Zweifel an der Natrium-Kalium-Pumpe sind nicht erlaubt

Betrug in den Biowissenschaften verhindert Paradigmenwechsel und versperrt neue Wege der Grundlagenforschung

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Es gibt einen nahezu unbekannten Paradigmenwechsel in den Biowissenschaften: Das zentrale molekularbiologische Modell der allgemein akzeptierten Membran-Pump-Theorie (MPT) - die Natrium-Kalium-Pumpe - wird in der alternativen Assoziations-Induktions-Hypothese (AIH) als Fehlinterpretation dargestellt. Mit Hilfe eines diskreten Betruges und des üblichen Begutachtungsverfahrens (Peer-Review-System) von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Forschungsanträgen hat das wissenschaftliche Establishment eine allgemeine Diskussion und Akzeptanz der AIH verhindert. Als Folge sind bedeutende Entdeckungen mehrerer Dekaden und Erfolg versprechende neue Wege der Grundlagenforschung weitgehend unbekannt.

Die wissenschaftliche Methode, Naturerscheinungen zu erforschen, kann folgendermaßen skizziert werden: Aus der Beobachtung bestimmter Phänomene werden zunächst theoretische Modelle abgeleitet, die diese Phänomene in logischer Weise erklären. Die Modelle werden dann getestet, indem man versucht, theoretische Voraussagen, die sich aus diesen Modellen ergeben, durch geeignete Experimente zu verifizieren. Erst wenn die theoretischen Voraussagen eines Modells mit allen Beobachtungen lückenlos übereinstimmen, kann man annehmen, dass ein Phänomen wissenschaftlich verstanden ist. Obwohl also den meisten Forschungsrichtungen ein Paradigma beziehungsweise ein hypothetisches Modell zugrunde liegt, ist den Forschenden normalerweise nicht bewusst, dass das Modell auch falsch sein könnte.

Die meisten Forschungsergebnisse sind neue Beobachtungen, die im Rahmen eines existierenden Paradigmas plausibel erklärt werden. Eine Plausibilitätsbetrachtung bedeutet meist noch keinen Erkenntnisfortschritt. Trotzdem werden die neuen Beobachtungen nicht dazu benutzt, das zugrunde liegende Paradigma zu testen, da die Forschenden von dessen grundsätzlicher Richtigkeit überzeugt sind. Deshalb werden auch Interpretationen, die sich aus einem alternativen neuen Paradigma ergeben, nicht in Erwägung gezogen und das neue Paradigma wird ohne Überprüfung a priori abgelehnt. Die Überwertigkeit eines existierenden Paradigmas verhindert damit eine kritische Auseinandersetzung mit neuen Ideen, die zur Lösung komplexer Probleme hilfreich sein könnten.

Forschung und Erkenntnisfortschritt

Lehrbücher der Biowissenschaften beschreiben Grundfunktionen lebender Zellen mit Hilfe der sog. Membran-Pump-Theorie (MPT). Dies ist ein logisches Konstrukt, das sich aus Versuchsergebnissen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ergeben hat. Danach muss angenommen werden, dass zelluläres Wasser - der Hauptbestandteil lebender Zellen - überwiegend normales freies Wasser ist, in dem Kalium-Ionen - die Hauptkationen lebender Zellen - frei gelöst sind. Natrium-Kalium-Pumpen in der Zellmembran sorgen dafür, dass Natrium-Ionen aktiv (unter Energieverbrauch) gegen einen elektrochemischen Gradienten aus der Zelle gepumpt werden. und dass gleichzeitig Kalium-Ionen aktiv ins Zellinnere transportiert werden.

Ein andauernder aktiver Transport ist nötig, da die Zellmembran offen ist für eine ständige Bewegung der Ionen zum Ort niedriger Konzentration. Mit diesem Modell wird die beobachtete asymmetrische Verteilung chemisch ähnlicher Ionen zwischen Zelle (viel Kalium, wenig Natrium) und umgebendem Medium (viel Natrium, wenig Kalium) erklärt.

