Zwischen Hammer und Amboss

Der Irak im Würgegriff von USA und Iran

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Vor fünf Jahren haben die Amerikaner mit Hilfe ihrer Verbündeten Saddams Regime zu Fall gebracht. Der Irak sollte zum Paradebeispiel eines demokratischen Nahen Ostens werden. Es ist jedoch anders gekommen. Die jüngsten schicksalsbestimmenden Ereignisse im Nahen Osten stehen dem US-Projekt eines demokratischen „Großen Nahen Osten“ diametral entgegen. Zu der Kompliziertheit und Rätselhaftigkeit der „Geheimen Gärten“ des Nahen Ostens gehört auch die Ironie, dass aus dem regionalen Erzfeind, Saddams Irak, die wichtigste Einflusssphäre der Islamischen Republik Iran geworden ist, ohne dass die Mullahs einen einzigen Schuss abfeuern mussten. Nun stehen sich zwei große rivalisierende externe Mächte im Irak gegenüber und tragen ihre Feindschaft auf den Boden Mesopotamiens aus: die Supermacht USA und die Regionalmacht Iran.

Der lange Arm Irans im Irak

Es existiert eine enge konfessionelle Bindung zwischen Irak und Iran, deren schiitischer Bevölkerungsanteil bei 60 % bzw. 90 % liegt. Obschon das politische System der Post-Saddam-Ära im Irak nicht wie im Gottesstaat Iran durch die allgegenwärtige Dominanz der Schiiten gekennzeichnet ist, sind doch die hohen schiitischen Geistlichen richtungweisend für die Gesellschaft und Politik im Irak.

Qom, die heilige schiitische Stadt im Iran, drängte die Stadt Nadschaf im Irak, in der der Imam Ali begraben liegt, als schiitisches Zentrum, bedingt durch die Unterdrückung und Eliminierung zahlreicher schiitischer Kleriker seitens des Baath-Regimes, in den Hintergrund.

Nahezu 24 Jahre lang suchten irakische Gelehrte Zuflucht im Iran. Die Früchte des warmherzigen Empfangs durch Teheran sollten sich zweieinhalb Dekaden später auszahlen. Der Großayatollah Mohammad Baqir al-Hakim gründete unter der Obhut Khomeinis in Teheran den SCIRI (Oberster Rat für die Islamische Revolution im Irak). Aus den irakischen Kriegsgefangenen im Iran-Irak-Krieg (1980-88) bildete er die Badr-Brigade, die von seinem Bruder Abdelaziz Hakim befehligt wird. SCIRI gilt als großer Verbündeter Irans. Seinem Führungsgremium gehören zwei hochrangige iranische Geistliche, Ayatollah Tashkiri und Ayatollah Hashemi Sharoudi, der Leiter der iranischen Justiz, an.

Auch die älteste schiitische Partei, Hizb al-Da´wa (Partei des Aufrufs), hat einen guten Draht zu Teheran, wenngleich nicht so ausgeprägt wie SCIRI. Die meisten irakischen Spitzenpolitiker, das gilt auch für Iraks Präsident, den Kurden Dschalal Talebani, genossen ebenfalls jahrelang das großzügige iranische Exil.

SCIRI und Hizb al-Da´wa verkörpern die mächtigsten Kräfte im Irak. Der junge schiitische Geistliche Muqtada as-Sadr, Sohn von Großayatollah Mohammad Sadeq as-Sadr und Neffe des bis heute noch in der schiitischen Welt populären Mohammad Baqir as-Sadr, beide auf Befehl Saddam Husseins ermordet, ist ein enger Vertrauter des konservativ-islamistischen klerikalen Lagers im Iran. Sadrs Popularität und Glaubwürdigkeit nährt sich aus seiner religös hochwürdigen Verwandschaft. Er ist heute unbestritten eine der wichtigsten Figuren im Irak. Seine ca. 60.000 Mann starke Mahdi-Miliz (Jaisch al-Mahdi) wird ebenfalls vom Iran mit Geld und Waffen unterstützt. Sadr führt die einzig reale schiitische Massenbewegung im Irak. Das Ganze bildet die Grundlage des starken Einflusses Irans in seinem Nachbarland.

Was im Irak im April 2003 geschah, hatte in Wahrheit mit Demokratisierungsbestrebungen wenig zu tun. Die Besetzung des Landes zerstörte nicht nur Saddam Hussein und sein Regime, sie vernichtete auch die staatlichen Institutionen, an deren Stelle die Führung des Staates in die Hände der verschiedenen ethno-religiosen Gruppen, die arabischen Sunniten weitgehend ausgenommen, fiel. Das ist die Grundlage für das Abdriften des Landes an den Rand eines Bürgerkrieges.

