Abschieben weiter ohne Obergrenzen

CDU-Parteitag: Die "spürbare Reduzierung" der Flüchtlingszahlen und Kitsch. Draußen gibt es zackige Abschiebepraxis

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Für die grünennahe Taz ist nach dem ersten Tag des CDU-Parteitags in Karlsruhe Angela Merkel endgültig zur Königin der Herzen geworden. "Merkel zähmt die CDU", lautet die Überschrift auf der Titelseite. Im Leitartikel wird es unter der Überschrift "Die gütige Matriarchin" dann ganz kitschig. "Es war ein bisschen wie Weihnachten beim Parteitag der CDU in Karlsruhe",lautet der erste Satz.

Die euphorische Stimmung beim grünen Hausblatt hat einen einfachen Grund. Eine mögliche schwarzgrüne Koalition nach den nächsten Bundestagswahlen, die führende Taz-Kommentatoren seit Jahren herbei schreiben wollen, ist ein Stück wahrscheinlicher geworden. Nach der AKW-Frage scheint jetzt auch die Flüchtlingsfrage, die immer zwischen beiden Parteien gestanden hat, aus dem Weg geräumt.

Bei beiden Themenkomplexen fragte man nicht nach den Inhalten. Auf die Symbolpolitik kam es an. So wurde die Entscheidung, in absehbarer Zeit aus der AKW-Wirtschaft auszusteigen, schon deshalb im grünen Milieu so enthusiastisch gefeiert, weil die schwarzgelbe Koalition unter Merkel erst zuvor die schon im Einklang mit der Wirtschaft vereinbarten rotgrünen Ausstiegspläne revidiert hatte. Dann wurde auch gar nicht so genau nachgeguckt, wie gut denn der neue Ausstiegsbeschluss mit der Wirtschaft harmonisiert. Nun erleben wir in der Flüchtlingsdebatte wieder eine Symbolpolitik, wo es um Worte und weniger um Inhalte geht.

Der Köder "Obergrenzen"

Dieses Mal ging es um den Begriff der Obergrenzen für Geflüchtete. Alle, die für eine restriktivere Einwanderungspolitik eintraten, bestanden zunächst darauf, dass die Bundesregierung solche Obergrenzen erlassen sollte. Alle, die aus welchen Gründen auch immer, für eine offenere Einwanderungspolitik eintraten, sprachen sich gegen solche Begrenzungen aus.

Dass es dabei um eine Symbolpolitik handelte, zeigt sich schon daran, dass in der Regel nicht über konkrete Zahlen geredet wird. Wo soll die Obergrenze eigentlich liegen? Auch eine andere Frage spielte kaum eine Rolle. Welche realen Konsequenzen hätte eine Obergrenze?

Ein CDU-Parteitag kann schließlich nicht die Genfer Konvention und andere völkerrechtlich gültige Verträge außer Kraft setzen. Doch die Diskussion um die Obergrenzen erfüllte seinen Zweck gut. Da sie nun nicht in den mit großer Mehrheit verabschiedeten Leitantrag der Union stehen, wurde gar nicht mehr so genau hingeguckt, dass dort eine spürbare Verringerung des Zuzugs von Geflüchteten gefordert wird. Was ist nun eigentlich der Unterschied zwischen dieser Forderung nach Obergrenzen, die nicht einmal beziffert wurde, und der nun beschlossenen "spürbaren Verringerung" des Zuzugs?

Genau diese Frage stellen sich alle diejenigen nicht, die jetzt den neuen Kurs in der Union feiern, den Merkel der Partei verordnet hat. Die jetzige Formulierung kann bedeuten, dass weniger Geflüchtete kommen sollen, als es eine Obergrenze festgelegt hätte. Aber diese Feinheiten interessieren die Freunde der Symbolpolitik gar nicht. Da wird auch großzügig darüber hinweg gesehen, dass Merkel in ihrer Rede diese Verringerung der Flüchtlingszahlen bekräftigte und auch sehr konkret wurde.

Innerafghanische Fluchtalternativen und die Realität

So erwähnte Merkel ausdrücklich den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, den sie als Schutz für die afghanische Bevölkerung darstellte. Natürlich sind die Bundeswehrsoldaten auch am Hindukusch, um innerstaatliche Fluchtalternativen freizuhalten. Konkret heißt dass, dass afghanischen Flüchtlingen eine Anerkennung mit der Begründung verweigert wird, sie können ja auch in die Gebiete in Afghanistan ziehen, wo deutsche Soldaten stationiert sind.