Die Existenz von Natrium-Kalium-Pumpen in der äußeren Membran lebender Zellen muss heute als das zentrale Dogma der Biowissenschaften angesehen werden. Zelluläre Strukturprinzipien und Grundfunktionen wie z.B. Zellvolumen-Regulation, Modulation elektrischer Potentiale und Stofftransport können nach der MPT nicht ohne diese Pumpen verstanden werden.

Weitgehend unbekannt ist die Tatsache, dass neben der MPT eine alternative Theorie - die Assoziations-Induktions-Hypothese (AIH) - existiert, die Grundfunktionen lebender Zellen ohne die Annahme von Natrium-Kalium-Pumpen erklärt. Die Notwendigkeit einer alternativen Sichtweise ergab sich aus dem Befund, dass bei definierten Versuchsbedingungen nicht genügend Energie von lebenden Zellen bereitgestellt wird, um die gemessene Pumpleistung zu erklären. Aus thermodynamischen Gründen kann es keine Pumpe geben. Diese Schlussfolgerung wurde bis heute nicht widerlegt.

Alternative Paradigmen in den Biowissenschaften: Streitpunkt Natrium-Kalium-Pumpe

Der grundsätzliche Unterschied zwischen der MPT und der von Ling - dem Erfinder der Mikroelektrode - entwickelten AIH besteht in den unterschiedlichen Interpretationen zellulärer Phänomene. Während man in der MPT physiologische Erscheinungen durch Membraneigenschaften erklärt, werden in der AIH physiologische Funktionen auf molekulare Wechselwirkungen zwischen den Hauptbestandteilen der ganzen Zelle, nämlich zwischen Proteinen und Wasser einerseits und freien Ionen andererseits zurückgeführt. Die lebende Zelle wird als kohärentes, dynamisches Protein-Wasser-Ionen System hoher Ordnung angesehen.

Nach dieser Theorie ist zelluläres Wasser nicht wie in der MPT freies Wasser sondern Wasser, das durch Wechselwirkung mit zellulären Makromolekülen in seiner Struktur verändert ist. Es wird postuliert, dass die polaren Wassermoleküle durch Ladungsverteilungen bestimmter zellulärer Proteine derart dynamisch geordnet werden, dass dieses Wasser andere Lösungseigenschaften für Natrium-Ionen und viele andere Stoffe besitzt als normales freies Wasser.

Weiterhin wird postuliert, dass freie Ionen an freien Ladungen zellulärer Proteine selektiv angelagert werden können (Assoziation), wobei aus theoretischen Gründen Kalium-Ionen normalerweise gegenüber Natrium-Ionen bevorzugt werden. Dynamische Veränderungen induktiv vernetzter zellulärer Proteine (Induktion) können lokale Veränderungen von Wasserstruktur und selektiver Ionen-Assoziation bewirken. Basierend auf diesen Postulaten wurden theoretische Gleichungen mit physikalisch definierten Parametern zur Beschreibung des Stofftransports, der asymmetrischen Ionenverteilung, der Zellvolumen-Regulation und elektrischer Potentiale abgeleitet, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts experimentell verifiziert werden konnten.

Wie bereits erwähnt, ist die AIH weitgehend unbekannt - trotz der Tatsache, dass sie im Gegensatz zur MPT eine einheitliche Beschreibung zellulärer Grundfunktionen liefert und trotz der Tatsache, dass bedeutende Experimente Grundannahmen der MPT eindeutig widerlegt und gleichzeitig Voraussagen der AIH präzise bestätigt haben. Bei einem solchen Sachverhalt fragt natürlich jeder Außenstehende nach den Gründen für die Nicht-Akzeptanz der AIH. Sind etwa die Ansichten und Befunde der AIH Anhänger so abwegig, dass es nicht lohnt eine neue Sichtweise und damit neue Forschungsrichtungen in Erwägung zu ziehen (Die Wissenschaft und die Verwerfungen der Massenpsychologie)?

