Zweierlei Iran

Vor den Wahlen: Partystimmung in Teheran, nervöse Mullah-Mafia, mutige Journalisten

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Noch sechs Tage zur Präsidentschaftswahl in Iran. Da die Jugend und die Frauen von den Kandidaten besonders umworben werden, Fußball eine wichtige Rolle im Land spielt, die iranische Mannschaft sich vor Tagen zur Weltmeisterschaft im kommenden Jahr qualifiziert hat und die Iraner feiern können, gleicht die Stimmung in der Teheran nach Augenzeugenberichten einer großen Party mit Technomusik und hippen, schicken, jungen Leuten.

Die heitere Stimmung, welche manche Wahlkampf-Kampagnen und das Fußballfest ausgelöst haben, mag die Knurrigkeit des Mullahregimes für einige Zeit überdecken, doch hat sich der absolute Machtanspruch der Führung um Chamenei, mit der nicht viel zu scherzen ist, auch in den letzten Tagen gezeigt. Die verwirrenden Nachrichten der letzten Woche um den Aufenthaltsort und das Wohlergehen von Akbar Gandschi, dem berühmten dissidenten Journalisten Irans, deuten darauf hin, wie groß die Nervosität der Machthaber ist kurz vor den Wahlen.

Vor allem der gefürchtete Teheraner Generalstaatsanwalt Saeed Mortazavi gilt als äußert rigider Vertreter des harten Kurses der Mullahkratie gegenüber missliebigen Journalisten; er soll, so werfen ihm Kritiker, immer wieder vor selbst an Folterungen von Journalisten anwesend oder gar beteiligt gewesen sein. Daher ließ sein Name im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verbleib von Akbar Gandschi nichts Gutes ahnen.

Der Journalist und die "rote Exzellenz"

Im Jahre 2001 wurde Akbar Gandschi zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Artikel veröffentlicht hatte, die hohe Staatsvertreter beschuldigten, dass sie ihre Hände bei der Ermordung Intellektueller und kritischer Autoren im Spiel hatten; es fielen prominente Namen, darunter Akbar Haschemi Rafsandschani, der auch bei dieser Wahl für das Präsidentenamt kandidiert und der Name des frühren Geheimdienstchefs Ali Fallahian. Aus medizinischen Gründen wurde dem Journalisten Gandschi jedoch Ende Mai ein mehrtägiger Hafturlaub gestattet, der jedoch letzte Woche überraschend von den Behörden unter Leitung von Mortazevi widerrufen wurde: Ein neuer Haftbefehl erging am Dienstag letzter Woche. Doch genau seit diesem Tag war Gandschi verschwunden und die Spekulationen über sein Schicksal erhitzten sich. Seine Frau vermutete, dass er in die Hände seiner Häscher gefallen war.

Jetzt meldete sich Gandschi mit einem Brief an die Öffentlichkeit zurück. Im Gegensatz zu dem, was die Behörden der Öffentlichkeit mitteilten, sei er weder auf der Flucht gewesen, noch habe er sich versteckt; er habe ganz einfach nichts von dem neuen Haftbefehl gewusst. Da er während seines Hafturlaubs mit Pressevertretern über seine kritischen Ansichten zum Regime und zu den Wahlen gesprochen habe, vermutet er, dass der neue Haftbefehl aus diesen Gründen ausgestellt wurde.

Gandschi hatte während seines Hafturlaubs keinen Hehl aus seiner Ansicht gemacht, die kommenden Wahlen würde dem höchsten Führer des Landes, Ayatollah Ali Chamenei nur dabei helfen, seine "persönliche Diktatur" zu legitimieren. Deutliche Worte und mutiges Aufdecken ist das Markenzeichen des führenden investigativen Journalisten in Iran, der mit einem Bestseller für Furore sorgte, in dem er für die Serie von Morden, denen im Herbst 1998 mehrere kritische Intellektuelle in Iran zum Opfer fielen, die Hintermänner aufdeckte. Zwar verschlüsselt, aber für jedermann leicht zu entlarven. Die "rote Exzellenz" stand für Ex- Staatspräsident Rafsandschani, den "Master Key" identifizierte die Öffentlichkeit als den ehemaligen Geheimdienstminister Ali Fallahian. Zwar musste damals der Geheimdienst zugeben, für die Morde verantwortlich zu sein, aber die Hintermänner blieben offiziell verschont. Trotz alledem war die Reputation von Rafsandschani beschädigt; einige erkennen in Gandschis Buch Dungeon of Ghosts sogar einen wichtigen Faktor, der zur Niederlage der Konservativen bei den Wahlen im Jahre 2000 geführt hat. Rafsandschani hat also einige Gründe, Gandschi nicht zu mögen.

