Zurück in die Zukunft
Zwei Videokunst-Retrospektiven in Bonn und Bremenzeigen den Besuchern die "Patina der elektronischen Bilder"
"Video is the window of yesterday. Video is the window of tomorrow. It snows in my video as it snows in my mind", steht auf der Wand des Bonner Kunstvereins neben der Arbeit von Shigeko Kubota. Das Zitat der japanisch-amerikanischen Videokünstlerin scheint das Thema von zwei Retrospektiven zu umschreiben, die zur Zeit in Deutschland zu sehen sind.
Rewind to the future, die in Bonn zu sehen war und seit dem15. Januar in einer stark abgespeckten Version auch im Neuen Berliner Kunstverein gezeigt wird, und die Retrospektive von Nam June Paik, die sein langjähriger Begleiter und Vermittler Wulf Herzogenrath in der Bremer Kunsthalle ausgerichtet hat, erlauben beide zusammen einen Rückblick auf eine Kunstgattung, die inzwischen Kennzeichen des Historischen trägt.
Während Video heute zum selbstverständlichen Bestandteil von Installationen und Performances geworden ist, scheint die Entwicklung von Kunst, die sich mit den Eigengesetzlichkeiten des Mediums Video befasst, weitgehend abgeschlossen zu sein und wird von Künstlerinnen wie Pipilotti Rist nur noch auf den neueste Stand der Technik gebracht, inhaltlich aber kaum noch weiter entwickelt. Die frühen Arbeiten, die jetzt in Bremen und Berlin zu sehen sind, erinnern auch an die utopischen und institutionskritischen Ambitionen, die sich mit Video in den 60er und 70er Jahren verbanden. Bedauerlich in diesem Zusammenhang übrigens, dass die Bonner Ausstellung den politischen Aspekt der frühen Arbeit mit Video weitgehend ausgeklammert hat und nur das zeigte, was als Kunst kanonisiert wurde.
Aber trotzdem: Zurück in die Zukunft des nicht mehr ganz so neuen Mediums. "Der Rückbild auf die Anfänge der Videokunst in den 70er Jahren fördert sogar eine "Patina der elektronischen Bilder" zutage", schreibt Kuratorin Petra Unnützer in ihrem Katalogbeitrag. "Es sind die Unschärfen, die nicht punktgenau trennbaren Unschärfen der analogen Bilder, die uns die Videopioniere der ersten und zweiten Generation geliefert haben. Farbschlieren, Verwischungen und mehrkörnig flirrende Bildstörungen sind heute auf dem Hintergrund unseres mit digitalen, Punkt für Punkt exakten Bildern angefüllten Alltag besondere ästhetische Qualitäten."
Eine Kunstgattung, die sich - wie Videokunst - mit ihrem eigenen Medium beschäftigt, läuft immer Gefahr, unaktuell oder sogar unverständlich zu werden, wenn das Medium sich verändert. Es dürfte interessant sein, mit einem Teenager die beiden Ausstellungen zu besuchen, um zu sehen, ob die gezeigten Arbeiten überhaupt noch für jemand nachvollziehbar sind, der mit Zugriff auf eine eigenen Videokamera und dem Fernsehen als ständigen und selbstverständlichen Begleiter aufgewachsen ist. Die Videos von Dara Birnbaum, die zu der Zeit ihrer Entstehung wahrscheinlich der Inbegriff slicker Aproppriation-Videokunst waren, wirken heute holprig und didaktisch, die alten Schwarz-Weiss-Videos von Dan Graham, Rainer Ruthenbeck oder Peter Campus gleichen Höhlenzeichnungen aus einer lang vergangenen Zeit. Gerade weil diese Filme und Installationen heute nur noch mit großem mediengeschichtlichen Wissen zu verstehen sind, würde man sich manchmal ausführlichere Erläuterungen neben den Arbeiten wünschen.