Nach der Logik der MPT muss die AIH abgelehnt werden, da sie die bewiesene Existenz der Natrium-Kalium-Pumpe leugnet. Der Existenzbeweis wird wie folgt geführt: Die Aktivität eines Enzyms (Na/K ATPase) kann mit einem Gift (Ouabain) gehemmt werden. Das Enzym findet man in der Zellmembran. Bringt man lebende Zellen in Kontakt mit Ouabain, beobachtet man einen Ausgleich der unterschiedlichen Kalium- und Natrium-Konzentrationen auf beiden Seiten der Zellmembran. Der aktive Transport von Kalium und Natrium wird offensichtlich durch Ouabain gehemmt. Also ist das Enzym die Pumpe und ihre Existenz kann mit dem Gift nachgewiesen werden. Daraus folgt, dass jede Theorie, die die Pumpe leugnet, falsch sein muss.

Die alternative Erklärung der Befunde als Folge von Strukturänderungen zellulärer Proteine durch die Wirkung von Ouabain wurde a priori abgelehnt. Nach der "Entdeckung" der Pumpe (für die sehr viel später ein Nobelpreis verliehen wurde) hat unser Wissenschaftssystem mit einem diskreten Betrugsverfahren jede allgemeine Diskussion einer alternativen Interpretation der beschriebenen Experimente und allgemein der biologischen Grundfunktionen im Keim erstickt. Dieses Betrugsverfahren wird im folgenden dargestellt.

Der diskrete Betrug und seine Folgen

Nach Charles Babbage (Reflections on the Decline of Science in England, first edition1830, London) gibt es drei Arten von wissenschaftlichem Betrug:

  1. Trimming: Nivellieren von Unregelmäßigkeiten
  2. Cooking: Zitieren der Ergebnisse, die zu einer Theorie passen, Weglassen der Ergebnisse, die der Theorie widersprechen
  3. Forging: Erfinden aller Forschungsergebnisse

Während Trimming und Forging - wenn sie denn nachgewiesen sind - von jedermann als Betrug identifiziert und als unmoralisch angesehen werden gilt dies nicht für Cooking. Im Gegenteil, diese Betrugsform wird allgemein als legitimes Mittel zur Durchsetzung favorisierter Meinungen eingesetzt. Bei der Komplexität biologischer Fragestellungen und der zunehmenden Daten- und Literaturexplosion ist praktisch jeder Wissenschaftler auf Zusammenfassungen, Übersichtsartikel (Reviews) und Lehrbücher angewiesen, um sich in ein Spezialgebiet einzuarbeiten.

Die Reviews, deren Inhalt sich dann in kondensierter Form in Lehrbüchern wieder findet, sind aber nun so angelegt, dass bei Zugrundelegung allgemein akzeptierter Theorien ein möglichst einheitliches Bild ohne Widersprüche dargestellt wird. D.h. die Autoren (Wissenschaftler!) verschweigen bewusst alle Befunde, die im Widerspruch zu akzeptierten "Grundwahrheiten" stehen, weisen bestenfalls auf periphere Probleme hin, die noch gelöst werden müssen. Sie verschweigen aber, dass diese Befunde bei einer anderen Sichtweise wissenschaftlich im Sinne des eingangs definierten Kriteriums verstanden werden können.

Fälschen durch Weglassen

Beispielsweise würde bei einem - angenommen allgemein akzeptierten - geozentrischen Weltbild alle Gründe in einem Review aufgeführt, die belegen, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums steht, Epizyklen bestimmter Planeten würden entweder überhaupt nicht oder bestenfalls als Randprobleme erwähnt. Ein von einer (bekannten) Minderheit favorisiertes heliozentrisches Weltbild, das diese Epizyklen zwanglos erklärt, würde in diesem Review nicht vorkommen. Nach Babbage würde hier ein offensichtlicher Betrug vorliegen.

