Alles nicht von Dauer

Neuigkeiten zum Verdummungspotential von Cannabis

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Sich dauerhaft auf eine äußere Befriedungsquelle zu verlassen birgt bekanntermaßen Risiken. Es verwundert nicht, wenn Körper und Geist auf dauerhaftes Zuführen von Medikamenten oder Drogen sensibel reagieren. Bei der weltweit beliebtesten illegalen Substanz, dem Cannabis, ist das nicht anders. Dauerkonsumenten berichten von traumlosen Nächten, Aussetzern in der verbalen Formulierungskunst und Gedächtnislücken. Parallel entstand das kulturelle Stereotyp vom dumpfbackigen Kiffer, der stumpfsinnig vor dem Fernseher hockt. Eine nun im renommierten Fachblatt Addiction veröffentlichte Studie hat das Verdummungspotential von Cannabis genauer unter die Lupe genommen.

Die Forscher verfolgten über acht Jahre den Lebenslauf von rund 2.000 jungen Australiern, die zum Beginn der Studie zwischen 20 und 24 Jahren alt waren. Sie wurden in drei Gruppen eingeteilt, nämlich Nichtraucher (72%), die keine oder nur lang zurück liegenden Erfahrung mit Cannabis hatten, leichte Konsumenten (18%), die maximal einmal im Monat rauchten und Fans (9%), die mindestens einmal die Woche zum Kraut griffen. Jedes Jahr absolvierten sie drei Gedächtnistests. Am Beginn der Studie zeigten sich große Unterschiede zwischen den Gruppen, gerade die Dauerkonsumenten hatten Probleme, Wortlisten zu erinnern oder Zahlenreihen in umgekehrter Reihenfolge zu rekapitulieren. Als die Forscher die Ergebnisse aber zu Kontrollfaktoren in Bezug setzten, lösten sich die Unterschiede zwischen den Gruppen nahezu in Luft auf. Das Geschlecht oder die Bildung hatten die Ergebnisse viel stärker beeinflusst als der Marihuanakonsum.

Nach der Bereinigung blieb nur ein Unterschied übrig, nämlich das schlechte Abschneiden der Dauerkonsumenten bei einem Test, der das schnelle Erinnern von Wörtern untersuchte. Hierbei zeigte sich, dass diejenigen Teilnehmer, die zum Ende der Studie mit dem Dauerrauchen aufgehört hatten, keine bleibenden Schäden davon getragen hatten. Ihre Ergebnisse waren nicht anders. Die kognitiven Beeinträchtigungen durch schweren Cannabiskonsum scheinen also zu existieren, aber temporär zu sein.

Dies widerspricht der bisherigen Forschung, die davon ausgegangen war, dass heftiges Kiffertum kognitive Langzeitfolgen mit sich bringt. Es existieren allerdings nur wenig Studien, die Cannabis-Fans und ehemalige Kiffer über einen längeren Zeitraum beobachtet haben.

2001 näherten sich Forscher der Universität Harvard dem Phänomen noch einmal neu, als sie die Intelligenzleistungen starker Cannabiskonsumenten testeten, einen Monat nachdem diese mit dem Rauchen aufgehört hatten. Es konnten keine Unterschiede in den Leistungen festgestellt werden. Gleichwohl berichteten viele Betroffenen davon, dass der überbordende Gebrauch der Droge ihnen Probleme bereitet hätte, sei es im Job, sei es in körperlicher Fitness, sei es im sozialen Umgang. Und natürlich existieren mittlerweile auch Studien, die beweisen wollen, dass Marihuanakonsum die kognitiven Fähigkeiten erweitern kann, weil Assoziationen eher aktiviert werden. Der von Andrew Weil schon 1972 popularisierte Unterschied zwischen "stoned" und "straight" Denken scheint nach wie vor tragfähig. Damals herrschten ansonsten Studien vor, die bei Kiffern Hirnschrumpfungen nachweisen wollten.

Ist das häufige Kiffen nach der jüngsten Studie also rehabilitiert? Eher nicht. Zum einen hat die Inhalation von verbrannten Pflanzenteilen nachgewiesen schädliche Auswirkungen auf die Lunge. Das ist bei Cannabis nicht viel anders als bei Tabak. Das Anbauverbot führt zur Herstellung von zwar THC-reichem, aber mit Bakterien und Schimmelpilzen kontaminiertem Gras. Stichproben des von der Universität Leiden 2005 analysierten Coffeeshop-Gras' waren durch die Bank weg verunreinigt. Zum anderen: Die australische Untersuchung bezog Erwachsene im Alter über 22 Jahren ein. Wie das Gehirn Heranwachsender auf häufigen Konsum reagiert, ist hier nicht untersucht worden. Die beste Übersicht bietet hierzu immer noch die Arbeit von Leslie Iversen. Danach kann man nur zur Vorsicht raten, weil irreversible Schäden zwar unwahrscheinlich, aber möglich sind.