Irak, das Land der mörderischen Banden und Milizen

Die irakische Regierung ist sicher eine gescheiterte Regierung, denn sie kann ohne externen Beistand keineswegs die ohnehin extrem gefährdete Sicherheit der Bürger garantieren. Denn in diesem Land wimmelt es von zahlreichen befreundeten und rivalisierenden bewaffneten Banden, die die eigentliche Kontrolleure der Städte sind.

Die Jaish al-Mahdi Muqtada as-Sadrs patrouilliert regelmäßig in schiitischen Hochburgen wie Nadschaf, Basra und Sadr-City, ein Baghdader Stadtteil, in dem etwa 2 Mio. zumeist verarmten Schiiten leben. Sie agiert nach ihrem Vorbild, der iranischen Sittenpolizei Ansar-e Hizbollah. Überläufer der al-Quds-Brigade, die Auslandsabteilung der iranischen Revolutionswächter, berichten über unzählige iranische Agenten dieser Truppe im Irak. Iranische Offizielle machen kein Hehl daraus, dass zwischen Teheran und Muqtada as-Sadr enge Verbindungen bestehen.

Doch zumindest Teile der Mahdi-Miliz und einige andere krimminellen Banden haben die Gebiete, die unter ihrer Kontrolle stehen, in Angst versetzt, weil sie die Ausbreitung des Verbrechens begünstigen. As-Sadr und andere Milizenführer haben vor allem die irakisch-schiitische Hochburg Basra in eine Desperado-Stadt verwandelt, in die nicht einmal Heilige einen Fuß setzen könnten, ohne ihre Miliz dabei zu haben oder getötet zu werden. Etwa 18 bis an die Zähne bewaffnete Milizen sollen die „Stadt ohne Sheriff“ regieren. Diese Banditen begehen Entführungen, Morde und Plünderungen. Besonders sind Frauen Opfer in diesen Gegenden, die inoffiziell von den schiitischen Milizen beherrscht werden, denen wegen unislamischer Sitten (keine Verschleierung oder außereheliche Beziehungen) der gewaltsame Tod droht.

Die Milizen und Banden haben Beziehungen zur Polizei, ein unseliges Erbe der britischen Besatzungspolitik, die Teile der Milizen in die Polizei integrierte, die dann als Staatsangestellte aufeinander losgingen. In Basra, worauf die Blicke der irakischen Gruppen und Parteien wegen ihres Ölreichtums gerichtet sind, war die Polizei mit Anhängern der Fazilat-Partei und Sadrs Kräften besetzt. Die Fazilat-Partei, eine Abspaltung von Sadrs Fraktion, stellt den Öl-Minister und kontolliert in Basra Teile der Marine-Einrichtungen. Die Mahdi-Miliz kontrolliert den Zoll und Hafeneinrichtungen. Die Armeeeinheiten stehen unter Kontrolle der Badr-Brigade. „Wenn wir tatsächlich Sicherheit in die Stadt bringen wollen, müssen wir eine gründliche Säuberung der Polizei und der Sicherheitskräfte durchführen“, so ein irakischer General im Innenministerium. Man habe keine Kontrolle über die Stadt und die Milizen seien jederzeit in der Lage, die Stadt unter ihre Gewalt zu bringen.

Das Scheitern der irakischen Regierung

Ministerpräsident Nuri al-Maliki war entschlossen, diesem Chaos und den Verbrechen, die im Übrigen unter der Präsenz von 170.000 US-Soldaten geschehen, ein Ende zu bereiten. Der Ministerpräsident ging am 25 März in die Offensive gegen die Schlagader der größten schiitischen Miliz im Irak, die Stadt Basra. In einem sechstägigen verlustreichen Gefecht konnten die Regierungstruppen die Jaisch al-Mahdi nicht besiegen. Zum Verdruß Malikis desertierten Hunderte kämpfende Soldaten aus der Armee. Bagdad musste Teheran um Hilfe bieten. Zu diesem Zweck kam es zu einem Treffen zwischen Präsident Talebani und dem Kommandeur der al-Quds-Brigade, Brigadegeneral Ghasem Solaimani. Die al-Quds-Brigade steht auf der Terroristenliste der USA. Inzwischen waren die Kämpfe auch in Sadr-City heftig aufgeflammt, wo die irakische Regierung die Unterstützung der US-Luftwaffe und Soldaten hatte. Anfang April schickte Maliki drei Gesandten nach Qom, Irans schiitische Hochburg, um mit dem iranischen Hauptvermittler, General Ghasem Solaimani, eine Einigung zu erzielen. Die Vermutung, dass Sadr sich im Iran aufhalte, hatte Bagdad darin bestärkt, dass Teheran einen großen Einfluss auf ihn habe. Zwei der Gesandten (Hadi Ameri und Ali Adib) besaßen sowohl die irakische wie die iranische Staatsbürgerschaft. Ein Einigung wurde tatsächlich erzielt und unterzeichnet.