Ziehen wir eine Parallele zur oben erwähnten Frage nach der Existenz der Natrium-Kalium-Pumpe. Man findet in der Literatur umfangreiche Review-Artikel über diese Pumpe, in denen an keiner Stelle darauf hingewiesen wird, dass das Energie-Problem nicht gelöst ist und dass Phänomene, die der Aktion der Pumpe zugewiesen werden, nicht nur ohne die Annahme einer Energie verbrauchenden Pumpe erklärt sondern von der AIH direkt vorausgesagt werden können.

Experimentelle Ergebnisse, die Zweifel an der Richtigkeit der MPT aufkommen lassen könnten, werden nicht nur in vielen Reviews, sondern auch in ausführlichen Lehrbüchern der Zellbiologie weggelassen. Ein typisches Beispiel soll erwähnt werden: Zu Beginn des letzten Jahrhunderts waren viele Wissenschaftler der Ansicht, dass das zelluläre Kalium an bestimmte Proteine gebunden ist. Man hat während mehrerer Dekaden mit unterschiedlichen Methoden versucht, eine Kaliumnindung an zellulären Strukturen des quergestreiften Muskels und ebenso an isolierten Proteinen nachzuweisen. Mit keiner Methode konnte diese Vermutung bestätigt werden. Diese negativen Befunde und Überlegungen zum osmotischen Verhalten von Muskelzellen führten zum Schluss, dass Kalium frei gelöst im freien zellulären Wasser vorliegt.

Dieser zur damaligen Zeit berechtigte Schluss eines Nobelpreis-Trägers muss als wesentliche Voraussetzung zum Postulat und zur allgemeinen Akzeptanz der Natrium-Kalium-Pumpe angesehen werden. Stimuliert durch Voraussagen der AIH wurden mehrere Jahrzehnte später neue Kryomethoden für die Elektronenmikroskopie entwickelt, mit denen es gelang, eine schwache Bindung von Kalium an bestimmten Muskelproteinen nachzuweisen. Bemerkenswert sind diese Befunde aus mehreren Gründen:

  1. Sie zeigen, dass Proteine der lebenden Zelle andere Eigenschaften besitzen als die gleichen Proteine die aus den Zellen biochemisch herausgelöst und isoliert untersucht werden.
  2. Sie bestätigen postulierte Voraussagen der AIH, die Wechselwirkungen zwischen zellulären Proteinen und Ionen und zwischen Proteinen und Wasser betreffen.
  3. Es kann mit Sicherheit angenommen werden, dass bei Kenntnis dieser Befunde eine Natrium-Kalium-Pumpe nie postuliert worden wäre.

Leider finden die Befunde in heutigen Lehrbüchern keinerlei Beachtung.

Man könnte nun argumentieren, dass trotz dieses Sachverhalts einige Wissenschaftler an der Kontroverse zwischen MPT und AIH zunehmend Interesse zeigen sollten, da Informationen durchaus zugänglich sind. Wenn man aber die Dynamik und das Netzwerk unseres Wissenschaftssystems kennt, kann man keinen schnellen "Sinneswandel" erwarten. Zum einen ist ein Bezug der Kontroverse zu eigenen Forschungsprojekten meist nicht direkt ersichtlich, zum anderen werden Querdenker effektiv von unserem repressiven Wissenschaftssystem ausgeschlossen.

Querdenker haben in unserem heutigen Wissenschaftssystem keine Chance

Die Zwänge denen ein Wissenschaftler ausgesetzt ist, sind bekannt. Das Leitmotiv ist "Publish or Perish". Veröffentlichungen in renommierten Zeitschriften mit hohem "Impact Faktor" sind entscheidend für Geldeinwerbung und Karriere. Gutachter (Experten genannt "Peers") entscheiden über Annahme und Ablehnung von Forschungsgeldern und Publikationen. Fehlentscheidungen der anonymen Peers sind juristisch nicht korrigierbar. Die Einführung einer Kontrollinstanz ("Peer-Review-System") in die Wissenschaft ist durchaus sinnvoll, wenn es darum geht, ein wohl definiertes Problem effektiv zu bearbeiten. In der praktizierten Form ist das Peer-Review-System aber völlig ungeeignet, revolutionäre neue Ideen gerecht zu beurteilen (Don Braben: The repressive regime of peer-review bureaucracy? Physics World, November 1996, pp13-14).

