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Virtuelle und reale Projekte im Innen- und Außenraum

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Es ist höchste Zeit, dass die angeblich heimliche Kulturhauptstadt München den Blick verstärkt auf die Neuen Medien richtet. Es liegt ja schon ein Konzept der neuen Kulturreferentin Lydia Hartl auf dem Tisch, das sich speziell diesem Bereich widmet, die Stadt will endlich künstlerisch in den virtuellen Raum aufbrechen.

Die Ausstellungsmacher der Lothringer 13 versuchen jetzt, eine Verbindung des virtuellen und des reellen Raums zu schaffen, und untertiteln deswegen ihre Ausstellung "virtuelle und reale Projekte im Innen- und Außenraum". Der Begriff Netzkunst wird vermieden, denn hier sollen künstlerische Projekte vorgestellt werden, die in beiden Welten funktionieren. Deswegen hat jedes der sieben Kunstprojekt eine Website und eine eigene Ausstellungsfläche in der Halle.

Es ist ein altes Problem, dass es außerordentlich schwer ist, Netzkunst im realen Raum zu präsentieren, denn Computer-Terminals auf Tischen sind eher ein Internet-Café als eine Ausstellung. Auch wenn viele der vorgestellten Projekte gezielt für inSITEout entstanden sind, und deshalb eine reale Präsenz anstrebten, so konnte der Anspruch nur bedingt eingelöst werden. Die meisten Arbeiten sind online wesentlich interessanter als offline.

Apsolutno

Die Künstlergruppe "Apsolutno" aus Novi Sad in Serbien präsentiert eine reine Netzarbeit, die bereits seit 1997 online ist: in schlichtem Windows-Design kann jeder sich bei einer Online-Auktion anmelden und einen Künstler aus Russland, Rumänien, Bulgarien etc. ersteigern, der am 1. Januar des neuen Jahrtausends geboren ist. Alle zu Ersteigernden sind an diesem Tag geboren, ihre zukünftige Künstler-Existenz offensichtliche Fiktion. Stereotypen osteuropäischer Künstler werden in der Warenbeschreibung bewusst eingesetzt.

Absolute-Sale thematisiert höchst ironisch den fehlenden Zugang osteuropäischer Künstler zum Kunstmarkt und rüttelt zugleich an unseren Vorstellungen von Kunst(-werk), Konstruktion des Meister-Anspruchs, Vereinzelung, Käuflichkeit und E-Commerce. Eine subversive Arbeit, typisch für die vier Konzeptkünstler (Zoran Pantelic, Dragan Rakic, Bojana Petric and Dragan Miletic) von Apsolutno, die ihre persönlichen Signaturen aufgelöst haben und nur noch unter dem gemeinsamen Label auftreten. Sie haben in den letzten Jahren viele subversive Aktionen wie "United Artists under Sanctions" gestartet. Im Gespräch mit Telepolis erläuterte Zoran Pantelic, der zur Eröffnung der Ausstellung anwesend war, es gehe ihnen darum:

Wir wollen Teil der Netzwerk-Armee sein. Unsere Projekte sind Möglichkeiten, Kommunikation zu provozieren und in Gang zu bringen. Die entscheidende Frage der Zukunft ist, wer den Electronic Space kontrollieren wird, als Künstler sind wir ein Teil der Bewegung, die im Netz nicht-kommerzielle Ziele verfolgt. In Jugoslawien ist der Zugang zur Technik problematisch, um Web-Projekte zu realisieren, ist ein Haufen Equipment nötig und auch Festnetz-Telefonleitungen sind ein Hemmnis. Das Telefonnetz ist so schlecht, dass deswegen sehr viele Leute Handys haben. Trotzdem können wir im Internet autonome Räume schaffen, gerade für Künstler aus Ländern, die keinen eigentlich Kunstmarkt im westlichen Sinn haben. Kommunikation und Networking hilft uns, Grenzen zu überschreiten und sichtbar zu werden.

In der Ausstellung steht ein schlichter Tisch, darauf ein Computer, der sein Bild per Beamer an die Wand wirft und ein paar Apsolutno-Flyer liegen aus.

COMUTATION und Combat Area

In dem Projekt COMUTATION haben sich Münchner künstlerische Partner aus anderen Städten gesucht, um im Austausch mit ihnen reale Werke für die Ausstellung zu schaffen. Dabei wurden wechselseitig Aufträge vergeben, die dann eingelöst werden mussten. Dabei haben sie sich ausschließlich online verständigt, die Einmischung von Vorbeisurfenden war erwünscht. Der Kommunikationsprozess ist auf der Website dokumentiert. Eines der sich daraus ergebenden Real-Werke in der Ausstellung ist ein "Bildertennis", ein Art kleiner Raum wurde durch Abhängung mit Gemälden abgegrenzt. Wer sich für die E-mail-Dialoge von Künstlern interessiert, die über sich, ihre Arbeitsweisen und den ganzen Rest austauschen, sollte vorbeisurfen.

Auf Vernetzung und reine Virtualität setzt auch Volker Möllenhof, der ein fiktives Netzwerk erarbeitete, dass sich um den Ermittler Howard Ace spinnt. In Combat-Area macht er die Schnittstellen eines fiktiven Augenblicks sichtbar. Interaktive Einmischung ist auch hier erwünscht. In der Ausstellung präsentiert er das Projekt als eine Art Netzwerk-Karte (Network-Image Map), dazu verstreute Dokumente als (Pseudo-)Hinweise.

Glücklich Räumen

Stefanie Senge bietet unter dem Motto Glücklich Räumen online buchbare Aufräum-Freaks an, die zu einem nachhause kommen, um das Chaos zu beseitigen. Eine neue Möglichkeit von Dienstleistung und E-Commerce, die sicher viele brauchen können, nicht nur echte Messis. Online gibt es auch den Online-Aufräumer-Typ Psycho-Test. In der Ausstellung zeigt sie Videos erster Aufräumaktionen.