"Von Bush bezahlter Spion, Zuhälter und Koksdealer"

Kein Anderer würde die Goldene Ära der Redefreiheit in Iran in den späten 90er Jahren mehr verkörpern als Akbar Gandschi, so Hossein Derakhshan. Dem könnte man beifügen, dass kein anderer die Renaissance der Redefreiheit von Iranern mit modernen Mitteln so verkörpert wie der bekannteste Vertreter der iranischen Blogosphäre selbst. Bis zum Jahr 2000 hat Derkhshan in Iran gelebt und dort als Journalist gearbeitet. Weil ihm das zu riskant wurde, ist er ins Exil nach Kanada gegangen. Jetzt will er für einen Kurzbesuch zurück in sein Heimatland, trotz der Risiken. Die anstehen Wahlen seien ein "kleines mögliches Fenster" für diesen Trip. Das Regime würde sich, so hofft er, vor den Wahlen toleranter geben als sonst, vor allem da es nicht klar sei, wer der nächste Präsident sein würde und wie das Regime mit dem Druck von innen und außen vorgehen wird. Er habe Sehnsucht nach seinem Land, schreibt er (und fürchtet gleichzeitig, dass er wegen seiner Blog-Einträge Schwierigkeiten bekommen könnte), aber es gebe noch einen anderen, wichtigen Grund, dort hinzufahren:

Der zweite Grund, weshalb ich dieses Risiko auf mich nehme ist, dass ich nur deshalb über einige Autorität zu iranischen Themen verfüge, weil ich mein ganzes Leben dort verbracht habe. Erst seit der zweiten Hälfte des Jahres 2000 lebe ich außerhalb (mein letzter Besuch datiert vom Sommer 2002). Wenn ich zulange weg wäre, müsste ich fürchten, dass ich den Kontakt zur Realität vor Ort verliere, was auf das abfärben würde, was ich denke und schreibe. Schließlich aber bin ich ein Blogger und (..) Sie haben ein Interesse daran, was ich über Iran schreibe, wie ich es sehe und beschreibe.

Hossein Derakhshan

Ganz sicher ist sich Derakhshan scheinbar jedoch nicht, was die Toleranz in Iran und seine Unversehrtheit angeht. Mit einer Mischung aus Ernst und Humor hat er jedenfalls für seine Leser eine Reihe von Verhaltensmaßnahmen gepostet, wie man gegen seine eventuelle Verhaftung am besten und wirkungsvollsten protestieren kann und: Dass sie sich vor allem nicht verwirren lassen sollten, wenn bestimmte Geständnisse in der Folge veröffentlicht werden sollten.

Unter Zwang könnte ich gestehen, dass ich auf der Gehaltsliste der Regierung Bush gestanden bin, um dabei zu helfen das Regime über die Ausbreitung von Weblogs zu unterminieren. Ich habe versucht die moralischen Werte der jungen Iraner durch die Verbreitung von westlicher Kultur und ihrer Werte zu schwächen; Ich bin Teil eines geheimen Netzwerks von israelischen und amerikanischen Spionen gewesen; ich habe große Geldsummen an iranische Dissidenten, Aktivisten, Blogger und Journalisten innerhalb Irans verteilt, so dass sie das Regime stürzen können.
Und Sie dürfen auch nicht erstaunt sein, wenn Sie hören, dass ich von meinem Apartment in Toronto aus ein virtuelles Bordell in Teheran betrieben habe; Ich habe in Iran mit Heroin gehandelt und mit Koks, außerdem habe ich mich im Geheimen mit Natalie Portman und Kyra Knightly getroffen und habe sogar ein uneheliches Kind mit Rachel Weitz.

Sean Penn investigativ in Iran

Auch Sean Penn hält sich im Auftrag des San Francisco Chronicles als Journalist in Iran auf; er soll über die Vorbereitungen zu den Wahlen berichten und die Stimmung im Land erfassen, weswegen er zunächst Moscheen besuchte, um den Freitagspredigen zu lauschen. Interessant ist, wie die iranische Blogger-Opposition den Besuch des linken Hollywood-Starreporters kommentiert:

Ich frage mich, wie Sean Penn die Dinge sieht. Wird er ehrlich darüber berichten, was er sieht? Oder wird er von seinem Hass auf George W.Bush in die Falle geführt, in die eine Menge guter Linker fallen: die islamische Republik zu verteidigen, um Bush eins zu versetzen. Die Progressiven in Amerika versagen dauernd darin, sich den Kräften anzuschließen, die für Demokratie in Iran sind, weil dies zu "Wolfowitzian" oder - schlimmer noch – zu "Rumsfeldisch" ist.

Afshin Molavi