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Ein Gespräch mit Christoph Bieber von Politik-Digital über die Beteiligung der Bürger an der politischen Diskussion und mit den Politikern

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Die Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss (SPD) und Cem Özdemir (B90/Grüne) möchten bei der Neukonzeption des Datenschutzes das Netz als Diskussionsmöglichkeit mit einbeziehen. Bislang existiert dafür nur eine Web-Site ohne Inhalt: www.modernes-datenrecht.de/ oder www.moderner-datenschutz.de/. Wie das Ziel, den Sachverstand im Netz anzusprechen und zu einer Teilnahme zu bewegen, angegangen werden kann, soll ein Workshop Mitte Juni klären.

Beispiele aus anderen Bereichen, etwa die eurVoice-Initiative der EU-Kommission, haben gezeigt, dass die gute Absicht allein nicht ausreicht. In einem Interview erläutert Christoph Bieber, Politikwissenschaftler in Giessen und von Anfang an Mitarbeiter bei politik-digital, seine Vorstellungen, welche Wege die Bürgerbeteiligung über das Netz nehmen könnte.

Welches Selbstverständnis hat politik-digital? Handelt es sich um ein Online-Magazin oder ein politisches Forum?

Christoph Bieber: Sowohl als auch. Einerseits muss politik-digital als Online-Magazin gelten, beziehungsweise es wird so wahrgenommen. Andererseits war von Anfang an klar, dass es nicht bei einem rein publizistischen Engagement bleiben würde. Ein Teil der Arbeit sollte immer in das Experimentieren mit neuen Formaten von E-Demokratie fließen. Dazu gehören das Engagement in der Kampagne gegen Spam und das Erproben von Online-Petitionen. Auch das Durchführen von Chats würde ich durchaus dort einordnen. Bei solchen Versuchen stellt politik-digital eher ein Experimentierfeld als ein Online-Magazin mit einer möglichst großen Reichweite dar. politik-digital fasse ich daher nicht als rein publizistische Tätigkeit auf, sondern betrachte es durchaus als Experiment im Sinne der Bürgerbeteiligung.

Welche Funktion erfüllen die Chats? In der Regel antworten die Politiker dort auf kurze Fragen mit knappen Statements, die sich von den fernsehtypischen Äußerungen kaum unterscheiden.

Christoph Bieber: Es mag durchaus sein, dass man auf der inhaltlichen Seite ganz ähnliche Statements wie die berühmten "30-Sekündler" aus dem Fernsehen bekommt. Trotzdem besteht strukturell ein recht großer Unterschied. Viele Politiker, die zum ersten Mal antreten, sind überrascht, ob der Fragen, die ihnen - eben nicht von Journalisten - gestellt werden, denn die können zum Teil sehr kenntnisreich und präzise ausfallen. Damit ist hier am ehesten das Kurzschließen von Politikern und Bürgern zu beobachten.

Dass dabei eher kurze Statements zustande kommen, ist natürlich auch eine technische Frage. Die Chats laufen derzeit über eine Stunde und es kommen weitaus mehr Fragen zusammen, als überhaupt behandelt werden können. Um da einen bestimmten Fluss zu erreichen und auch möglichst viele Fragen hereinnehmen zu können, fällt das Ganze etwas kurz aus. Aber es ergibt sich auch so langsam die Strategie, dass viele Politiker sagen: "Das ist eine interessante Sache, da kann ich jetzt nur ganz kurz etwas zu sagen. Lesen Sie dazu meine Web-Site."

Dabei stellt sich ein großer Lerneffekt ein, gerade auf der Seite der Politiker, so dass ich solche Chats auf der einen Seite durchaus als nachrichtenwertes publizistisches Ereignis ansehen würde. Auf der anderen Seite lassen sie sich auch als eine Art Nachhilfe für Politiker betrachten, die auf diese Weise in Kontakt mit Leuten im Netz kommen. Daher würde ich die Chats in die Rubrik "Experimentieren mit E-Demokratie-Formaten" einordnen.