Dass Paradox besteht nun darin, dass Menschen aus der afghanischen Zivilbevölkerung, die als Dolmetscher für die Bundeswehr arbeiten oder andere Hilfsjobs ausüben, oft von den Taliban oder anderen Islamisten mit dem Tode bedroht werden. Einige schaffen es in eigener Regie, nach Deutschland zu flüchten, wie Najib, der danach Kontakt mit den deutschen Journalisten gesucht hat, für den er in Afghanistan dolmetsche. Der Bericht darüber endet mit einer für Najib wenig erfreulichen Perspektive:

"Bald muss die Familie in eine andere Unterkunft umziehen. Najib hat von der Ankündigung von Innenminister Thomas de Maizière gehört, dass alle Afghanen zurückkehren sollen. Deutschland habe viel für Afghanistan getan, man müsse aus dem Land nicht fliehen."

So viel also zu den Fluchtalternativen, die die Bundeswehr angeblich in Afghanistan schafft.

Schlussstrich unter deutsche Geschichte

Wenn Merkel dann auch noch auf den Partei betonte, dass es zur Identität Deutschlands gehört, Größtes zu leisten und es für einen solchen Satz keine wahrnehmbare Kritik mit Verweis auf die deutsche Vergangenheit mehr gibt, dann ist klar, dass der Schlussstrich unter die die deutsche Geschichte, gegen den in den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts kritische Gruppen noch angekämpft haben, nun endgültig gezogen worden ist.

Das wird daran deutlich, dass es überhaupt niemand mehr kritisch anmerkt, dass zur Identität Deutschlands die Shoah gehört und damit tatsächlich deutlich wurde, dass das Land im Stande war, das größte Menschheitsverbrechen zu begehen. Doch, jetzt wo fast alle Zeitzeugen gestorben sind, wird der Deckel über diese Geschichte gelegt. Merkel zeigt, man kann wieder ganz unbefangen über die deutsche Identität reden und sie mit den größten Leistungen in Verbindung bringen und niemand redet über Auschwitz. Wer da noch was anzumerken hat, wird nicht mal mehr beschimpft. Er wird einfach ignoriert. Dass kann sich Deutschland heute leisten.

"Knallhart wie die neue deutsche Abschiebepraxis"

Auch die Kräfte in der Union, die sich in den letzten Tagen für Obergrenzen bei den Flüchtlingen einsetzen, sehen sich keineswegs als Verlierer. Dazu gehörte die Junge Union, die noch kurz vor dem Parteitag pokerte und ihre Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge bekräftigte, dann ihren Antrag aber doch zurück zog und so zur großen innerparteilichen Einigkeit beigetragen hat: "Die Junge Union setzt sich mit ihrer Forderung auf dem Parteitag durch.“

"Mit der Karlsruher Erklärung haben wir ein wichtiges Signal von diesem Parteitag gesendet: Ein weiterer Flüchtlingsstrom, wie in diesem Jahr, wird auf Dauer Staat und Gesellschaft überfordern. Wir sind entschlossen, den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern."

Andere unionsinterne Hardliner in der Flüchtlingsfrage belassen es nicht nur bei Erklärungen. In Bayern läuft kurz vor Weihnachten die Abschiebemaschinerie noch einmal an. Selbst Menschen mit einer schweren Krankheit sind davon nicht ausgenommen. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt die Situation so.

"Wer nicht freiwillig mitkommt, dem droht die Behörde mit 'Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang', mit Polizeigewalt. Und weiter heißt es: 'Eine vorherige Anhörung und eine weitere Begründung' seien 'entbehrlich'."

Es sind Sätze, knallhart wie die neue deutsche Abschiebepraxis: Weil so viele reinkommen, müssen andere raus - und zwar zackig. Der Staat hat keine Zeit mehr für Einzelschicksale. Wo man auch fragt, ob in Weiden, Bamberg, Nürnberg, Regensburg, man findet empörte Flüchtlingshelfer. Viele Flüchtlinge seien Roma, die in ihren Heimatländern ausgegrenzt werden. Eine ethnische Minderheit von einem Tag auf den anderen mit Bussen in ein "Abschiebe-Camp" zu karren, das wecke "ungute Assoziationen", sagt Stephan Dünnwald vom bayerischen Flüchtlingsrat.“

Kein Wort der Kritik an den Maßnahmen der Schwesterpartei waren von Merkel und der angeblich von ihr gezähmten CDU in Karlsruhe zu hören. Schließlich tragen sie ja auch zur Verringerung der Flüchtlingszahlen bei und darüber war man sich ja in Karlsruhe einig.