battle culture

Die Breakdance-Szene: lokale Bodenhaftung und globale Bewegung

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HipHop wirkt wie eine perfekte Jugendkultur. Sie ist kommerziell und besitzt trotzdem ihr eigenes, selbstbestimmte Regelwerk, sie findet medial statt und eignet sich gleichzeitig den urbanen Raum an und sie verändert sich andauernd, um sich beharrlich zu reproduzieren. Das was HipHop-Kultur ausmacht, zeigt sich besonders deutlich beim Breakdance: Eine lokale und globale Bewegung, die konstant um sich selbst kreist. Man kämpft dabei nicht mehr gegen die Gesellschaft, sondern nur noch gegeneinander.

Breakdance gibt es auf der ganzen Welt. Welche internationale Größenordnung und lokale Bedeutung die Breakdance-Szene mittlerweile angenommen hat, ließ sich besonders gut beim diesjährigen Breakdance-Event Battle of the Year in Hannover auf dem Expo-Geländer beobachten. Die Veranstaltung war eines der größten Breakdance Battles, die je stattgefunden haben. Nicht nur nahmen Crews aus der ganzen Welt teil, sondern auch die mehr als 9000 Besucher setzen sich aus den unterschiedlichsten Nationalitäten zusammen. Der kommerzielle Erfolg deutscher Rap-Musik und die große mediale Aufmerksamkeit machen HipHop momentan zur erfolgreichsten Jugendkultur in Deutschland. In diesem Sommer trafen sich neben dem Battle in Hannover mehr als 20000 HipHop-Fans bei Großveranstaltungen wie dem Flash 2000 in Hamburg oder dem Splash Festival in Chemnitz. HipHop ist jedoch keine sich gerade neu etablierende Szene, die eine abebbende Technowelle ablöst. Das Battle of the Year fand schon zum elften Mal statt und die diesjährigen Sieger, die Flying Steps aus Berlin, existieren ebenfalls seit vielen Jahren und feierten hier ihr internationales Comeback. Mittlerweile wird auch ganz selbstverständlich auf deutsch, auf türkisch und in anderen Sprachen ethnischer Minderheiten gerappt. Und Graffities sind bereits zum festen Bestandteil des Stadtbilds geworden sind. HipHop ist dabei so erfolgreich, dass sein Stil mittlerweile in diverse andere Jugendkulturen diffundiert ist.

Tatsache ist, dass die HipHop-Kultur in Deutschland momentan eine eigene Dynamik gewinnt, die auch verstärkt zu HipHop-Fans führt, die - ganz im Gegensatz zu vielen ihrer Vorgänger - nur noch Rap-Musik hören, ohne selber aktiv tätig in der Szene zu sein. Andererseits ist die Szene so dynamisch, dass die heute Aktiven teilweise schon die dritte oder sogar vierte HipHop-Generation darstellen. Und die fünfte lernt gerade zu rappen, zu breaken, zu malen oder Platten aufzulegen.1

Eroberung und Umdeutung des urbanen Raumes

Alle in der Szene Aktiven befinden sich in einem andauernden Wettkampf um Aufmerksamkeit und Anerkennung (in der Szene als "Respekt" oder "Fame" bezeichnet). Fame erhält derjenige in der Szene, der seinen eigenen, individuellen Stil entwickelt und besonders beeindruckende Tanzkombination beherrscht. Es wichtig, sich mit seiner individuellen Art zu tanzen, von den anderen abzuheben. Dies führt dazu, dass sich Breakdance-Aktivisten kontinuierlich selbst zu übertrumpfen versuchen. Verboten ist es, zu "biten", das heißt d.h. den Stil von jemand anderem zu kopieren. Der Wettbewerbsgedanke, der für alle HipHop-Szenen konstitutiv ist, führt zu immer höheren Schwierigkeitsgraden des Breakdance und zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des bestehenden Repertoires. Dabei verbinden sich Innovation mit Hochleistungssport und Ästhetik. Eines von drei Stilelementen findet sich in allen Breakdancedarbietungen: Die Tänzer drehen sich um ihre Achsen, fliegen durch die Luft oder schmeißen sich auf den Boden, um wieder in wilde Rotationen überzugehen, bei der fast jeder Körperteil als Stütze dienen kann (Power-Moves, sie imitieren Roboterbewegungen (Electronic Boogie oder Popping) oder kombinieren kräftige abrupte, teilweise an Kampfsport, teilweise an Trickfilm erinnernde Bewegungen (Locking).