: Kennen Sie Initiativen, die von Politikern oder politischen Institutionen ausgehen, um die Nutzer im Netz aufzusuchen und dort zu einer Diskussion zu kommen?

Christoph Bieber: Einschlägig in dieser Richtung sind die Angebote der Parteien. In ihrer inzwischen mehrjährigen Entwicklung haben sie die kommunikative Komponente immer stärker hervorgehoben und Diskussionsforen eröffnet. Man hat gesehen, dass die SPD lange Zeit mit einem closed-shop eine eigene Taktik fuhr. Freies Kommunizieren war nicht in dem Maße möglich wie bei FDP und CDU, die sehr früh auf ein offenes Forum gesetzt haben, in dem die Benutzer auch die Themen vorgeben konnten. Die SPD hat sich in diesem Punkt gewandelt und das Forum stärker geöffnet.

Im Lauf der Zeit ergaben sich zu einzelnen Themen Diskussionen in den Foren, die so interessant waren, dass die Politiker darauf reagiert haben. Meistens geschah das auf Hinweis der Online-Redaktion. Auf Umwegen und lange nicht den technischen Möglichkeiten des Netzes angemessen findet hier ein Austausch zwischen Bürgern und Politikern statt.

Wenn Sie sagen, den "technischen Möglichkeiten des Netzes nicht angemessen", was wäre denn angemessen? Wie ließe sich der Prozess anders organisieren?

Christoph Bieber: Wie gesagt, die Kommunikation läuft immer noch über die Schleuse der Online-Redaktion. Die Politiker haben die Foren noch nicht als wichtigen "Leseort" entdeckt. Die Erkenntnis, "da ist Politik drin, im Internet, nicht nur Schmutz" und dass durchaus konstruktiv diskutiert werden kann, muss erst wachsen. Da müssen viele in einem längeren Prozess lernen. Bei der heutigen Einteilung, dass Themen erst über die Online-Redakteure dann über die Referenten schließlich vielleicht die Politiker erreichen, ist der Kommunikationsweg noch etwas lang. Das ist Kommunikation zu Fuß.

Wenn im Denken der Politiker sich die Partei-Site oder die eigene Homepage als Diskursort etabliert hat, könnte es schneller gehen. Einige Politiker sind schon ein bisschen vorangeschritten und handhaben das offensiv: Jörg Tauss und Cem Özdemir, oder auch Martin Maier von der CSU. Sie arbeiten noch nicht so, wie man es vielleicht gerne hätte, aber sie haben verstanden, dass hier eine wertvolle Erweiterung von Bürgersprechstunden oder des Bürgerbüros entstehen kann. Da ist der Kontakt dann sehr viel direkter. Das lässt sich auch an der konkreten inhaltlichen Arbeit dieser Politiker beobachten, die im Bundestag dann die Rolle der Fürsprecher für die Netzgemeinde einnehmen.

Wie ließe sich das Netz nutzen? Reicht es eine Web-Site aufzumachen und aufzurufen: "Leute diskutiert das Thema hier"?

Christoph Bieber: Das ist die Frage des inhaltlichen Umfeldes. Ein ähnliches Problem kann man bei der Site des Innenministeriums, www.staat-modern.de, beobachten. Dort wurde eine Web-Site eingerichtet mit viel Top-down-Content, mit Informationen, über das, was sie machen wollen. Damit wurde eine simple Frage verbunden: "Was sollen wir besser machen?" In dieser Art ist das immer noch zu stark als Push-Content angelegt, so dass man den Eindruck gewinnt, die wollen nicht wirklich kommunizieren. Möglicherweise lässt sich das Problem momentan auch technisch nicht besser lösen. Ein Forum zu eröffnen und zu hoffen, dass alle schreiben, ist naheliegend. Damit verknüpft ist der Punkt der Einbettung: "Wie bekomme ich die Leute dahin, auf welchen Seiten kann ich sie abholen?" Ein weiterer Punkt könnte Schwellenangst sein: Das zwanglose Diskutieren in einem Forum fällt leichter als die konkrete Antwort auf eine ganz zielgerichtete Frage. Ich glaube, dass eine entsprechende Diskussionskultur noch nicht ausreichend vorhanden ist; das braucht noch Zeit, aber es wird kommen. Man kann aber nicht sagen, das ist technisch völlig falsch gelöst.