Gewinner und Verlierer

Der Iran spielt tatsächlich eine Vermittlungsrolle zwischen den irakischen Konfliktparteien und sorgt für eine temporäre Entspannung. Er ist zugleich Verursacher der Unruhen, denn zumindest Teile des Regimes in Teheran sind daran interessiert, Amerikaner im Irak zu beschäftigen bzw. die Kontrolle des Iraks durch sie zu verhindern. Die Al-Quds-Brigade und dessen Kommandeur, Brigadegeneral Ghasem Solaimani, sind feste Größen im Irak. Die extrem USA-feindlichen militanten Kräfte im Iran attackieren gerne US-Interessen. An diese Adresse richtete sich die jüngste Äußerung von Ex-Präsident Mohammad Khatami, die im Iran, aber auch international für sehr viel Wirbel sorgte: „Mit dem Export der Revolution beabsichtigte Ayatollah Khomeini nicht, dass wir Waffen in die Hand nehmen, in anderen Staaten Bomben legen und Gruppen organisieren, die in anderen Ländern Unruhe stiften.“ Einige befreundete irakische und libanesische Führer sollen sich mehrmals bei ihm über iranische Einmischungen in ihren Ländern beschwert haben.

Zweifellos stehen Malikis Regierung und die Vereinigten Staaten auf der Verliererseite. Präsident Bush hatte Maliki für seinen Angriff grünes Licht gegeben und Malikis Vorstoß als „mutige Entscheidung“ bezeichnet. Es sei „ein Schicksal bestimmender Moment in der Geschichte des freien Iraks“, so der US-Präsident. Bushs nationaler Sicherheitsberater Stephan Hadley hatte von einer gemeinsamen Entscheidung gesprochen. Die irakische Zentralregierung und ihre Verbündeten mit 170.000 stationierten Soldaten haben einen jungen Prediger und seine Miliz nicht besiegen können. Der Sieger ist weniger Muqtada as-Sadr, dem Teheran Einhalt bot, um die befreundete schiitisch dominierte Regierung nicht zu verärgern, sondern die Islamische Republik Iran. Denn letzten Endes endete die Krise durch ihre Vermittlung. Die Vermittlung eines Staates, den die USA als Urheber der blutigen Unruhen bezichtigen. Der Verhandlungsort war die heilige schiitische iranische Stadt Qom und der iranische Vermittler General Ghasem Solaimani, der eine „terroristische Truppe“ befehligen soll. Amerika ist gedemütigt.

Sadrs Fraktion könnte mit seinem „heldenhaften“ siegereichen Widerstand bei den Wahlen im kommenden Oktober einen grandiosen Sieg in Basra und anderen südlichen Provinzen erringen. Die Regierung al-Malikis zeigte mangelnde Entschlossenheit und Durchhaltevermögen. Denn das Problem Sadr ist nun noch größer geworden. Bagdad hat einen großen Autoritätsverlust hinnehmen müssen. Die irakische Regierung kann sich nur dank der beiden rivalisierenden Besatzern, der USA und der Islamischen Republik Iran, weiterhin aufrechterhalten.

Die Iraker wurden durch den Sturz von Saddam Hussein von dem brutalsten Despoten des Nahen Ostens befreit. Doch weder ihre Rechnung, das Freiheiten, Ruhe und Demokratie einkehren würden, sind aufgegangen, noch die der Amerikaner, dass sie von den Irakern warmherzig als Befreier empfangen werden. Beide haben sich geirrt. Der Preis für diesen Irrtum haben jedoch in überdimensionalem Verhältnis die irakischen Bürger zahlen müssen. Sie sind Gefangene externer Mächte, die um ihren Einfluss kämpfen. In diesem Antagonismus befinden sich die Iraker zwischen Hammer und Amboss.