Um den Wettbewerb zu regeln, wird innerhalb der Szene gefordert, denjenigen Respekt zu zollen, die die HipHop-Bewegung besonders gut "repräsentieren". D.h., die Regeln und Werte der HipHop-Szene zu befolgen, sein "eigenes Ding zu machen" und sich gleichzeitig an den Vorbildern, denen man wiederum Respekt entgegenbringen sollte, orientieren

Sowohl der Wettbewerbsgedanke wie die ersten Vorbilder stammen aus den Anfängen der Szene in New York. Schon in den 70er Jahren hatten dort afro-amerikanische Jugendliche begonnen, in Breakdance-Crews gegeneinander zu tanzen. In Schaukämpfen wurden die besseren Tänzer und Crews ermittelt.2 Die ökonomische Situation hatte sich damals durch die beginnende post-industrielle Phase in den von Afro-Amerikanern bewohnten Innenstadtgebieten dramatisch verschlechtert.3 HipHop entwickelte sich in dieser Situation als eine Jugendkultur von Afro-Amerikanern, die sich den urbanen Raum, aus dem man sie sozial ausgegrenzt hatte, in einer neuen Art wieder aneigneten. Dies zeigte sich augenfällig im Graffiti, bei dem symbolisch Territorien markiert werden. Der Sprüher versucht, auf sich aufmerksam zu machen, indem er möglichst auffällig seinen Namen als Tag oder Piece an Wände, Brücken oder Züge sprüht.4 Aber man eroberte den städtischen Raum auch durch eine neue Tanz- und Musikkultur, die die Straße nutzte und sie zu Tanzflächen umfunktionierte. Dabei entwickelte sich zusammen mit Rap-Musik und neuen DJ-Techniken, bei denen die Instrumentalteile der Stücke (Breaks) verlängert wurden, der neue Tanz Breakdance. Und auch in den Raptexten würden verbal die Territorien abgesteckt, die eigene Nachbarschaft gelobt und positiv beschrieben.

Diese ,Wiederaneignung' und Umdeutung des urbanen Raums durch sozial benachteiligte Afro-Amerikaner blieb nicht lange auf New York beschränkt. Es kam zunächst zur Bildung weiterer HipHop Szenen in den USA. Und seit 1984 durch Medienberichte und Spielfilme, wie Wild Style (1982) und ,Beat Street' (1984) auch in Deutschland zu einer ersten, kurzen Breakdance Euphorie. Seit dem hat sich, von den Medien zunächst wenig beobachtet, die HipHop-Szene in Deutschland kontinuierlich vergrößert. Genauso wie ihre medialen Vorbilder, begannen Jugendliche in Europa, die Strasse als Tanzort zu entdecken. Dadurch wurde es möglich, die Innenstädte zu Präsentationsflächen des eigenen Könnens und der Selbstdarstellung umzufunktionieren.

HipHop ermöglicht zum einen eine Ankoppelung an eine medial vermittelte, globale Bilderwelt, zum anderen aber die Ausprägung einer lokalen Interpretation der darin vermittelten Inhalte. So wird in Deutschland nicht über Ghettoerfahrungen gerappt, sondern eher über persönliche Erfahrungen des Alltags. In HipHop-Stücken werden zum Teil andere Musikstile integriert, so sampelten Der Tobi & das Bo z.B. die Sesamstrassenmelodie und auch Breakdance hat in Deutschland seine individuelle Note entwickelt. Die lokalen HipHop Szenen sind anderseits weltweit vernetzt und die einzelnen Szenemitglieder, vor allem wenn sie schon länger dabei sind, haben oft regen Kontakt zu anderen Aktivsten in der ganzen Welt. Dazu werden auch die für die Breakdance-Szene zentralen Battle-Events genutzt. Bei ihnen wird der Konkurrenzgedanke explizit und formalisiert umgesetzt. Hier kann nicht nur HipHop ,real' erlebt werden, sondern die Battles dienen auch zur sozialen Positionierung innerhalb der Szene.

Das Battle als Knotenpunkt einer vernetzten Gemeinschaft

Auf einem offiziellen Battle, wie in Hannover, präsentieren die qualifizierten Crews Shows und die besten Crews treten anschließend in einem direkten Battle gegeneinander an. Es wird aber nicht auf der Hauptbühne Breakdance vorgetanzt, sondern in der ganzen Halle zeigen Tänzer ihr Können. Überall sieht man B-Boys (kurz für Breakdance-Boys), die den Aktivitäten auf der Bühne nicht nur passiv folgen, sondern denen auf der Hauptbühne nacheifern, und selber wiederum Anerkennung und Aufmerksamkeit wollen. Darin zeigt sich eine Besonderheit der HipHop-Szene. Jede Darbietung hat immer auch Aufforderungscharakter, jeder Zuschauer kann im nächsten Moment schon zum Darsteller werden.

