabei war der niederländische ESA-Astronaut André Kuipers, der nach Wubbo Ockels (1985) nunmehr der zweite Niederländer im All ist und der zudem offiziell als Mitglied der neunten ISS-Besatzung geführt wird. Allerdings wird der Holländer während seiner elftägigen Mission nur neun Tage auf der ISS schweben und forschen. Dort gilt es aber, 21 Experimente zügig zu absolvieren, darunter eine Reihe von Experimenten auf den Gebieten der Humanphysiologie, Biologie, Mikrobiologie, Physik, Erdbeobachtung, Bildung und Technologie.

Derweil befinden sich auf der ISS auch drei Millionen Fadenwürmer, die den wissenschaftlichem Namen Caenorhabditis elegans tragen. Bei diesen soll in einer Versuchsreihe unter anderem die Auswirkungen von Schwerelosigkeit und kosmischer Strahlung auf Muskeln und Gene untersucht werden. „Wenn der Wurm zehn Tage der kosmischen Strahlung und der Schwerelosigkeit ausgesetzt ist, entspricht dies zehn Jahren im All für einen Menschen“, so NASA-Forscher Nathaniel Szewczyk über das Experiment, der mit 20 anderen Wissenschaftlern in einem provisorischen Labor in Kasachstan arbeiten wird.

Klare NASA-Absage

Schon am Freitag dieser Woche wird die achte Besatzung der ISS – Michael Foale und Alexander Kaleri – mit der Sojus-Kapsel TMA-3, die während der vergangenen sechs Monate als Rettungsboot für Foale und Kaleri an der Station befestigt war, zur Erde zurückkehren. Kuipers wird auf dem Rückflug an Bord dieser Kapsel, mit der sein spanischer Kollege Pedro Duque im Rahmen der Mission „Cervantes" im Oktober 2003 zur ISS geflogen war, als Flugingenieur fungieren. Die Sojus-Kapsel TMA-4 hingegen, mit der das jetzige Trio zur Raumstation flog, bleibt für rund sechs Monate als Rettungsboot für die 'Expedition 9' an der ISS angedockt.

So harmonisch zur Zeit das Verhältnis der fünf Raumfahrer im Orbit auch sein mag – auf der guten alten Erde herrscht gleichzeitig zwischen der amerikanischen und der neuen "Russian Federal Space Agency" (frühere Rosaviakosmos RSA) ein spürbar gespanntes Verhältnis. Verantwortlich hierfür ist in erster Linie die NASA, die den russischen Vorschlägen, die Aufenthaltsdauer an Bord der ISS von sechs auf zwölf Monate auszudehnen, kürzlich eine klare Absage erteilte. „Wir glauben, dass dies der falsche Zeitpunkt für eine solche Maßnahme ist, da die Station sich gegenwärtig in eingeschränktem Betrieb befindet“, so die offizielle Nasa-Mitteilung.

Anfang April hatte Moskau durchblicken lassen, dass man die jeweiligen Aufenthalte der professionellen Raumflieger deshalb auf ein Jahr verlängern wolle, weil auf diese Weise zwischendurch auch zwei je 20 Millionen Dollar zahlende Weltraumtouristen die Station beehren könnten. Nach Auskunft der russischen Raumfahrtagentur könne man damit das Raumfahrtbudget, das durch den Ausfall der Shuttle-Flüge stark belastet sei, ein wenig aufbessern.

Defizitärer Raumfahrtetat

Fakt ist: Seit dem Absturz der US-Raumfähre „Columbia“ im Februar 2003 müssen alle bemannte Flüge zur ISS mit Sojus-Raketen durchgeführt werden, was für die russische Raumbehörde die bittere Konsequenz nach sich zog, dass alle lukrativen Touristenflüge ins All vorläufig ersatzlos eingestellt werden mussten. Die Folge: Um die „Taxi“-Missionen zur ISS aufrechtzuerhalten, die gegenwärtig ausschließlich mit den dreisitzigen russischen Sojus-Kapseln durchgeführt werden, musste Moskau seinen ohnehin chronisch defizitären Weltraum-Etat, der sich jährlich auf unter einer Milliarde Dollar beläuft (Nasa: jährlich 15 Milliarden Dollar), zwangsläufig aufstocken.