Ansonsten fährt die Ausstellung einen guten Überblick über "klassische" Videokunst auf. Nam June Paik, Ingo Günther, Klaus vom Bruch, Stan Douglas, Nan Hoover, Bruce Naumann, Bill Viola, Ulrike Rosenbach, Tony Oursler stehen für arriviertere Ansätze, die Gegenwart ist durch Romana Scheffknecht, Douglas Gordon oder Gillian Wearing vertreten, Pipilotti Rist fehlt übrigens. Beim Versuch, auch die aktuelle Entwicklung der Netzkunst einzubeziehen, übernimmt sich die Ausstellung. Die gezeigte Auswahl von Arbeiten von Jodi, Felix Stephan Huber/Philip Pocock, Marko Peljhan und Jordan Crandall orientiert sich zu stark an documenta-sanktionierten Künstler. Die gezeigten Werke sind nicht repräsentativ, und kranken außerdem an den bekannten Problemen bei der musealen Präsentation von Netzkunst: die vier Apple-Computer, die noch nicht mal permanent online sind, erscheinen als Ausstellungsobjekte interessanter als die auf ihnen gezeigten Websites.
Erstaunlich lebhaft wirkt die Präsentation von Nam June Paiks Arbeiten in Bremen. Das liegt daran, dass die Ausstellung sich vor allem auf Paiks Fluxus-Periode und auf die frühen Videoarbeiten konzentriert, die im Rückblick zum Teil eine fast punkige Aggressivität haben. Darum sind nur wenige der Großinstallationen von Paik zu sehen, mit denen er in den letzten beiden Jahrzehnten museale Würden errungen hat; das soll offenbar der großen Paik-Show vorbehalten bleiben, die im Frühjahr im New Yorker Guggenheim gezeigt wird. In Bremen gibt es dagegen auch viele kleine Multiples, Notizzettel, Briefe, Fotos von Performances und Aktionen. Auf einem Monitor läuft der Auftritt von Paik in "Bios Bahnhof", auf einem anderen ein halb rührendes, halb trauriges Video von Shigeko Kubota, das Paik nach einem Schlaganfall bei der Rehabilitation im Krankenhaus zeigt. Immer wieder versucht der alte Mann die Krankenschwestern und Gymnastinnen zu küssen, statt mit ihnen die verlernten Bewegungen zu üben.
Paik selbst war zu krank, um zur Eröffnung nach Deutschland zu reisen. Bei der Pressekonferenz war er per Satellit zugeschaltet, was an einen an eine der Verfehlungen der Ausstellung erinnert: die Videos von seinen drei weltweiten Satellitenperformances "Good Morning, Mr Orwell", "Wrap around the World" und "Bye bye Kipling" liegen zwar ordentlich in einem Schaukasten. Zu sehen bekommt man sie leider nicht, obwohl die Arbeiten Paiks mit dem Massenmedium Fernsehen wohl zu den unterschätztesten Aspekten seiner Arbeit gehört. Dafür liefert der 400 Seiten starke Katalog den ersten wirklich gründlichen Versuch, Paiks Lebenswerk umfassend aufzuarbeiten.
Paiks Arbeiten wirken durch ihren Humor und ihre gelegentliche Aggressivität auch heute noch frisch und lebendig; bei einigen der Arbeiten, die in Berlin zu sehen sind, senkt sich dagegen langsam Patina über das Werk. Wer nicht, wie Kuratorin Petra Unnützer, die "Farbschlieren und analogen Bildstörungen" der alten Analogvideos goutieren kann, wird manchen Arbeiten ein wenig indifferent gegenüberstehen. Es sind nicht nur die Probleme, die bei der Archivierung und Restaurierung von Videokunst entstehen, die dieses Genre langsam zum Museumsstück machen. Es ist auch die Selbstreferentialität des Genres, einst seine beste Eigenschaft, die die Videokunst zu einer historischen Angelegenheit werden lässt.
"Rewind to the Future" im Neuen Berliner Kunstverein, mit einer Veranstaltungsreihe
Nam June Paik: Fluxus/Video, Kunsthalle Bremen, bis zum 23. Januar 2000, Katalog 78 Mark