Family Sculpture

Die Münchner Künstlerin Angela Dorrer hat sich mit Familysculpture eine ganz eigene, genealogische Community des Internets zu eigen gemacht. Sie suchte weltweit über das Web Menschen, die den gleichen Nachnamen wie sie haben und bat sie um ein Kleidungsstück, um daraus in der Realität eine Skulptur zu schaffen. Aus dem Projekt entwickelte sich die Konstruktion einer Familie, einer virtuellen Gemeinsamkeit. Erstaunlich viele Dorrers meldeten sich bei ihr und schickten etwas Getragenes aus ihrem Kleiderschrank. Online sind alle Kleidungsstücke zu besichtigen, zugeordnet zu Personen und gesendeten Geschichten. Ein Geflecht von scheinbaren Bedeutungen, die verdeutlichen wie irreal unsere Vorstellungen von Familie, Clan oder Sippe sind. Aus unseren Namen oder behaupteten Blutsverwandtschaften konstruiert sich ein Teil unserer Identität, in Wirklichkeit gibt es aber ohne gemeinsame Geschichte keine echte Verbindung, der Familienbegriff entlarvt sich als Schimäre.

Online gibt es bei Family Sculpture auch ein Dorrer-Forum, auf dem die Dorrers (und solche, die sich als Dorrers bezeichnen) Nachrichten hinterlassen können. Die Skulptur in der Ausstellung besteht aus einer unreizvollen Reihung der Kleidungsstücke auf über- und durcheinander gespannten Wäscheleinen. Angela Dorrer erläuterte gegenüber Telepolis, das sei nur die Stufe eins, die Skulptur werde sich noch verändern.

Dazu gibt es die "Familien-Lounge", einen kleinen Raum mit Dokumenten und Computer mit Zugang zur Website. Am Vernissagen-Abend war die Lounge von verschiedenen Dorrers gut besucht, es wurde live per Webcam berichtet.

IF-Land

Die Künstlerin IF hat sich mit allen imaginären Ländern beschäftigt, also mit allem, was auf -land endet und sie fordert alle auf, sich an der Entdeckung aller neuen "Länder" (Teppichland, Grenzland, Gyrosland etc) zu beteiligen und ihr das gefundene Material per Post oder Email zuzuschicken. Imaginäre Räume stehen Marketing-Strategien gegenüber und ein besonderes Land ohne Grenzen bildet den virtuellen Archiv-Raum. Definitionen werden zitiert, sind aber z.B. im Hygieneland reichlich sinnlos. IF-LAND präsentiert für die Dauer der Ausstellung (als einziger "Außenposten") ihre "x-länder" in einem Reisebüro außerhalb der Lothringer 13.

Tunnelrecords

Tunnelrecords, ein fiktives Plattenlabel, zeigt wie Girl-Groups konstruiert werden, in dem die Künstlerinnen selbst einige geschaffen haben und nun präsentieren. Erstaunlich ist, mit wie wenig ein komplettes Image hergestellt werden kann. Bisher haben sie Girl-Groups der Hiphop-Szene, Gothic und Hard-Rock konstruiert und stellen sie online vor. Die Künstlerinnen erdachten die PR-Strategien und schlüpften selbst in die Rollen der Girls. Die behauptete Identität und der erfundene Ruhm hatten eine eigene Sogwirkung.

Nur über die Website läuft das Casting für ihre neueste Band "Hope" (Musik-Richtung: Pop/Country). Wer interessiert ist, kann sich dort bewerben und dann in der "Fame-Box", die in der Ausstellung aufgebaut ist (dort kann sich jeder mal als Star fühlen), den ersten großen Auftritt zu haben. Die Fame-Box ist ein Bühnenraum, der mit Mikro ausgestattet ist, Applaus und Blitzlichtgewitter prasseln auf einen herab, während man dort im gleißenden Scheinwerferlicht steht.

Der Überblick über die Projekte zeigt die Vielfältigkeit der Ansätze und Vorgehensweisen. Die Ebenen der künstlerischen Auseinandersetzungen sind extrem verschieden. Die Ausstellungsmacher wollen bewusst sehr verschiedenes zeigen und das ist ihnen zweifellos gelungen. Kommunikation zwischen den Künstlern steht im Mittelpunkt. Viele der Projekte sind sehr spielerisch, dabei aber wenig ironisch oder dekonstruierend. Versatzstücke aus dem Netz aufzunehmen und neu zueinander zu ordnen, macht noch nicht unbedingt eine interessante Auseinandersetzung aus. Die Verbindung des virtuellen und des reellen Raums wird in inSITEout nicht wirklich geknüpft, der Realraum bleibt hinter den Möglichkeiten der Virtualität zurück.

Für München ist es aber ein Experiment, das begrüßt werden muss und wenn auch die meisten Installationen in der Halle wenig überzeugen, so lohnt doch auf jeden Fall ein Besuch sowohl der Ausstellung wie vor allem der Sites. Sicher ist es auch noch ein Anfang, bis das Kunstpublikum die Netzkunst voll annimmt. Zoran Pantelic von Apsolutno meint:

Im Moment dienen die Projekte hauptsächlich zum Vernetzen, zum Kommunizieren. Das Publikum sucht noch stark nach dem Kunstwerk als einmaligem, signierten Stück, nach dem Fetischismus, sozusagen der Kunst zum Anfassen.

InSITEout im Realraum noch bis 24. Juni, mit Veranstaltungsprogramm und Führungen, Infos und auch alle Links zu den Projekten hier