Astronaut Steven L. Smith bei Wartungsarbeiten am Hubble-Teleskop im Dezember 1999 (Bild: NASA)

Kein Wunder also, dass das amerikanisch-russische Verhältnis jetzt stark belastet wird und die Fronten verhärtet sind wie lange nicht mehr. Einerseits lehnen die Amerikaner die gewünschte Aufenthaltsverlängerung kategorisch ab, wie NASA-Vize Frederick D. Gregory verdeutlicht: „Wir wollen alle Diskussionen darüber bis zum Wiedereinsatz unserer Raumtransporter im kommenden März verschieben.“ Andererseits beharrt Russland auf die Durchsetzung seines Finanzierungsplans: „Bei der für Oktober geplanten Mission halten wir unbeugsam daran fest, dass sie für länger fliegt“, sagte der Leiter des Raketenbau-Konzerns Energija, Juri Semjonow. „Ich würde den Amerikanern raten, sich in dieser Frage nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen.“

Dass diese Entschlossenheit nicht von ungefähr kommt, hängt mit dem Zeitplan der Russen zusammen. Schließlich soll nach dem Willen der Raumfahrtagentur im April 2005 der New Yorker Greg Olsen für 20 Millionen Dollar zur Raumstation fliegen, was den Amerikanern, die bereits in der Vergangenheit bei den Weltraumtouristen Dennis Tito und Mark Shuttleworth nur eine widerwillige Zusage erteilten, keineswegs schmeckt.

MIR sei dank!

Andererseits erklärt sich das Spannungsverhältnis zwischen den USA und Russland auch durch die immer besser und enger werdende russisch-europäische Kooperation. So ist für das nächste Jahr eine Taxi-Mission mit zwei ESA-Astronauten zur ISS vorgesehen. Sollte dieser Plan wirklich umgesetzt werden, müsste die ESA an Russland pro Astronaut etwa 20 Millionen Dollar überweisen, wobei aber entgegen des aktuellen Zeitplans für den April 2005 ein US-Astronaut auf der Erde bleiben müsste. Dass die NASA hier mit ihrer Kritik ansetzt und kontert, dass es auf der Raumstation kein passendes Trainingsgerät gäbe, um die Auswirkungen von einem Jahr in der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Organismus wirksam bekämpfen zu können, war vorherzusehen.

Allerdings spricht vieles dafür, dass Russland aus diesem Streit eher gestärkt hervorgehen könnte. Schließlich starten und fliegen die ISS-Raumfahrer nicht nur mit russischen Equipment, sprich Trägerraketen und Sojus-Kapseln, mit denen die Nabelschnur zur ISS aufrechterhalten wird, sondern sie nutzen auch den russischen Weltraumbahnhof mitsamt Logistik und allen Trainingseinrichtungen und sonstigem Zubehör. Vor allem aber verfügt Moskau dank der MIR-Ära über beste Erfahrungen mit Langzeit-Aufenthalten im All. Immerhin kreiste die legendäre russische Raumstation „damals“ sage und schreibe 15 Jahre und einen Monat lang um die Erde, umrundete diese dabei genau 86.331-mal und legte eine Gesamtdistanz von 3,5 Milliarden Kilometern zurück. Summa summarum 104 Kosmonauten und Astronauten aus 12 verschiedenen Ländern lebten und arbeiten an Bord der MIR und führten insgesamt 23.000 wissenschaftliche Experimente durch. Gut für die ISS, dass es eine noch funktionierende russische Raumfahrt gibt.