Da ohnehin nur ein Bruchteil der Forschungsanträge Aussicht auf Erfolg hat, ist ein Antragsteller auf Strategien angewiesen, die etwa so aussehen:

  1. Das zu untersuchende Problem sollte im allgemeinen Trend liegen, d.h. Arbeiten der neuesten Zitierkartelle - die Zeitschriften mit hohem Impact Faktor entnommen werden können - müssen als Grundlage dienen.
  2. Der Antrag sollte so abgefasst werden, dass die Ansichten der möglichen Gutachter nicht in Frage gestellt werden.
  3. Es sollte unbedingt vermieden werden, etablierte Lehrmeinungen die z.B. durch Nobelpreise als unumstößliche Wahrheiten festgeschrieben worden sind anzuzweifeln, da sonst eine mehrheitliche Akzeptanz des vorgetragenen Problems durch das Gutachtergremium nicht zu erwarten ist.

Dieses opportunistische Vorgehen widerspricht zwar den ethischen Grundregeln wissenschaftlicher Wahrheitsfindung, entspricht aber genau den Empfehlungen von Geld-gebenden Instituten (National Institute of Health, USA: ".... the author of a project proposal must learn all he can about those who will read his proposal and keep those readers constantly in mind as he writes...").

Die Folgen eines angepassten Verhaltens liegen auf der Hand: In letzter Konsequenz ist das Peer-Review-System mit seinen Spielregeln erfolgreicher bei der Abwehr genialer Ideen und revolutionärer Neuerungen als die Kirche des Mittelalters im Kampf gegen unpassende Ansichten.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass der offensichtlich legalisierte Cooking Betrug und die Zwänge unseres Wissenschaftssystems eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der AIH während der letzten 40 Jahre weitgehend verhindert haben.

Neue Wege der Grundlagenforschung

Mit der Unterdrückung der AIH und seiner berechtigten Kritik der MPT schadet sich die Wissenschaft selbst, da Erfolg versprechende neue Wege der Grundlagenforschung versperrt sind. Die Situation kann treffend mit folgendem bekannten Witz beschrieben werden:

Ein Mann sucht seinen verlorenen Schlüssel im Schein einer Laterne. Auf die Frage ob er den Schlüssel hier verloren hat antwortet er: "Ich weiß es nicht, aber hier ist das Licht."

Besessen von der überwertigen Idee, dass die Lösung eines wissenschaftlichen Problems (Schlüssel) im Rahmen des akzeptierten Paradigmas (Laterne) zu finden ist, wird ein alternatives Paradigma nicht in Erwägung gezogen.

Konträre Paradigmen sind dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedliche Problemlösungen angeboten werden. Somit eröffnet ein Paradigmenstreit die Möglichkeit, durch neue Forschungsrichtungen die alternativen Ansprüche experimentell zu verifizieren oder zu falsifizieren. Am Beispiel des oben diskutierten Problems der asymmetrischen Verteilung von Kalium und Natrium zwischen Zelle und umgebenden Medium sollen unterschiedliche Lösungsansätze und Tests von MPT und AIH erwähnt werden:

Nach der MPT sorgt eine Ionenpumpe in der Zellmembran dafür, dass die beobachteten unterschiedlichen Konzentrationen der Ionen auf beiden Seiten der Membran konstant gehalten werden. Aus diesem Postulat folgen Forschungsrichtungen, die folgende Fragen beantworten sollen: Kann das beobachtete Phänomen an isolierten Membransystemen und an Modellmembranen nachgewiesen werden? Mit welchen molekularen Mechanismen arbeitet die postulierte Pumpe?

