Zugedröhnt von schöner Musik

Werner Pieper präsentiert Reefer Songs der 30er und 40er Jahre

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Früher vermuteten manche den Leibhaftigen in den Rillen von Schallplatten. Denn was hörte man, wenn man Lieder der Stones, von AC/DC oder Nena auf dem Plattenspieler rückwärts spielte? Keine Geräusche, nein, da kam die Anbetung des Bösen zu Tage. Doch wer auf solche Weise seine guten Schallplatten schlecht behandelte, übersah, dass der Teufel schon damals mit offenem Visier kämpfte. Die Musiker: ein einziges Drogenvolk. Die Lieder: Stille Anbetung von Rauschmitteln. Wem wir diese Erkenntnis zu verdanken haben? Werner Pieper, der mit seiner CD-Sammlung "Dope & Glory" einen Blick auf die Kiffer unter den Musikern wirft.

Cover "Dope & Glory"

Louis Armstrong soll einmal, so weiß es die Geschichte zu berichten, mit Richard Nixon, damals noch Kongressabgeordneter, auf einem gemeinsamen Flug nach Europa gewesen sein. Angekommen am Flughafen, bat Armstrong Nixon, ob dieser ihm nicht seine Trompete tragen könne. Schließlich sei er inzwischen ein alter Mann und könne nicht mehr sein ganzes Gepäck alleine wuchten. Nixon, ein großer Fan des großen Trompeters, war hocherfreut ob der Bitte, nahm das gute Stück und trug es, gänzlich unbehelligt mitsamt Armstrongs Dopevorrat, durch den Zoll. Werner Pieper erzählt diese Geschichte, von der es noch ein paar Variationen gibt (siehe z.B. hier) in seinen Liner Notes zu "Dope & Glory. Reefer Songs der 30er & 40er Jahre".

Sein Beweis: der Text von "A wonderful World", lautet der doch: "I see fields of grass / blue skies too / Richard Milhouse Nixon / I Love You". Nachprüfen lässt sich das nicht. Denn statt des Gassenhauers findet sich auf "Dope & Glory" Anderes von Armstrong. Doch die Lieder erzählen so oder so ausreichend über die Kiffer-Kultur, die sich in den Staaten während der Alkohol-Prohibition ausbreitete: Cab Calloway singt vom "Reefer Man", Die Harlem Famfats vom "Weed Smokers Dream", Tampa Red von "I¹m Gonna Get High" und Nat King Cole gibt "Hit that Jive Jack" zum Besten.

"Jive" ist in dem Kontext der eigentümlichste Begriff und bestes Beispiel dafür, wie der Sprachcode der Kiffer Eingang in den Musikjargon gefunden hat. Denn "Jive", Ausdruck für ein bestimmten Typus von Swing-Musik, konnte zugleich auch "Geschwätz" oder den sogenannten "Double Talk" bedeuten, jenen Typus von uneindeutig-eindeutiger Redeweise also, die sich im Halbdunkeln der "Hash-Parlours", der Kiffer-Cafes, breit machte. Und ganz direkt nannte man "Jive" auch das Gras, das man rauchte.

"Dope & Glory" ist mit vielen derartiger Geschichten, die sich in den Liner Notes finden, und den unzähligen Raritäten und Skurrilitäten in der Musikauswahl ein wunderbares Exemplar abseitiger Geschichtsschreibung, erzählt auf musikalische wie soziologische Weise von einem eindrücklichen Phänomen, an dem viele Großen des Jazz Anteil hatten: Duke Ellington, Count Basie, Billi Holiday, sie alle gehören in die Reihe großer Jazzkiffer. Und manch einer ist, nachdem Cannabis nach 1930 in den USA verboten wurde, mit dem Gesetz in Konflikt geraten: Armstrong musste wegen des Besitzes von Cannabis neun Tage in den Knast, sein Kollege Gene Krupa bekam ein paar Jahre später sogar 90 Tage aufgebrummt.

Vor dem Genuss von "Dope & Glory" ist also zu warnen. Wer den Leibhaftigen fürchtet, sollte deshalb beim Kauf wie beim späteren Hören stets Gebetbuch, Weihwasser oder nach Bedarf auch Knoblauch mit sich tragen.

Dope & Glory. Reefer Songs der 30er & 40 Jahre. Trikont