In den USA hat man eine ähnliche Lösung gefunden und dort hat es funktioniert. Der Federal Election Campaign Act sollte an das Internet Campaigning angepasst werden. Die Federal Election Commission (FEC) wollte untersuchen, ob bestimmte Formen des Online Campaignings unter bestimmte Regulationen fallen. Zur Anpassung des Kampagnen- und Wahlkampf-Finanzierungsgesetzes hat die FEC dann einen Text zur Diskussion ins Netz gestellt und in relativ kurzer Zeit trafen weit über 1000 Kommentare ein. Zum Teil stammten sie von Verbänden, Unternehmen und Grass-Roots-Aktivisten, also von Leuten mit hohem Sachverstand; sie kamen aber auch von Privatleuten. Das war ein ganz ähnliches Muster: Man bietet ein Forum, eine Anlaufstelle an und schaut, was sich mit dem Input anfangen lässt.

Damit stellt sich die nächste Frage, ob denn die Initiatoren in der Lage sind, mit diesem Inhalt auch entsprechend umzugehen. Die Frage kam auch in den USA auf, was denn die FEC mit diesen 1200 Eingaben macht. Werden sie alle gelesen und gesichtet, oder greift man sich die von den wenigen Prominenten heraus? Dass sich prominente Akteure in den Vordergrund diskutieren, könnte auch hier passieren. Dann bestimmte ein Vorschlag mit starker Deckung von Verbänden oder Interessengruppen die Diskussion und drängte die Beiträge einzelner Nutzer in den Hintergrund.

: Was halten Sie davon, neben dem Web auch andere Mechanismen zu nutzen? Auf einer Web-Site könnten Informationen zentral lagern, aber für die Diskussion ließen sich andere Verteilungsmechanismen nutzen, so wie sie z.B. aus dem Usenet oder aus Mailing-Listen bekannt sind.

Christoph Bieber: Ich glaube, dass auch längerfristig kein Weg am WWW vorbeiführt, denn für viele ist es der einzige bekannte Weg. Allein das Abonnieren von Mailing-Listen oder von News ruft Probleme hervor. Wir sehen das bei uns, wo jede Woche viele E-Mails mit Klagen eintreffen, das Bestellen und Abbestellen unseres Newsletters würde nicht funktionieren. Das WWW ist die eingängigste Technologie und damit bietet es auch die beste Möglichkeit, viele Nutzer zu einer Beteiligung zu bewegen.

Dazu gehört auch, dass sich bei Web-Angeboten ein stärkeres Ortsgefühl ausprägen kann. So wie ich ins Bürgerhaus gehe, um etwas zu diskutieren, gehe ich zu einer Web-Site, weil ich weiß, da gehen auch andere hin. Das kann sich bei solchen Angeboten viel stärker ausbilden, als wenn ich zehn Diskussions-Mails bekomme, oder wenn ich eine Newsgroup lese und die Threads durchklicke. Deshalb sind auch die Diskussionsforen bei den Parteien - zumindest quantitativ - so stark: Mit der Zeit hat sich um diese Seiten eine Nutzergemeinde gebildet und es ist so etwas wie ein Ortsgefühl entstanden, was die Leute immer wieder dort hinkommen lässt.

Außerdem lässt sich das Angebot von begleitendem Hintergrundinhalt besser und benutzerfreundlicher einbauen, als bei den anderen Möglichkeiten. Vielleicht sind Usenet und Mailing-Listen diskussionstechnisch besser geeignet, aber sie haben noch sehr stark den Ruf der Freaks, der Spezialkulturen. In ihnen würde man auf einen Teil der Mitdiskutierer verzichten müssen.