Nach der AIH sind 2 Mechanismen für das beobachtete Phänomen verantwortlich: Zelluläre Proteine lagern bevorzugt Kalium-Ionen an, falls ihre lebensspezifische Struktur nicht gestört ist wie z.B. nach biochemischer Isolation. Natrium-Ionen haben eine geringe Löslichkeit im zellulären Wasser und werden deshalb von der Zelle partiell ausgeschlossen. Nach diesen Postulaten folgen Forschungsrichtungen, die folgende Fragen beantworten sollen: Kann das Phänomen mit geeigneten Methoden nachgewiesen werden? Welche Struktur zellulärer Proteine ist verantwortlich für die Fähigkeit, Ionen selektiv anzulagern? Welche Wasserstruktur ist verantwortlich für die geringe Löslichkeit von Natrium? Kann das Phänomen an Modellsystemen untersucht werden?

Die Forschungsergebnisse, die sich auf die oben erwähnten essentiellen Fragen der MPT beziehen, müssen bestenfalls mit ungenügend beurteilt werden. Ein Netto-Transport von Kalium oder Natrium gegen einen elektrochemischen Gradienten konnte trotz jahrelanger Anstrengungen weder an künstlichen Membranen noch an isolierten Zellmembranen nachgewiesen werden und der molekulare Mechanismus des gerichteten aktiven Transports ist ungeklärt. Im Gegensatz dazu konnten die von der AIH postulierten Mechanismen mit mehreren unabhängigen Methoden, u.a. an aufgeschnittenen Muskelzellen (ohne funktionierende Zellmembran) und im Fall der Wasser-Problematik auch an Modellsystemen bestätigt werden.

Nach dem heutigen Stand der experimentellen Verifikation der AIH muss gefolgert werden, dass ein wirkliches Verständnis zellspezifischer physikalischer und biochemischer Vorgänge nur möglich ist, wenn die Strukturen zellulärer Proteine in der lebenden Zelle und deren molekularen Wechselwirkungen mit anderen Proteinen, Makromolekülen, mit Wasser und mit Ionen wirklich aufgeklärt sind. Daraus ergibt sich die Forderung, dass zerstörungsfreie Methoden ausgesucht und entwickelt werden müssen, die erlauben, Unterschiede in Struktur und Eigenschaften zwischen isolierten Proteinsystemen und Systemen in der lebenden Zelle festzustellen. Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf der Erforschung des zellulären Wassers liegen bei gleichzeitigen vergleichenden Untersuchungen geeigneter wässriger Modellsysteme.

Es muss betont werden, dass nicht nur neue Untersuchungsmethoden wünschenswert sind. Vielmehr sollten zum wirklichen Verständnis unzähliger alter und neuer Forschungsergebnisse alternative Interpretationen konsequent geprüft werden. Bedauerlicherweise ist bei den Spielregeln unseres Wissenschaftssystems eine öffentliche Förderung der vorgeschlagenen Grundlagenforschung solange nicht zu erwarten, solange der tief im Unterbewusstsein verankerte Glaube an die Natrium-Kalium-Pumpe nicht erschüttert ist.

Eine detaillierte Beschreibung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen MPT und AIH findet man in dem Buch Life at the Cell and Below-Cell Level. The Hidden History of a Fundamental Revolution in Biology von G.N. Ling, Pacific Press, New York, 2001. Eine grundsätzliche Kritik der MPT und die leicht verständliche Darstellung ungelöster Probleme und einer Reihe von Lösungsvorschlägen, die der AIH entnommen sind, findet man in dem Buch Cells, Gels and the Engines of Life; a New, Unifying Approach to Cell Function von G.H.Pollack, Ebner and Sons Publishers, Seattle, Washington, 2001. Eine deutsche Beschreibung der Kontroverse wurde in Telepolis bereits veröffentlicht: Die Wissenschaft und die Verwerfungen der Massenpsychologie.