Bei einem direkten Battle zwischen zwei Mannschaften wechseln sich die Tänzer aus den Gruppen jeweils ab. Es ist daher auch nicht die Technik alleine, die einen guten Breakdancer ausmacht. Es bedarf auch der Fähigkeit, spontan auf andere Tänzer reagieren zu können. Die B-Boys einer Crew persiflieren z.B. die Moves des Gegners oder versuchen ihn übertrumpfen. Beim Battle findet auch zwischen den Tänzern und den Zuschauern ein konstanter Dialog statt. Ziel ist es, das Publikum für sich zu gewinnen. Der Breakdancer ist dadurch immer in seine Crew und die lokal anwesende HipHop-Gemeinde eingebunden. Dadurch wird auch eine zu starke individuelle Selbststilisierung verhindert. Letztlich gewinnt bei einem Battle der Tänzer oder die Gruppe, die besser getanzt und dabei auf die Moves des Gegners reagiert hat. Bewertet werden die einzelnen Darbietungen wiederum von Szeneaktivsten, die über möglichst viel Fame verfügen. Wer Fame hat, kann auch Fame vergeben. Bei einem offiziellen Battle ist die Jury zusammengesetzt aus bekannten und anerkannten Tänzern, bei einem Freestylebattle, das immer dann stattfinden kann, wenn sich B-Boys treffen, entscheiden die Anwesenden. Da die Maßstäbe, nach denen die Qualität der Tänzer bewertet werden, von den Szenemitgliedern selbst erstellt werden, gibt es aber auch relativ oft Auseinandersetzungen darüber, ob die Entscheidung richtig sei. Teil des Battle ist es eben auch, sich kontinuierlich darüber zu streiten, nach welchen Kriterien bewertet werden soll, welcher Tänzer Respekt verdient und welcher nicht. Welcher B-Boy genügend Fame habe, um zu urteilen und welcher keinen. Solche Streitereien bleiben teilweise nicht auf der verbalen Ebene, sie werden aber letztlich intern gelöst. Das Prinzip eines ständigen, meist spielerischen Wettbewerbs und die Möglichkeit, Anerkennung zu erhalten, ohne Diskriminierung und Stigmatisierung zu fürchten, ist auch heute noch einer der Hauptgründe, warum gerade beim Breakdance der Anteil von Jugendlichen aus ethnischen Minderheiten sehr groß ist.

Das Battle ist eine Kombination aus Leistungsschau, aktueller sozialer Positionierung und Fortführung des HipHop-Gedankens. Jeder Teilnehmende kann dabei seine individuelle Leistung präsentieren und gleichzeitig Teil einer größeren Bewegung sein. Das lokale Event des Battle wird zum Knotenpunkt einer vernetzten Gemeinschaft, die sich dadurch jeweils konstituiert und reproduziert. Selbst wenn mittlerweile nur noch selten Breakdance auf der Strasse getanzt wird, führen - wie z.B. Graffiti zeigt - die medialen Botschaften im Falle von HipHop bis heute zu einer Neuaneignung von anonymen, funktionalen, urbanen Orten. Dies zeigt auch, dass die Wege der globalen Vernetzung nicht nur zu Informationsflüssen im Cyberspace, sondern auch zu lokalen körperlichen Erfahrungen und performativen Praktiken führt.5

Die lokale Inszenierungen der HipHop-Kultur werden durch die Medien aber auch wieder in die Informationsflüsse zurückgespeist. Auch die HipHop-Szene fungiert als "Content" einer global operierenden Kulturindustrie. Aber auch diese Zurückführung in die Medienwelt mündet bis heute letztlich wieder darin, dass Jugendliche irgendwo auf der Welt beginnen, Breakdance zu tanzen.

Der Kampf um soziale Positionierung und die Idee eines konstanten Konkurrenzkampf innerhalb der Szene führt letztlich auch dazu, dass nicht gegen etwas gekämpft wird, was sich außerhalb der Szene befindet. Die HipHop-Szene dreht sich im wörtlichen Sinne um sich selbst. Genau darin liegt aber auch ihre Anziehungskraft: Es ist eine Welt, die zwar auf Leistung und Konkurrenz aufbaut, gleichzeitig aber eine eigenständige und klare Verortung und Identifikation für jeden Teilnehmer bietet. Etwas, das in der komplexen, globalen Informationsgesellschaft gerade in den anonymen Städten zusehends schwierig geworden ist.

Malte Friedrich (e-mail: m.friedrich@sozialwiss.uni-hamburg.de} arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem von Gabriele Klein geleiteten DFG-Forschungsprojekt Korporalität und Urbanität. Die Inszenierung des Ethnischen am Beispiel HipHop.